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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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Der Kotelettautomat

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Koteletts sind die Cowboys unter den Fleischwaren. Schau dir einen Kotelettknochen an: Manche sind gewachsen wie Sporenstiefel, andere wie Pistolengriffe. Ein Kotelett hat immer was von Lagerfeuer und einen gefangenen Indianer von Sioux City nach Laramie überführen, ein Kotelett ist was für Jungs. Ein Kotelett ist Bubenkost per excellence, bis ins hohe Alter. Bis ein Mann aus dem Kotelettalter herauswächst, das dauert.

Vermutlich war das der Grund, warum für uns Zivis im Krankenhaus der Kotelettautomat mehr war als nur der Automat, der schnelle Snacks geladen hatte, er war eine Art Treffpunkt, er war unsere Persiluhr.

Wir sehen uns um elf am Kotelettautomat, hiess es, und dann traf man sich auf einen Plausch und etwas Fleisch auf die Faust. Eine schöne Zeit war das, mit viel Fleisch und Klatsch von den Stationen. Welcher Zivi hatte welche Pillen mitgehen lassen, welche davon waren käuflich zu erwerben, welche nicht, und welche Stationsschwester trug tatsächlich keinen Slip unterm Kittel.

Der Kotelettautomat hing in der Mensa unten auf U3, nahe der Ambulanz, wo die Herzinfarkte und Knochenbrüche einrollten und wo man stets das Schlimmste erwartete - aber nicht unbedingt einen Kotelettautomat.

Hin und wieder liess sich selbst ein Totalverweigerer wie Karlos auf ein in Folie eingeschweisstes kaltes Kotelett aus dem Schuber blicken, mit dick Panade drauf, Scheibe Brot dabei, Tütchen Senf. Aber ehrlich gesagt: wer ein bißchen Penunse in der Tasche hatte, machte einen Bogen um das in der Wand der Mensa eingelassene Maschinchen und verpflegte sich lieber am Frische-Terminal der Krankenhausküche. Das lag weniger am Billigfleisch, mit dem der Snackautomat befüllt war, sondern eher an uns Zivis, die dort herumlümmelten.

Der Jahrgang 1981 war kein Haufen eingefleischter Körnerfresser und Friedlich-die-Backe-Hinhalter-wenn-der-Russe-kommt, im Gegenteil, jedem Polacken, der uns blöd kam, stiegen wir vorsorglich aufs Dach, wir tauschten Pornos und futterten Bratenfleisch aus Automaten. Niemand von uns war Vegetarier. Wir verdrückten alles. Nicht mal das Metall des Kotelettautomaten war sicher vor einer Heisshungerattacke im Dienst. Niemand war je vor irgendetwas.. sicher.  

Fünfundzwanzig Jahre später steh ich wieder im Spital. Mein Vater erholt sich von einer schweren OP, und ich frage mich, ob der Automat wohl noch existiert. Der alte Allrounder, der ausser Schweinekoteletts auch butterweiche Baguettes mit palmwedelgroßen Salatblättern und Frikadellen in seinen Schubfächern beherbergte, die fiesesten Frikas nördlich vom Löschzug gegenüber der alten Feuerwache.

Eigentlich gehörte der Kotelettautomat schon damals aus dem Verkehr gezogen, aber wir schrieben die frühen Achtziger und das ganze Jahrzehnt gehört im Nachhinein aus dem Verkehr gezogen und überarbeitet, Punkt für Punkt.

Und die Neunziger gleich mit. Die gehören sowieso revidiert. In einem Aufwasch! Genau: Die 90er kürzen, eindampfen auf wenige Wochen, und dann WEG DAMIT! AUS! VORBEI!

NINETIES? NEVER AGAIN!

Bleibt die Frage: waren andere Jahrzehnte so viel besser? Oder war ich einfach in den Goldenen 70ern aufgewachsen, und im Nachhinein erscheint jedes Jahrzehnt, in dem man zufällig aufwächst, als das goldene Zeitalter?Gut möglich. Große Dinge haben es an sich, dass sich selten passieren, egal in welchem Jahrzehnt, und kleine Dinge fallen durch den Rost. Da muss man am Ende froh sein, wenn überhaupt was passiert.

Und alles ist Gold.

Ich warte auf den Aufzug, der mich runterbringen soll auf U3, und drehe mir gedankenverloren eine Zigarette. Klar tut man das nicht im Krankenhaus, aber ich wollte ja nur drehen und nicht rauchen. Es reicht kaum zur zweiten Einrollbewegung, schon kommt ein alter Knabe im Bademantel angeschissen, von irgendwo her.

"He! Nicht rauchen! Sind Sie übergeschnappt!?"

"Ich rauche nicht, Meister, ich dreh nur."

Das Rauchverbot wird immer restriktiver gehandhabt. Mittlerweile reicht es in diesem hysterischen Land schon, nur daran zu denken, dass man früher mal geraucht hat, und schon kommen sie von allen Seiten angeschissen und meckern einen an. Und es sind nicht nur die Saubermänner, die einen mit großen erschrockenen Augen anstarren, WIE KANN MAN NUR.., selbst Raucher sehen es nicht gern, wenn man ausserhalb der rot markierten Raucherzonen genußvoll an der Fluppe zieht.

Wir leben in einem Land, in dem zunehmend gegen alles vorgegangen wird, das entfernt mit Dampf und Genuß zu tun hat, und da jeder irgendwie unter Dampf steht, wird sicherheitshalber gleich gegen alles und jeden vorgegangen. Herrschaftszeiten, wir leben im 21. Jahrhundert, es wird langsam compliciert! Wir spähen uns selber aus, glotzen uns auf den eigenen Arsch. Niemand ist mehr vor irgendetwas sicher..

Nicht mal vor dem eigenen Stimmungswechsel. Noch wenige Jahre zuvor hätte ich es kaum für möglich gehalten, dass Altkanzler Schmidt eines Tages mein Idol werden würde, nur weil er im Fernsehen eine nach der anderen paffte, ohne Kompromisse, nur gelegentlich ein Hüsterchen.

Öffentliches Qualmen ist eine Geste des Widerstands geworden, und Ketterauchen ist nahe an der Anarchie.

Mon dieu, waren das noch Zeiten, als Paris 1927 die graziöseste Raucherin der Stadt wählte, eine Mademoiselle mit Stupsnäschen und einer Lunge, so jung wie ein Schmetterling.

Ich steh immer noch am Fahrstuhl und will die Kippe zu Ende drehen, während ich auf den Lift warte. Zwei Fliegen mit einer Klappe, doch der hagere alte Knacker im Bademantel, einen Kopf kleiner als ich, hat anderes im Sinn: Er baut sich vor mir auf, mit seinem mopsigen Mund, als habe er heute schon geschluchzt.

"Hör mal", sagt er von unten herauf, "stehst du schon länger hier?"

Ich freue mich, dass er ohne großes Aufheben zum Du gewechselt ist, und nicke ihn an.

"Dann weisst du auch bestimmt, ob hier eben ein anderer alter Knacker reingerollt wurde, so ein Dicker im Rollstuhl."

"Reingerollt? In den Aufzug?"

"Nee, nicht in den Aufzug, in den Herzschrittmacherkontrollraum, da vorn."

"Ja.., da ist einer reingerollt worden, so ein Dicker. Im Rollstuhl."

"Siehst du, sag ich doch. Das ist mein Bettnachbar. Wir liegen zusammen auf dem Zweibettzimmer, oben auf P 35. So eine Wampe hat der Kerl, hier, so eine Wanne.." Er tippt sich an den Bauch. ".. aber klar, der ist auch nur am Fressen. Krieg ich ja hautnah mit, was der sich am Tag alles zusammenfrisst. Nicht die Schonkost vom Krankenhaus, die lässt er zurückgehen, nee, der lässt schön von zuhause kommen, der lässt seine Alte richtig auffahren, jeden Abend weht der warme Brie zu mir rüber, da kotz ich dir fast vors Bett, hör mal."

Er schaut mir tief in die Augen, so tief, dass ich schon befürchte, gleich ist er weg, gleich geht er über die Wupper, doch es ist nur eine Art Test, ob ich wirklich zuhöre. Dann erst fährt er beruhigt fort.

"Und heut morgen die Höhe: Benutzt das Schwein meine Zahnbürste.. meine Zahnbürste! Musst du dir mal vorstellen..! Wir haben ja nur ein Bad, und der nimmt sich einfach meine Zahnbürste aus meinem Becher. Ich hab gedacht, ich muss spucken! Ist doch wahr. Da kann ich doch gleich aus dem Sputumbecher saufen, oder nicht? Hm? Was sagst du? Oder?!"

Der Lautsprecher über dem Lift räuspert sich, knistert - eine Eildurchsage.

"Dieser Aufzug ist blockiert von einem Krankentransport. Bitte benutzen Sie das Treppenhaus oder einen anderen Aufzug."

Aber das Mopsgesicht hört gar nicht hin, so sehr ist es geladen. Es ist noch nicht fertig. Da kommt noch was.

"Ich sag also zu dem alten Sack, hör mal, hast du keine eigene Zahnbürste?! Ist das denn nötig?? Aber was macht das Schwein? Nichts. Grinst nur doof. Da hab ich mein Kopfkissen genommen und nach der Pottsau geworfen, und der wirft es zurück, aber viel fester als ich, richtig mit Schmackes. Na schön, Männeken, hab ich gedacht, wenn du Ärger willst, kriegst du Ärger."

Je mehr er in Rage gerät, desto mehr Farbe hat sein Gesicht, er strahlt mich regelrecht an, und wir nähern uns dem Showdown.

"Ich also das Kissen genommen und meine Nackenrolle und voll reingepfeffert in den ollen Gockel! Mannomann! Hat das gescheppert. Ich mein, waren ja bloß Federn, trotzdem, immer feste druff, sag ich immer.. Ist mein Wahlspruch."

Die Kissenschlacht unter zwei betagten Herren bleibt nicht ohne Folgen. Es gibt einen kleinen Asthmaanfall, dann einen etwas größeren, und zuletzt gerät beim Kontrahenten des Mopsgesichts der Herzschrittmacher aus dem Takt.

"Deswegen ist der Dicke da jetzt drin, zur Kontrolle. Nur mal nachgucken, ob alles in Ordnung ist, hat die Schwester gesagt, ob das Herz vielleicht frisch getaktet werden muss. Und das nur wegen der paar Kopfkissen und der Nackenrolle, Mannomann.. ich weiss nicht."

Seine Story ist zu Ende, ich habe mitgefiebert. Nun ist es an der Zeit, meine eigenen Interessen ins Spiel zu bringen.

"Kennen Sie sich zufällig unten in der Mensa aus, auf U3..?"

"Wo die Mitarbeiter futtern. Klar kenn ich mich da aus."

"Hängt da noch der Kotelettautomat an der Wand?"

"Der mit den schönen Nackenkoteletts, klar, den kenn ich. Den kennt jeder bei uns oben auf Station. Muss ja nicht jede Diätschwester mitkriegen.."

Die Tür zum Herzschrittmacherkontrollraum schnackt auf. Mit dem Rücken zu uns erscheint ein blau gekleideter Pfleger, er zieht einen Rollstuhl heraus, in dem der verfressene dicke Bettnachbar sitzt, der auch gern mal auf fremden Zahnbürsten kaut. Seinen Kontrahenten, das Mopsgesicht, würdigt er keines Blickes.

"In die Mensa", schnaubt er den Krankenpfleger an. "An den Kotelettautomat."

Obwohl der Aufzug in diesem Augenblick erscheint und frei ist, nehm ich lieber die Treppe. Das geht schneller. Ich spring die Stufen runter Richtung U3, Richtung Schnitzelmaschine, wie Schnaat unseren Treffpunkt genannt hat. Bevor die leckeren Sachen weg sind.


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