"Das hat ja seinen Grund, warum gestresste Großstadtmenschen so aneinander vorbeihasten und sich ignorieren. Die gehen sich doch sonst gegenseitig an die Gurgel, wie Hochleistungshühner."
"Hochleistungshühner? Du meinst in Legebatterien die Hühner?"
"Ja, aber da darf man sich nichts vormachen. Bio-Hühner sind auch nicht viel besser."
Sie kennt sich da aus. Fast fünf Jahre lang war sie bei einem vorbildlich geführten Bio-Hof am Rande der Stadt angestellt und hat Bestellungen für Privathaushalte ausgeliefert. Und auf dem Hof gab es eine Menge zu lernen. Über Hühner, zum Beispiel.
"Natürlich waren das Bio-Hühner. Die wurden mit teurem Bio-Futter gepäppelt, die hatten Auslauf im Stall und genug Platz für den Nestbau, sie lebten auch ein bisschen länger als normale Hühner und wurden schwerer, alles korrekt, und trotzdem - es blieb Hochleistungsgeflügel, darauf gedrillt, Tag für Tag so viele Eier wie möglich zu produzieren."
Hochleistungshühner sind wie gedopte Budybuilder - wehe, der Bio-Bauer karrte mal das Futter nicht pünktlich an, dann brach im Bio-Stall augenblicklich die Bio-Hölle los.
"Die gingen sich gegenseitig an die Kehle, so auf die Minute genau waren die aufs Fressen geeicht. Noch schlimmer war es nur, wenn eines der Hühner krank war und Schwäche zeigte. Sofort machten sich die Anderen über das Tier her, gerieten in einen regelrechten Blutrausch, pickten dem Artgenossen die Augen aus und hackten ihn zu Tode, wenn der Bauer nicht aufpasste und rechtzeitig dazwischenging."
Es ist das Adrenalin, das die Viecher so aggressiv macht, sagt sie, ganz egal, ob sie herkömmlich oder unter Bio-Bedingungen gehalten werden. Letztere haben lediglich besseres Futter und sind etwas komfortabler untergebracht. Die Eier schmecken etwas voller nach Ei. Das ist alles.
Da soll man sich nichts vormachen, sagt sie.
Warum wir uns abends darüber unterhalten? Weil Report Mainz heimlich gedrehte Aufnahmen aus Mast-Farmen zeigt, die zum Geflügelkonzern Wiesenhof gehören.
Zu sehen sind "Impftrupps", die von Hof zu Hof ziehen und kranke Hühner aus dem Verkehr ziehen, indem sie ihre Köpfe gegen Eisengitter schleudern, Tiere mißhandeln, zu Tode treten. Bildmaterial, das so lange wiederholt wird, bis auch der letzte Zuschauer Hass auf diese komplett verrohten Impftrupps aufbaut.
Automatisch begebe ich mich auf die andere Seite und frage mich, wie ich mich als Arbeiter verhalten würde in diesen riesigen Geflügelhallen, täglich diesem Lärm und bestialischen Gestank ausgeliefert, im Nahkampf mit zusammengepferchten, tief unglücklichen Hühnern, die mir zu entkommen versuchen, wenn ich sie zu packen versuche? Würde ich meinen Hass auf diesen elenden Job nicht irgendwann auch auf diese armen elenden Kreaturen projizieren? Würde ich nicht auch die Nerven verlieren, wenn mir ständig Hunderte hypernervöse und vor lauter Angst den Boden zuscheißende Hühner um die Nase flattern?
"Ach was! Die Arschlöcher, die da arbeiten, verlieren doch nicht die Nerven, die treten ganz routiniert zu", empört sich die Gräfin, die nach solchen TV-Aufnahmen regelmäßig keinen Schlaf findet. "Die haben null Mitgefühl. Die disqualifizieren sich als Mensch, wenn sie so was machen."
Sie liegt im Bett und heult. Sie versteht Menschen nicht, die in Legebatterien und Mastfarmen arbeiten.
"Was heisst Menschen, es sind immer Männer, die so was machen. Es zwingt sie schließlich niemand dazu, da zu arbeiten."
Stimmt schon. Aber komischerweise stehen die meisten Hühner-KZ's im strukturschwachen Osten, halte ich dagegen. "Was also, wenn ich vier Kinder zu versorgen habe und weit und breit kein anderer Job in Sicht?"
"Nee, das ist kein Argument. Selbst wenn du für zehn Kinder sorgen musst, hast du immer noch ein Gewissen. Brot geht nicht vor Leid, das du einem anderen Geschöpf antust."
Zum Schluss plädiert sie dafür, in Deutschland wieder Löwen anzusiedeln, wie in uralten Zeiten. "Wir brauchen wieder echte Freßfeinde, um das Leben würdigen können", sagt sie. "Dann werden wir vielleicht auch etwas kleinlauter."