Der Berliner Literaturagent war begeistert. Er schnappte beinah über am Telefon. Ich hatte ihm eine Handvoll Stories geschickt, die Begeisterung aber wurde von etwas anderem ausgelöst. "Endlich ein Autor", juchzte er, "der nicht in Berlin wohnt!"
Nun ja. Was sollte ich darauf antworten. Gar nichts. Es war ja keine Frage gewesen.
Der Knabe war bei der zweitgrößten Literatur-Agentur Deutschlands angestellt, ich war nur über eine Empfehlung an ihn herangekommen.
"Schicken Sie noch ein paar Texte rüber, dann sehen wir weiter. Da machen wir was draus."
Er hatte schon eine Idee, wie man die Stories zu einem Roman verdichten könnte.
"Roman..?" Ich war verdutzt. "Wie, Roman?" Ich hatte keinen Roman. Einen Haufen Geschichten, das schon, aber keinen Roman.
"Na schön, eine Art Roman", ruderte er einen halben Schlag zurück, blieb aber im Fahrwasser. "Wir betten die Stories in eine lockere Rahmenhandlung, das kriegen wir hin, kein Thema. Ein Roman muss heutzutage kein Roman mehr sein, Hauptsache, es steht Roman drunter, sonst verkauft es sich nicht."
Eine Art Roman.. Das klang in meinen Ohren ungefähr wie eine Art Büro, wo man Platz nimmt im Office für ein kleines Meet Together und der Stuhl kracht direkt zusammen, weil alles nur Pappmaché ist, doch ich hielt meine Klappe. Er war der Profi, er kannte sich aus im Metier. Er wusste, wann ein Roman kein Roman sein musste, es aber besser vorn auf dem Cover draufstand. Und wo man sich mit seinem Hintern besser nicht hinsetzte.
Im übrigen hatte ich keinerlei Wohnsitz in Berlin, was zum Henker sollte noch schief gehen. Nein, die Sache war geritzt. Ich notierte meine Kontonummer und die Bankleitzahl, um beides zur Hand zu haben, sollte es gleich in aller Eile darum gehen, den Sack zuzumachen.
"Woher, sagten Sie, kommen Sie?" fasste der Mann aus Berlin nach.
"Ich? Aus Solingen."
"Richtig.. Solingen! Und das haben wir in äh..na.."
"Im Bergischen Land."
Schweigen am Apparat.
"Zwischen Köln und Düsseldorf", präzisierte ich.
Das half.
"Ahh.. jaaah..! 'türlich! Wo die Messer her kommen! Die scharfen.. Sachen!"
Eine Woche später, elektronische Post aus Berlin. Seltsamerweise, schrieb der Agent, würden die Storys durchaus funktionieren, so jede für sich betrachtet, aber daraus einen Roman machen..? Nein, das schien bei genauer Betrachtung kaum möglich. Warum genau, sagte er nicht, aber ich wusste, warum es kaum möglich war: Ich hatte jede Story für sich geschrieben - ganz einfach.
Das Leben ist einfach.
"Wissen Sie was?" sagte er. "Setzen Sie sich hin, schreiben Sie einen Roman, und wenn der fertig ist, wäre ich gerne der Erste, der ihn in die Hände bekommt. Sie haben ja meine Telefonnummer."
Nächster Versuch. Ein mir wohlgesonnener Food-Blogger kündigte mich bei einem kleinen, aber feinen Münchner Literatur-Verlag an, mit dessen Verlagsgründer er schon lange per Du war.
"Du, ich kenne da jemanden, den Glumm. Der schickt dir mal was rüber, das musst du dir angucken."
"Ein Glumm? Was ist das denn?"
"Ein Blogger, aber.."
"Ein Blogger?? Um Himmels Willen - bloß nicht schon wieder so ein Schwätzer!"
Und so hatte sich das mit dem kleinen, aber feinen Münchner Verlag schon erledigt, bevor man sich das Du überhaupt anbieten konnte.
Den nächsten Verlag, auch klein, nicht ganz so fein, suchte ich auf gut Glück heraus. Ich verglich das Verlagsprogramm mit meinen Texten und fand, ja okay, das passte. Ich schickte per Email einige Geschichten rüber. Die Antwort des Lektors ließ nicht lange auf sich warten und war mit einem augenzwinkernden Smiley versehen.
"Was Sie schreiben, klingt authentisch und kurzweilig. Und wenn Sie das alles wirklich selbst verfasst haben, würde ich sogar soweit gehen, meinen Hut vor Ihrem Talent zu ziehen."
Moment. Wenn ich das wirklich alles selbst..?! Ja, was zum Henker glaubte der denn?? Diesem Drecksack widmete ich keine Zeile mehr. Wenn er das alles überhaupt selbst geschrieben hatte.
Meine Lieblingsabsage stammt aus grauer Vorzeit, aus den frühen Achtzigern. Alles, was ich in jungen Jahren geschrieben hatte, schickte ich einem Verlag im Kölner Süden, versehen mit einem großmäuligen Anschreiben.
"Sollte Ihnen, werter Lektor, mein Manuskript nicht zusagen, können Sie daraus ruhig kleine Schiffchen basteln, für die lieben Kleinen daheim. Ahoi, Ihr Glumm"
Antwort: Lieber Glumm. Habe versucht, aus dem dünnen Manuskriptlein Schiffchen zu basteln. Erwiesen sich jedoch als nicht seetüchtig. Sind alle untergegangen. Schade.
Ihr Lektor
Im Sommer 1986 beteiligte ich mich zum dritten Mal hintereinander am Literaturpreis NRW, einer öffentlichen Ausschreibung, endlich nahm ich die erste Hürde. Von 1500 Einsendern wurden zehn Autoren zur Endausscheidung nach Düsseldorf geladen. Die Veranstaltung fand Ende Oktober in der Kunsthalle statt. Jeder Teilnehmer durfte einen fünfseitigen Text lesen. Ich entschied mich für eine Story, die ich bereits Dutzende Male im Proberaum und zwei Mal live auf der Bühne präsentiert hatte, in einer Art Sprechgesang, begleitet von einigen befreundeten Musikern wie dem dicken Hansen an der Orgel und Schnaat an der roten Gitarre.
"Als Glumm in seinem Cannabis-Trikot zum Podium schritt und seine Lesung begann, wurde das seriöse Autorenlesen in der vollbesetzten Kunsthalle für zehn Minuten zum Beat-Konzert", schrieb die Rheinische Post in ihrer Montags-Ausgabe. Au Backe, erster Preis. Nach Blitzlichtgewitter und Entgegennahme der Urkunde und des Schecks aus der Hand des Kultusministers rief ich den Journalisten überdreht zu: "Weg da, ich muss sicken!"
Als ich vom Pott zurückkehrte, machte sich die Jury gerade aus dem Staub. Einen der Juroren bekam ich so gerade noch zu fassen.
"He! Was ist jetzt!?"
"Was soll sein..?"
"Na, ich brauche einen Verlag! Oder nicht?"
Der Mann blickte hilfesuchend um sich. "Da.. ist unsere Frau Agusta. Vielleicht kann die Ihnen weiterhelfen."
Frau Agusta, Anfang Fünfzig, war eine Literaturagentin von eher zurückhaltender Natur. Das blonde Haar trug sie lang und offen, ein ungemein blasses Geschöpf, nahe am Albino.
"Wie soll ich Ihnen weiterhelfen? Ich vermittle hauptsächlich politische Literatur und nebenbei ein wenig Reisereportage, doch autobiografische Literatur..? Nein, ist nicht mein Genre."
Ich muss sie angeglotzt haben wie ein Kalb, das unter lautem Beifall aus der Mutterkuh gefallen war und nun scherte sich niemand um das Kleine. Es stakste unsicher und verloren übers Feld, knickte ein, versumpfte, doch niemand fühlte sich zuständig. Weder Mutter noch Tante noch Kultusminister.
"Na schön, besuchen Sie mich in meinem Büro. Bringen Sie ein paar Texte mit. Dann sehen wir weiter."
Sie wohnte in Meerbusch, einem noblen Vorort von Düsseldorf, und ich wurde ihr Klient. Ein dreiviertel Jahr lang versuchte sie mich bei verschiedenen Verlagen unterzubringen. Kiepenheuer & Witsch, Eichborn, Hanser. Gelegentlich schickte sie mir Fotokopien der Absagen. Der Tenor war stets der gleiche, klingt ordentlich, passt nicht ins Programm, leider.
Eine Absage blieb besonders im Gedächtnis. "Für die beabsichtigte Absichtslosigkeit nicht absichtslos genug."
Wir ließen es irgendwann bleiben.
In den Neunzigern schnupfte ich ganztägig Heroin und schrieb kaum noch, schon gar nicht Storys. Zuletzt steckte ich nicht mal mehr das Notizbuch ein, wenn ich das Haus verliess. Und wenn ich zwischendurch doch mal an der Schreibmaschine saß, saß ich eher wie Falschgeld an der Schreibmaschine. Keine schöne Währung. Schreiben sollte doch ein Freund sein, dachte ich verzweifelt, mit dem man sich gutgelaunt die Bälle zuwirft. Doch solange ich das nicht auf die Reihe kriegte, blieb ich ein Trinker, ein Kiffer, ein Junkie, ein verdammter Tunichtgut, der ab und an ein paar gekränkte Zeilen aufs Papier brachte, wenn ihm die Frau weglief.
Im Januar 2005 kam mein Bruder rüber und stöpselte ein Modem in meinen Computer - ich war im Internet-Zeitalter angekommen. Tags drauf entdeckte ich Weblogs. Ich machte einen Blog auf, dann noch einen und danach einen nach dem anderen. Ich gab den Blogs Namen wie Opiumrauchklub, Ich bin die Beatles, Graf Uruguay, Der Blockwart, Der Sprechvater, Frech wie Dreck und 500beine. Am Ende waren es zehn Stück. Ich schloss einen Blog nach dem anderen wieder, weil es zu viel Arbeit machte, zehn Blogs zu unterhalten. Zuletzt blieb ein Blog übrig - 500beine.
Im Impressum ließ ich verlautbaren, dass ich auf diesem Wege einen Verleger suchte. Ich spielte mit dem Gedanken an Selbstverlag und Book on demand, doch schnell wurde mir auch das zu viel. Ich löschte den Verweis aus dem Impressum, schrieb keinen Verlag mehr an und knüpfte keinerlei Kontakte mehr. Es blieb zu sehr Nieselregen, wo es eher eines Sturms bedurft hätte, doch ich war nicht der Typ, der in einer konzertierten Aktion hundert Verlage anschrieb in der statistisch nicht unkorrekten Hoffnung, dass zumindest einer anbeißen würde. Das war nicht mein Ding.
Doch was war mein Ding? Das, was ich am besten konnte. Alles auf mich zukommen lassen und meinem Stern vertrauen. Du sollst niemals deinem Schicksal nachlaufen, dachte ich. Es wird dich schon finden. Es ist schließlich deins. Was soll es sonst tun?
Wo soll es sonst hin.
Im Frühjahr 2007 erreichte mich die Email der Lektorin eines großen Berliner Verlagshauses. Ob ich noch zu haben wäre. Während ich lauthals lachte, recherchierte ich auf der angegebenen Homepage: okay, die Dame gab es wirklich, es war kein Fake.
Da sie in der folgenden Woche einen Termin in Dortmund habe, könne sie in Solingen einen Zwischenstopp einlegen, für ein erstes kurzes Kennenlernen. Wir gingen in ein Cafe nahe des Bahnhofs, unterhielten uns ein paar anstrengende Stunden lang. Es sah gut aus. Wind kroch durch ihr dunkles, auf Page geschnittenes Haar, und ich guckte mir das an.
"Da machen wir was draus", sagte sie forsch.
Im Nachhinein weiß ich selbst nicht genau, wie sie das hinkriegte, doch im Gegensatz zum Berliner Literaturagenten vermittelte sie das Gefühl, ich selbst wäre auf die glorreiche Idee gekommen, aus der Fülle der Stories einen Roman zu entwickeln, mit der Gräfin, dem Hund und mir als zentralem Mittelpunkt. Darin sah sie Potential. Ob nun als Taschenbuch oder als Hardcover blieb zunächst offen, müsse man sehen.
Im Sommer war ich in Berlin-Pankow zu einer Blog-Lesung eingeladen. Ich informierte meine Lektorin, die in der Nähe lebte. "Na klar, das lass ich mir nicht entgehen." Hätte sie mal lieber. Die Veranstaltung war grottenschlecht organisiert, ich war frustriert und besoffen und stammelte mehr als dass ich las. Es war der komplette Reinfall, die schlimmste Lesung meiner Laufbahn.
Von nun an war der Wurm drin. Ich schickte der Lektorin weiterhin Geschichten, sie machte weiterhin Vorschläge, wie man es anders, besser, runder machen könnte, doch ich ging nicht wirklich auf ihre Vorschläge ein und zog stur mein Ding durch. Zudem bekam ich das Gefühl, dass sie im verlagsinternen Wettstreit, welcher Lektor entdeckt den lukrativsten neuen Autor, irgendwie im Hintertreffen lag und unbedingt punkten musste.
Das Aus kam ganz schnell. Nachdem ich die vierte Ladung Texte rübergeschaufelt hatte, rief ich in ihrem Berliner Büro an. Ihre Stimme klang genervt.
"Zu viel Fäkalsprache", schimpfte sie. Das könne sie ihrem Publikum nicht zumuten. Außerdem trüge der rote Faden nicht. Mit jeder Silbe aus ihrem plötzlich sehr eisigen Mund entfernte sich der Vorschuss, der mit Vertragsabschluss fällig geworden wäre, ein Stückchen mehr bis ich endlich erkannte, da komm ich nicht mehr ran. Das Ding ist den Baum hoch. Aus. Bloß - Fäkalsprache? Welche Fäkalsprache? Wovon redete die Frau? Gut, ich hatte den Spritzkot vom dicken Hansen erwähnt und in einer Szene wird ein Teller Frauenscheiße gefressen, doch was war das schon. In einer einzigen Folge von Sex and the City kamen mehr Fäkaldialoge zusammen als in meinem ganzen Manuskript. Dennoch schien genau das der Knackpunkt zu sein. Ich saß da mit abgewimmelten, feuchten Händen und legte auf.
Vielleicht war sie es auch, die auflegte.
2009 veröffentlichte der Berliner Techno-Blogger Airen, mit dem ich in Kontakt stand, sein furioses Roman-Debüt Strobo. Der Verkauf lief schleppend, bis herauskam, dass eine junge Bestseller-Autorin ganze Passagen von Airen Wort für Wort abgekupfert hatte - von nun an ging auch Strobo durchs Dach. Airen wechselte zu einem angesagten Verleger aus dem süddeutschen Raum und setzte alles daran, mich mitzunehmen, im Handgepäck. Zunächst war der Verlagsboss auch sehr angetan von meinen Storys.
"Ich fahr für zwei Wochen nach Marseille und mache Lese-Urlaub", liess er mich wissen. "Dein Manuskript liegt ganz oben. Ich ruf dich sofort an, wenn ich zurück bin."
Dann beging ich einen Fehler. Statt es bei 100 Seiten Textprobe bewenden zu lassen, die okay waren, klammerte ich weitere 200 Seiten an, für meine Verhältnisse kaum bearbeitetes, beinah rohes Material. Warum, kann ich im Nachhinein nicht mehr sagen. Vielleicht aus Übermut. Arroganz. Keine Ahnung. Intuitive Weisheit.
Als kein Anruf kam, wartete ich einige Tage, dann rief ich den Verleger an. Genau in den Moment, als er den Hörer abhob, stieg vor meinem Fenster eine Schar Dohlen auf, wie fliegende Kohlenhändler.
Schornsteinfeger!
"Ach, der Herr.. äh.. Glumm. Sie äh dich wollte ich auch noch.. hm, ja..anrufen".
"Na, das ist ja jetzt nicht mehr nötig", entgegnete ich kühl.
Die Stimmung war am Boden angekommen.
Er hielt sich nicht lange mit Nebensächlichkeiten auf. "Mal ehrlich, ich hab Probleme mit dir als Person. Warum? Weil dich da draußen niemand kennt, bis auf ein paar versprengte Blogger. Du stehst nirgends in den Schlagzeilen, du wirst bald fünfzig, du schreibst Short Storys. Da wäre es hilfreich, wenn du einen Namen hättest. Besser noch, die Leute würden deine Fresse direkt auf dem Buchumschlag erkennen. Das ist Umsatzbringer Nummer 1. Deine Fresse."
"Meine Fresse??"
"Na, deine Fresse jetzt nicht, kennt ja keiner. Ich mach dir einen Vorschlag. Sag mir, warum ich mich für dich entscheiden sollte und nicht für einen jüngeren Autor, von dem ich ebenfalls ein Manuskript auf dem Tisch habe und der schon ein bisschen bekannter ist."
"Das soll ich dir beantworten?"
"Ja, du mir. Erkläre mir, was dich auszeichnet. Komm, gib Gas."
Ich hörte Bürogeräusche am anderen Ende der Telefonleitung. Das Surren eines Rechners, das Anspitzen von Stiften, ich hörte Kratzgeräusche. Der Sauhund kritzelte, während wir miteinander sprachen.
“Jetzt mal ehrlich: sieht sich nicht jeder Autor, der auch nur halbwegs von sich überzeugt ist, als Master of the Universe?" maulte ich. "Das kann man doch nicht ernst nehmen.”
"So? Und warum nicht?"
"Wie.. wie, warum nicht?"
"Na, warum sagst du nicht: Ich bin der beste! Nimm mich, Arschloch! Publish me!"
Ich konnte es nicht sagen. Es ging nicht. Ich erkannte in diesem Moment, dass ich noch nicht reif war. Wenn Eric Clapton Mister Slowhand an der Blues-Gitarre war, musste ich mir den Tennisarm unter den Schreibkräften erst noch verdienen. Ich schrieb erst seit ein paar Jahren, ich meine, richtig schreiben, jeden Tag, und auch wenn ich nicht genau wusste, was es war, so fühlte ich doch, dass den Texten noch etwas fehlte, etwas entscheidendes, bis es rund war und ich endlich den einen Satz sagen konnte, den es braucht: Ich bin der beste. Nimm mich, Arschloch.
“Wenn du wenigstens einen Roman hättest.”