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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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Verschneites Nest

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Ich landete nach einem zunächst ziellosen stundenlangen Winterspaziergang in einem Eis-Cafe in Remscheid, mit Blick auf die zugeschneite steile Fußgängerzone. Remscheid, in direkter Nachbarschaft von Solingen, ist ein dunkles unauffälliges Städtchen mit einer Menge steiler Straßen und einem Röntgen-Museum. Der Herr Röntgen ist nämlich in Remscheid geboren. Auch Litfass-Säulen sieht man dort.

Der Herr Litfass kam aber nicht aus Remscheid.

"Mein lieber Mann", schnaufte die alte Frau, die im Cafe an der Wand saß. Sie trug eine Bommel-Mütze und einen stabilen blauen Mantel. "Mein Bruder Valentin hatte am Valentinstag Geburtstag. Aber der ist ja längst tot."

Die alte Frau nahm zwei Bistro-Tischchen in Anspruch. Rechter Arm auf dem rechten Tisch, linker Arm auf dem linken Tisch, ihr wuchtiger Leib dazwischen auf der gepolsterten Bank. Zu ihren Füßen: ein zum Trocknen aufgespannter Regenschirm, eine Handtasche und die prallgefüllte Einkaufstüte, aus der oben eine Packung tiefgefrorenes Kirscheis hervorlugte.

"Ich hab ja gar nicht gewusst, dass heute Valentinstag ist. Guck ich eben in ein Blumengeschäft rein. In die Auslage, weißt du. Liegen da lauter rote Herzen rum. So eine ganze Herzwiese voll, weißt du."

Ich drehte mich um, weil ich mich fragte, mit wem sie eigentlich sprach. Hinter mir war niemand. Die Serviererin brachte den Kaffee, nachsichtig lächelnd.

"Der ist aber doch schon lange tot, der Valentin.."

Die alte Frau nickte, zündete sich eine Zigarette an.

"Ja, mein Valentin ist lange tot.. Lange tot." Sie gab sich einen Ruck. "Aber was soll ich zuhause, junger Mann? Ich hab gespült und aufgeräumt, was soll ich da. Hör mal, ich rauch seit 1936, dann kam der Krieg. Nee, hör auf, mit Rauchen hab ich noch nie Schwierigkeiten gehabt, da gewöhnst du dich dran. Ich hab immer gearbeitet und immer geraucht."

Sie rauchte ohne Filter. Overstolz.

"Aber ich paff ja nur. Keine Lungenzüge. Seit 1936."

Ausser der Frau und mir waren einige Italiener anwesend, in modischen Westen. Sie schwiegen sich an, starrten angestrengt in die Fußgängerzone. Waren das überhaupt Italiener?

"Hier läuft wenigstens schöne Musik. Nicht so wie dahinten, wie bei den Türken", meinte die alte Frau. Sie zog einen kleinen Schminkspiegel aus der Handtasche, in die sie flink zwei verpackte Zuckerstückchen vom Tisch verschwinden ließ. "Die mit ihrem.. Gedöns! Fräulein!"

Die Serviererin war schon da.

"Guck mal hier, Mädchen.." Die Alte drückte ihr den kleinen Spiegel in die Hand. "Schenk ich dir. Hab ich aus Paris, aus dem Theater in Paris. Musst du nur was sauber machen. Dann ist der wie neu."

Die Italienerin lächelte unverbindlich, nahm den Spiegel, und verzog sich hinter die Theke. Man hörte Geschirrklappern, das Zischen der Espressomaschine. Dann war eine Weile Ruhe. Keine Musik, kein Geschnatter.

Alles trank seinen Kaffee.

Es klopfte an der Fensterscheibe. Draußen stand eine riesige Spiegelei-Matrone und winkte aufgeregt.

"Hallooo..!!" Schon war sie zur Tür rein, strahlend. "Morgen zusammen!"

Mit einem Wusch Schneeluft.

"Warst du einkaufen?" fragte die Alte. "Mein lieber Mann, was hast du denn alles gekauft? Warst du zwangsshoppen?"

Die Neue setzte sich dazu, mit Unmengen Tüten und Täschchen.

"Luise kommt auch gleich. Luise ist auch gleich da. "

Ich legte Münzgeld, von dem ich annahm, dass es irgendwie reichte, auf den Tisch, und wollte mich verabschieden, aber so einfach war die Geschichte nicht. Überall Taschen, Körbchen, Wortschwall.

"Moment, junger Mann", meinte die Serviererin, "hier lang."

Sie hakte sich bei mir unter und begleitete mich bis zur Tür, mit einem freundlichen Zwinkern, als wäre das Leben nur ein Auf und Ab von Herzen. In Remscheid.

Mitte.

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