Silvester zu dritt vorm Fernseher verlümmelt. Ausnahmsweise durfte der Hund mit ins Bett. Es lief Außer Atem, das Original von 1959. "Das Schlimmste im Leben ist Feigheit", hörte ich Belmondo krächzen. Er nuckelte an einer Maiscigarette, dann schlief ich ein.
Meine Schwester hatte eine Mail geschickt, ob wir Lust auf Fondue hätten inklusive einem Schälchen Wasser für den Hund, in intimer Runde, doch die Mail war schon einige Tage alt, als ich sie entdeckte. Aber wir waren eh zu müde und geschlaucht. Wir waren zuhause besser aufgehoben. Es gab doppelt gesüßten Baldriantee und einen Tierfilm, danach den Belmondo.
Dabei wollten wir es richtig krachen lassen. Wir wollten das neue Jahr ans Laufen bringen, wie es sich gehört: Auf den zusammenkrachenden Trümmern des alten Jahres. Ich hatte im Discountmarkt eine extrafette Bang! Bang!-Tüte besorgt und 90 Sekunden Goldregen, aber dann war die Ballerei längst im Gange, als ich endlich wach wurde.
"Welch lustig Gewitter Silvester doch ist!" spöttelte die Gräfin am offenen Fenster. Es pfiff und es donnerte. Ich war noch halb im Schlaf, es war kalt im Zimmer. Im Fernsehen lief ein James Bond-Film. Ich wickelte mich in die Decke ein und stand auf. Der Hund kam schwanzwedelnd auf mich zu.
PRAAAFFF!
SSSSIIIIIIIIIIIIIIIIIII..!!
SELLLIPPZZZZ!!!
"Kein Schwein feiert mehr ne verfickte Party, aber kaum ist es Silvester, kracht es aus allen Löchern", murrte die Gräfin.
"Warum hast du mich nicht geweckt?" fragte ich.
Ich ging mit einem Kuss auf sie zu, in meine Decke gehüllt. Ich fühlte mich wie Woodstock. Auf dem großen Wendeplatz vorm Haus wälzte sich der Raketennebel über den Asphalt, wie riesige graue Flusen. Die Nachbarschaft feierte mit Sekt.
"Guck mal..", sagte sie.
"Ja", sagte ich. "Super."
"Nicht da! Hier!"
Ich blickte sie an.
"Hübsch", sagte ich.
"Herpes", sagte sie.
Ach so. Das da. An der Oberlippe.
"Hab ich mir eben gefangen, und jetzt find ich die Herpes-Salbe nicht."
Während 13-Etagen-Knatter-Batterien den Himmel erleuchteten und pfijuuh! die nächste Fontäne heulend den Erdboden verliess, suchten wir die verschollene Salbe.
"Die hab ich wieder irgendwo verbummelt", murmelte die Gräfin resignierend, während ich das Badezimmerschränkchen auseinandernahm.
"Mannomann, ist das wieder ein Hörnchen“, stöhnte sie in den Spiegel. "Und wie das brutzelt. Geht ja gut los, das neue Jahr."
"Lass uns den Herpes doch einfach wegsprengen", schlug ich vor. "Wie in Moonraker! Wir hängen einen Böller dran, und RAWITZZZ! ist das Böhnchen platt!"
"Moonraker.. Wieso Moonraker? Was war denn da?"
"Null Null Sieben!"
"NA, DAS WEISS ICH SCHON! ABER.. ach, schon gut."
Sie belauerte sich im Spiegel.
"Würde jedenfalls ne hübsche Kaskade abgeben, wenn der Herpes explodiert."
Immerhin wusste ich jetzt Bescheid, warum sie partout keinen Neujahrs-Kuss wollte, da konnte ich sie in meiner Woodstock-Decke noch so umgarnen.
"Sag mal.. einen Kuss gibts hier wohl nicht mehr!?" maulte sie keine Sekunde später. "Bin ich jetzt verpönt wegen meinem Böhnchen am Mund?"
Vonwegen. Ich kam mit einem Monster rüber, einem zeitlosen Monster von Zungenkuss. Martinis, Girls, Guns, Kisses – alles kein Problem für 007.
Plötzlich Getrappel im Hausflur. Gus, der Altpunk aus der Wohnung über uns, schleppte sich schwer erkältet die Treppe runter, mit 99 Schuss und seinem Sohnemann.
"Du Scheisse", sagte ich zur Gräfin, "es geht los."
Jedes Jahr Silvester war es das gleiche: der Sohn hielt Gus auf Trab.
"Los, Papa, fang an! Ich hol schon mal Nachschub!"
Die Gräfin nahm ein flackerndes Teelicht vom Tisch und streckte es weit aus dem Fenster, eine kleine Mitternachtsmesse in all dem furiosen Gewimmel. Mir warf sie eine olle Wäscheklammer zu.
"Hier."
"Was soll ich damit?"
"Na, Krach machen."
Ich ging zu ihr ans Fenster und liess die Wäscheklammer aufspringen. Das ploppte vielleicht! Ich stand da, mit aufgeploppter Wäscheklammer.
Gus entdeckte uns. "Frohes Neues!" rief er heiser. Er hatte bestimmt zehn Kilo abgenommen in den letzten Tagen. Er sah aus wie ein Gespenst. Der Lichtschein der Raketen und die umhertanzenden Leuchtregen erhellten sein geschundenes Gesicht, all die Sex Pistols & Madness-Furchen der wilden 70er, all die eisenharte Alt-Akne.
"Du hast doch auch was zu Ballern geholt", sagte die Gräfin zu mir. "Warum gehst du nicht raus und knallst auch ein bisschen?"
"Nee.. lass mal. Das bewahren wir schön auf", sagte ich, einer plötzlichen Eingebung folgend. "Wenn im Sommer kein Schwein damit rechnet, fallen am Kannenhof plötzlich Bomben vom Himmel. Wie in Moonraker."
Erst als Gus und sein halbwüchsiger Sohn auch um eins noch Kanonenschläge in den frostigen Himmel schossen und kein Ende in Sicht war, fing es auch in unserem Bett bedrohlich an zu rumoren. Und das kam nicht vom Hund.
"Macht das dumpfbackige Geschmeiss da draussen auch mal Schluß?"
*
Neujahr. Wir schliefen lange, gingen erst um halb zwölf mit dem Hund vor die Tür.
"Weißt du noch letztes Jahr Silvester?" sagte ich. "Da haben wir direkt vor unserem Fenster fette Fontänen gezündet." Natürlich erinnerte sie sich. Es war das allererste Mal in all den Jahren gewesen, dass wir ein Feuerwerk gekauft hatten. "Und diesmal haben wir nicht einen einzigen Knallfrosch geworfen", fuhr ich fort, als wir am Zedernweg einen Riesenhaufen abgebrannter Feuerwerkskörper passierten.
"Na, du wolltest ja nicht", sagte die Gräfin.
"Ja, aber jetzt will ich."
Dann die Überraschung. Das Omen. In all dem Raketenmüll, der auch zwölf Stunden später noch nach Schwarzpulver roch, fiel der Gräfin diese Römische Licht-Batterie auf, festgebunden an einem Zaunpfahl - wie an einer Raketenstation:
Effekthöhe 25 Meter, Brenndauer 60 sec.
"He.. die ist ja gar nicht abgefeuert. Da ist ja noch die Lunte dran, guck mal. Die haben die Rakete festgebunden und dann in der Dunkelheit vergessen zu zünden."
Tatsache. Und so kamen wir am Neujahrstag, Punkt 12 Uhr, doch noch zu unserem Feuerwerk. NUR 1X ANZÜNDEN stand groß auf der Rakete geschrieben, und dann machte es genau ein Mal POKK und eine lumpige Rauchsäule stieg auf, 15 Zentimeter hoch, das wars, fertig, aus.
"Wie? Das soll alles gewesen sein?" rief die Gräfin, die noch immer Erwartungen ans Leben hegt, und plötzlich gings los: PIUHH! PIUHH! PIUHH! pfiff es in den schneegrauen Himmel, ein 210-Schuß-Feuersturm-Pyro-Leuchtspektakel, als hätten sich Ufos am hellichten Tag unter die Wolken gemischt, vom Planeten Salsa.
Und was sagt uns das nun fürs neue Jahr?
"Konservativ bleiben, nicht mit Behörden anlegen", las die Gräfin abends das chinesische Orakel am Teebeutel des Yogi-Tees vor. "Und ein kleiner Abstauber ist immer drin."
In diesem Sinne.