Quantcast
Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
Viewing all articles
Browse latest Browse all 495

In the palm of my hand

$
0
0

 

 

An einem Samstag Ende August sind wir als Trio unterwegs, Mann, Frau, Hund, - die 3 ist eine magische Zahl, die 3 zeigt an, dass es losgeht - doch die folgende Sensation wird lediglich von mir wahrgenommen.

Als ich beim Gehen gleichmütig nach rechts schaue, kommt wie aus dem Nichts ein rotes Laubblatt angeschaukelt. Ganz automatisch öffnet sich meine Hand und ich schnappe das Blatt mit einer Lässigkeit aus der Luft, als würde ich Wechselgeld entgegennehmen und dabei noch mit dem Wind flirten. Ich bin begeistert von meinem eigenem Flair.

"Hast du das gesehen..?" 


"Mh?"


"Na, das mit dem Blatt.. wie das angesegelt kommt und wie locker ich das aus der Luft gepflückt hab."

"Was für ein Blatt?"

"Na, das hier."

Wir schauen es uns an. Es liegt auf dem Teller meiner Hand. Ein warmer Teller.

"Ist mir direkt hier reingetrudelt, in the palm of my hand. Ich glaub, das ist mir noch nie passiert, in meinem ganzen Leben nicht.."


"Moment mal.. In the palm of my hand?" Die Gräfin bleibt stehen. "Woher kenn ich das noch mal..? Ist das nicht aus einem Song von Bob Dylan?"


"Bob Dylan? Welcher Bob Dylan?"


"Wie, welcher Bob Dylan?!"


"Na, heutzutage hat doch jeder seinen eigenen Bob Dylan. Es gibt einen italienischen Bob Dylan, einen russischen und einen bayrischen, es gibt Songwriter in Australien, die feiert man als the new Bob Dylan. Köln hat seinen Bob Dylan, England hat einen, Montenegro wahrscheinlich auch, und Amerika.. Amerika hat garantiert hundert Bob Dylan."

Sie hat diesen Blick, den sie immer dann auflegt, wenn mir die Gäule durchgehen. Ein Blick, der ungefähr bedeutet, hey, nun mach mal halblang, du alter Schnurrrad-Conferencier auf dem Sommerfest vom Spar-Klub. Mit anderen Worten: Es ist an ihr, die Dinge gerade zu rücken.

"Na, ich meine natürlich den echten, den einzig echten Welt-Bob Dylan", sagt sie feierlich.

"Du meinst Robert Zimmermann."

"Genau. Und der kommt aus Amerika. So gut wie alle echten Menschen der letzten hundert Jahre kommen aus Amerika."

"Bis auf Juri Gagarin."

"Juri Gagarin?" 

"Ja, der erste Astronaut im All, ein Russe. Als er zurück auf der Erde war, sagte seine Mutter: Was hat der Junge bloß wieder angestellt? Eine Legende."

"Na schön. Aber bleiben wir beim Thema. Weißt du, was Dylans Geheimnis ist?"

Ich überlege ein bisschen, weil Dylan vermutlich das größte Geheimnis der Popmusik insgesamt ist, aber das mal eben auf einen Nenner bringen..

"Ich hab gelesen, dass Like a Rolling Stone zum besten Song aller Zeiten gewählt worden ist, vom Rolling Stone Magazin", sag ich, mehr fällt mir auf Anhieb nicht ein.

"Ja?"

"Ja."

"Aha."

Wir schauen beide am Baum hoch, von dem augenscheinlich das Blatt getrudelt kam, das in meiner warmen Hand ruht und allmählich die Fassung verliert. Ich kenn mich nicht gut aus mit Bäumen, aber das ist eine Blutbuche, deren Astwerk wie ein großer roter Lampenschirm mit Fransen über dem Waldweg hängt.

"Dylans Geheimnis ist, dass er es sich erlauben kann, den Leuten ein Rätsel aufzugeben, dass die Leute sich nicht gelangweilt abwenden. Sie versuchen seiner Magie auf die Spur zu kommen."

Jetzt summen wir Like a Rolling Stone, und je länger wir summen, desto mehr reisst uns das beste Lied aller Zeiten mit. Zulletzt stürzen wir in den Refrain, als ginge es die Klippen runter, mit Sehnsucht und Südstaaten-Whiskey in der Stimme.

"Darin kommt aber nicht 'in the palm of my hand' vor", lässt sie nicht locker, "das ist ein anderer Song. Aber ich komm nicht drauf, welcher.."

Da kann ihr auch nicht helfen.

"Na, nicht schlimm", meint sie schließlich, "Hauptsache, ich bin keine Hausfrau, die automatisch an Palm-Fett denkt, wenn ihr zufällig das Wort palm irgendwo begegnet, sondern ich denke an Bob Dylan. That's right, Babe. Ich bin immer noch ein Rocker."


Viewing all articles
Browse latest Browse all 495