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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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Die Unordentliche

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Nach einer schnellen Marihuana-Lolle am Stromverteilerkasten verabschiedete sich Karlos in den Spätbus nach Haan und ich kehrte ins Mumms zurück und trank weiter. Bekifft am Tresen stehen hatte den Vorteil, dass das Bier besser lief. Das war auch gleichzeitig der Nachteil: Ich war zeitnah besoffen und bekifft. Jetzt ging gar nichts mehr. Ich döste vor mich hin, inmitten einer Geräuschkulisse aus Gläserklirren und dunklem Geraune. Erst als der Zapfer den Gong schlug und die Sperrstunde ausrief, “DEFINITIV LETZTE RUNDE!”, schreckte ich hoch und schüttelte mich wie ein nasser Hund. Dann alarmierte ich den Kellner.

"Noch'n Kölsch, Hoffi."

Der hatte mitgedacht und setzte bereits das letzte Bier vor mir ab.

"Eine Kaltschale, der Herr. Darf ich auch gleich abkassieren?"

Es bereitete ihm einen Heidenspaß, betont höflich und respektvoll aufzutreten, wie in einem First Class Etablissement. Im 11. Schuljahr hatten wir gemeinsam den Deutsch-Leistungskurs bei Lehrer Sackmann besucht, eine halbe Saison lang, bevor ich entnervt das Handtuch warf.

Hoffi addierte die Striche auf meinem Deckel.

"Sechsundzwanzig.. vierzig, der Herr."

Mit seiner langen dunkelroten Kellnerschürze und den weißen Cloggs erinnerte er an eine hünenhafte zwielichtige Weinkönigin. Ich legte drei Zehner auf den Tresen. Vom Tisch gegenüber grinste mich die Unordentliche an. Richtig frech grinste sie rüber, frech und herausfordernd, wie ein Pickel, der nur darauf wartete, ausgedrückt zu werden. Ich kannte ihren wirklichen Namen nicht, niemand kannte ihren wirklichen Namen, selbst die Kellner nannten sie bloß die Unordentliche.

Wenn man sie so ansah, hörte man im Hintergrund förmlich das Gezeter ihrer Mutter, .. nun sei doch mal ein ordentliches Mädchen - vergebens. Ständig war ihre Bluse verknöpft oder das Haar ein Hühnerhaufen. Und die Manteltasche, ursprünglich auf rechts gedreht, um sie mal eben von Krümeln und Wattebäuschen zu reinigen, blieb umgestülpt und hing den ganzen Winter wie ein Waschlappen aus ihrem Mantel.

Die Unordentliche zählte nicht gerade zum Stammpublikum, sie tauchte eher am Wochenende auf, nach Mitternacht. Und schon stand sie neben mir. Ich war überrascht, fast überrumpelt. Wir kannten uns bloß vom Sehen, hatten nie ein Wort miteinander gewechselt - die gekünstelt wirkende, hart an der Grenze zur Hysterie agierende Unordentliche, und ich, der Trinker, der Kiffkopf, der sich fürs Leben warmlief, seitdem er denken konnte.

"Hast du Lust, mit zu mir zu kommen?" gurrte sie.

Ich starrte sie an. Sie war nicht gerade eine Schönheit, aber so richtig hässlich war sie auch nicht. Sie hatte etwas Grundtrauriges im Gesicht, wie eine Terpentinschnüfflerin, die ihrer Sucht noch nicht erlegen war, noch nicht ganz. Es war noch ein bisschen was zu machen. Ich sah die Blicke von Hoffi, dem Zapfer, sein dämliches Grinsen.

"Behalte dein scheiß Wechselgeld", sagte ich, und er steckte die Münzen zurück in den Galoppwechsler.

Wie immer, wenn ich betrunken war, hatte ich keine Lust nach Hause zu gehen. Wenn die letzte Runde ausgerufen wurde, wollte ich weiterfeiern. Weiter wackeln. Noch nicht ins Bett, jedenfalls nicht alleine. Das war Gesetz. Was irritierte, wardie Unordentliche. Was wollte sie von mir? Ich hatte sie noch nie so offensiv erlebt. Dass sie mich überhaupt angesprochen hatte, passte schon nicht ins Bild. In der Regel führte sie Selbstgespräche, soviel ich wusste.

Erst als ich im Taxi saß bekam ich mit, was los war. Dass ich nicht der einzige war, den sie abschleppte. Der lange Picard stieg ebenso zu wie ein ehemaliger Arbeitskollege von ihm, ein namenloser Säufer, mit dem er den ganzen Abend am Tresen gestanden und sich den Kopf heiß geredet hatte. Picard war ein Quatschkopf und Graswurzel-Kommunist vom alten Schlag. Wenn er nicht gerade im Mumms herumlungerte und von Industrierobotern und ihrer fatalen Wirkung auf die Psyche der deutschen Arbeiterschaft schwadronierte, lag er daheim auf der Couch und wärmte sich an seinen 7 Katzen, weil die Stadtwerke mal wieder den Strom abgestellt hatte.

Das Taxi brachte uns in eines der besseren Viertel am Stadtrand. Ein reines Villenviertel gab es nicht. Es gab vereinzelte Reiche-Leute-Spots mit seltenen Rosenstöcken im Vorgarten, logisch gab es die, doch spätestens hundert Meter weiter hatten die Stadtplaner 6stöckige Neue Heimat-Klötze hingesetzt, mit eingedrückter Klingelleiste und asozialem Geschrei und Boxereien in der Nacht. Das war in Ordnung. Es gab dieser Stadt so etwas wie Gerechtigkeit. Wir waren alles Gefangene der späten Achtziger und keinem ging es wirklich besser. Residenzen und Neue Heimat, Rosenstöcke und Boxereien.

“Meine Eltern sind über alle.. hi hi.. Berge”, schnatterte die Unordentliche, als wir die Villa betraten, "verreist." Ich schätzte sie auf Ende zwanzig, mit ihrem schiefen Gebiss, dem Hühnerhaufen-Haar, den Augen einer Eule, "ins Tessin."

Eigentlich ist sie ja doch hässlich, dachte ich, und nicht nur nicht ordentlich. Eher ein Fall für Ringo. Ja, bestimmt hätte Ringo seinen Spaß an ihr gehabt. Ganz bestimmt sogar. Ringo, der alte Messie, stand auf Frauen mit einem gewissen Schlampenfaktor. Es faszinierte ihn, wenn das Strumpfband speckig war, wenn der Lippenstift krümelte, wenn das Gehirn verrutscht war vom vielen Geschnatter. Doch Ringo war nicht da. Er ging nicht ins Mumms. Ich ging ins Mumms. Das war der Unterschied. Aber eigentlich war ich nie richtig da. Eigentlich war ich nie richtig irgendwo. Ich war immer woanders, wenn ich irgendwo war. Gab es mich überhaupt noch? Oder hatte ich mich schon zur eigenen Fata Morgana herabgewirtschaftet?

Die Unordentliche war ein seltenes Gewächs. Natürlich gab es auch andere Weiber, die sich betont unmodisch gaben, die sich das Make-up dick wie Straßenmalkreide auftrugen und schrille Klamotten kauften, um aus der Reihe zu fallen, doch die Unordentliche war anders, Unordentlichkeit war sozusagen ihre Natur, sie konnte gar nicht anders. Dafür sorgte schon die Reihe schief stehender Vorderzähne, ein kubistisches Häusermeer, das sich gegenseitig stützte, damit einzelne Häuschen nicht umkippten und durch den Kiefer purzelten. Mit solchen Zähnen, wenn man sie denn nicht richten ließ, war man sozusagen automatisch raus aus jeder Ordnung.

Wir ließen uns im gut gepolsterten Salon nieder, den sie nur als das Living-room Desaster bezeichnete. Mit wahnhaftem Gackern zauberte sie vier Weingläser auf den Tisch und füllte sie mit einem ausgesuchten, ja erlesenen französischen Tröpfchen, wie sie uns dreimal hintereinander ungefragt versicherte, wobei sie ihr beknacktes unordentliches Haar, das sie mittlerweile zum Dutt gebändigt hatte, in den Nacken warf.

“Dieses Jahr Heiligabend”, überschlug sie sich vor Freude, “war ich glücklich WIE NOCH NIE..! Soo glück..lich! Hi hi..! Ich hatte das Gefühl, die ganze Welt wäre mit mir.. im Freudentaumel! Ja, im Freudentaumel.. Kinder! Die ganze Welt war üüü-ber-glück-lich!”

Ihre hysterisch hohe Stimme, ihr “Hach, Kinder, was bin ich gut drauf heute und wie bezaubernd ist die Welt wieder einmal!” zerrte an den Nerven, zumal alles so beschissen war wie immer, und alle wussten es. Sie erwähnte einen Freund aus fernen Kindertagen, den sie zwischen den Feiertagen zufällig wiedergetroffen hatte. "Das war früüüher ein ganz Süüüßer, der Christian. Der hat doch glatt mal.." Bla bla hatte der glatt mal. Interessierte doch keinen. Wer war schon Christian. Der lange Picard und sein Kollege stierten ratlos in ihre Weingläser. Nachdem die beiden gemerkt hatten, in welchem Höllenloch sie gelandet waren, stürzten sie das edle Tröpfchen auf ex runter und füllten sofort nach. Wir schauten uns an. Wir alle hatten einen schlimmen Fehler gemacht, wir hätten niemals in dieses Taxi steigen dürfen, dafür mussten wir jetzt blechen, dafür mussten wir bluten und Wein saufen, den keiner mochte. Niemand wusste, wie er mit der Situation umgehen sollte. Die Unordentliche hatte offensichtlich einen viel größeren Knall als angenommen. Sie hörte nicht auf, ihr neues Leben zu feiern.

"... hi hi, hach, der süüße Chrisssstiaan.. neieinn..!"

Ich bediente mich aus einer offenen Karaffe, die auf dem Tisch stand, und kippte etwas von der darin enthaltenen Flüssigkeit, die ich für Campari hielt, zu meinem erlesenen Weißwein hinzu. Einfach so, aus Verzweiflung. Immer drüber damit.

“Na, mag da jemand schon venezianisch Frühstücken..?”, kiekste die Unordentliche. "Um diese Uhrzeit..?"

Sie hörte gar nicht mehr auf zu lachen. Ich wusste überhaupt nicht, was los war. Was daran lustig sein sollte. Das, was ich für Campari gehalten hatte, entpuppte sich jedenfalls als Sirup. Ich hatte die Nase voll.

“Ich hau mich aufs Ohr”, sagte ich. “Ich bin erledigt.”

Das war alles, was ich von dieser Nacht noch erwartete. In irgendein Bett fallen und wegpennen, und mich am Morgen so früh wie möglich vom Acker machen.

“Bedien dich, Cherie”, flötete die Unordentliche, “im ganzen Desaster-House stehen genug leere Betten. Suche dir einfach eins aus.. à la vôtre!”

Ich steuerte das nächstbeste Zimmer an und knallte mich aufs Bett. Ich zog Schuhe und Hose aus, deckte mich zu. Auf dem Nachttisch fand ich einen großen braunen Welt-Atlas, der mir aus der Schulzeit bekannt vorkam, und eine Schachtel Pralinen. Ich riss das Zellophan von der Packung, stopfte mir ein Schokoböhnchen in den Mund, die Finger der anderen Hand im aufgeschlagenen Atlas. Es war tatsächlich der gleiche, den wir ab der fünften Klasse gehabt hatten, der große braune Diercke. Ich tastete die Südspitze von Südamerika ab. Feuerland. Ahoi, Käptn. Die Tür ging auf. Die Unordentliche. Als sie mich sah, musste sie erst lachen, doch schnell schlug ihre Stimmung um. Sie wurde aggressiv, ja richtiggehend böse. Sie schrie mich an. Glaubst du, du bist hier bei Rockefellers?! Ich verstand nicht.

“Was ist denn mit dir los..?”

“Na, was würdest du sagen, wenn ich das Bett deiner Eltern so einsauen würde??”

Ihr Gesicht nahm gefährlich zickige Züge an, und sie warf ihr Rosshaar in den Nacken.

“Ich kann auch woanders hin", entgegnete ich hochmütig. "Kein Problem. Bin schon weg.”

Ich schnappte meine Klamotten, die Schachtel Pralinen und den Atlas und verschwand einfach eine Tür weiter, in eines der Gästezimmer. Die Art der Möblierung kam mir auf Anhieb bekannt vor: Interlübke. Meine Eltern hatten lange darauf gespart, bis sie sich solch ein Kompaktschlafzimmer leisten konnten. Als es endlich aufgebaut vor ihnen stand, Herbst 1969, soll Mutter vor Freude geweint haben. So die Familienchronik. Ja, hier war ich richtig. Ich warf den Atlas aufs Bett und mich gleich hinterher. Irgendwann in der Nacht hörte ich das Schlagen von Autotüren und einen Dieselmotor. Ich sah aus dem Fenster und beobachtete, wie der lange Picard und sein Kollege in ein Großraum-Taxi stiegen und abdampften.

Am Morgen erwachte ich mit der Nasenspitze vor Kap Hoorn. Das Bett war übersät mit Konfektpapier. Ich sichtete eine Schokoladenspur auf dem Spannlaken und versuchte sie zu entfernen, verwischte aber alles und machte es nur noch schlimmer. Jetzt sah es aus, als hätte ich die ganze Nacht meinen nackten Hintern durchs Bett gezogen. Scheiße. Ich blickte mich um. Was in der Nacht ein Kompaktschlafzimmer gewesen war, wirkte bei Tageslicht wie ein Neben-Gemach eines Landhauses. Es gab sogar eine altertümliche Nähmaschine, und der englische Kleiderschrank aus Mahagoni hatte einen prächtigen ovalen Spiegel.

Ich stand nackt auf dem Bett, die Beine gespreizt wie ein Skispringer, der gerade gelandet war, und begann zu masturbieren. Das sah geil aus in dem großen Spiegel - der König und sein Genital. Was kümmerte den König anderer Leuts Genitalbereich!? Alles nur billiges Geschmeiß, Fotzen, Kutscher-Pack! Mann, bist du bescheuert! Es war der Restalkohol, der mein armes krankes Hirn befeuerte. Kaum hatte ich mich wieder hingelegt und die Augen geschlossen, hörte ich, wie die Tür einen Spalt weit geöffnet wurde. Jemand warf einen Blick ins Zimmer, dann schnappte die Tür leise wieder zu. Ich fragte mich, was die Unordentliche wohl gesehen hatte, wurde kurz geil, und schlief wieder ein.

Der Digitalwecker zeigte exakt 12:02, als ich das zweite Mal wach wurde. Regen klimperte gegen die Fensterscheibe. Ich setzte mich auf den Bettrand und suchte die Strümpfe. Mir war kotzübel, die kleinste Bewegung verursachte ein Hauen und Stechen im Schädel, man spürte förmlich die Nadel ausschlagen. Bevor ich es in meine Hose schaffte, sank ich wieder zurück ins Bett. Ich war platt von der tagelangen Sauferei. Plötzlich Schritte. Die Tür ging auf. Jemand lugte ins Zimmer.

“Ich lasse mich krankschreiben”, hörte ich die Unordentliche, ohne ihr Gesicht zu sehen. “Aber erstmal lege ich mich unten noch was aufs Ohr. Kaffee ist in der Küche, ein Brot kannst du dir auch schmieren, wie du magst." Sie kicherte. "Fühl dich einfach wie zu Hause.”

Sie schloss die Zimmertür und verschwand. Ihre überraschend warme Ansprache tat gut. Ich ging halbnackt ins Wohnzimmer, das mir kleiner und gedrungener vorkam als in der Nacht. Viel kleiner, viel gedrungener. Little Living room Desaster. Ich griff mir eine Camel ohne vom Tisch und ging scheißen. Ich strich durchs Haus, landete in der Küche. Die Kaffeemaschine war im Stand by-Betrieb, ich goss mir eine Tasse ein. Es schmeckte so abartig, dass ich die Brühe in den Ausguss spuckte. Ich steckte mir noch eine Camel ohne an. Im Wohnzimmerschrank gab es eine offene Schrankbar, wo alter Scotch und Dujardin vergammelte, wie in einer Derrick-Folge.

Auf dem Sideboard fand ich zwei Postkarten mit Weihnachtsmotiven. Eine Karte war in der DDR abgestempelt, die andere in Braunschweig. Wieso lasst Ihr nichts mehr von Euch hören? Lebt Ihr überhaupt noch?

MELDET EUCH MAL!

Über der ganzen Villa lag Fäulnis, ein unsichtbares engmaschiges Netz des Todes. Ich ließ mich auf einem schaumigen Sofa nieder, neben zwei nagelneuen Porzellan-Puppen, lieblos in die Sofakissen gedrückt. Daneben, auf einem Teewagen, ein nagelneuer Hochglanz-Porzellanpuppen-Bildband. Eine der abgebildeten Porzellanpuppen trug einen Beißring. Ich konnte die Augen nicht davon lassen. Es war wie immer nach einem versoffenen Abend. Wenn ich aufwachte, war ich geil. Es war keine wirkliche Geilheit. Geilheit ist ein wankelmütiger Diktator. An einem verkaterten Morgen war es eher wie Durst haben und schnell ein Glas Wasser runterstürzen, einen Berg Plankton auskotzen.

Regenschauern klatschten gegen die Panoramafenster. Der Himmel, eine Kondolenzkarte. Im Garten miaute eine fette graue nasse Katze. Ich versuchte, die Verandatür zu öffnen, kam aber mit dem Mechanismus nicht zurecht. Die Tür knarrte und bäumte sich auf, blieb aber zu. Ich fluchte, die Katze fluchte, der Regen flutete den gräulichen tiefen Rasen. Endlich funktionierte ein Versuch, die Tür schnackte auf. Das Vieh musterte mich skeptisch, fluchte und drängelte sich ins Haus. Ich hockte mich nieder auf den flauschigen Teppich, der sämtliche Geräusche schluckte. Nur das Ticken einer alten Wanduhr war zu hören. Es war gespenstisch. Ein Haus, in dem nichts zu hören war bis auf das Ticken einer verschlissenen ollen Wanduhr.

War die Familie der Unordentlichen wirklich in Urlaub im Tessin, wie sie behauptet hatte? Oder lagen Vater und Mutter, den Schädel eingetreten, in der Mansarde, dem einzigen Ort des Hauses, zu dem definitiv kein Zutritt war, wie sie uns in der Nacht eingetrichtert hatte?

Die fette Katze schlich um mich herum. Ich holte meinen Schwanz raus und hielt ihn ihr hin, ließ sie daran schnuppern wie an einem Hähnchenbollen. Ich spürte das Schnauzhaar. Sie trollte sich. Wahrscheinlich war das gar keine Katze, sondern ein Kater, und allmählich wurde ihm die Situation unangenehm. Er war der Familienkater und ich ein einsamer Bauer in den Pyrenäen, der sich aufs Feld geschlichen hatte, um heimlich den dicken alten Familien-Esel zu pimpern. Oh verdammt. Ich saufte zu viel..! Soff! SIFF! Himmel! Ich kannte nicht einmal mehr die Vergangenheitsform von saufen, weil sich mein verfluchtes kleines Dasein ständig im Hier und Jetzt abspielte, auf dem kläglichen Transportband zwischen Gegenwart und Zukunft, ohne jegliche Reflexion. Ständig stand ich neben mir und beobachtete, was der Kerl als nächstes tat. Das war alles, wozu ich noch in der Lage war. Ich war die pure unreflektierte Gegenwart.

Himmel, half!

Ich hab sie echt nicht mehr alle.

Ich war am Ende, die Menschheit war am Ende. Irgendwann würden wir alle nach Afrika zurückkehren, und alles würde aufhören, wie alles begonnen hatte. Wir würden den aufrechten Gang verlernen und wieder oben in den Baumkronen leben. Nur wie wir die verfluchte Gefrierkombination da rauf kriegten, das stand noch in den Sternen. Die Katze war zurück. Ich saß auf dem Teppich. Sie hatte Vertrauen zu mir gefunden und drückte sich an meine nackten Beine. Sie tat mir leid. Ihr Vertrauen tat mir leid. Es dauerte keine fünf Minuten, da hatte ich die Hose angezogen, die Schuhe geschnürt, das Haus verlassen. Ich wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich bin doch nicht bescheuert. Fertig, ja vielleicht, das schon.. Sex mit Haustieren.

Ich stand draußen vorm Eingang. Ein majestätisch sanfter Regen ging nieder. Es war ein Sound, als stünde ein Dutzend Engel vor einem weitläufigen Urinal und ließ es dauerhaft rauschen. Ich versuchte mich zu orientieren, wo ich überhaupt war, an welchem Ende der Stadt. Ich hörte ein Schneuzen. Ich sah hoch. Ein Fenster stand auf Kipp. Hatschi. Das war die Unordentliche, sie hatte sich eine Erkältung geholt. Sie sprach mit jemandem. Ich knöpfte die Winterjacke zu und machte, dass ich nach Hause kam.


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