Ill. Sanne Eggert
Mein Leben gehört zu den Filmen, wo man die ganze Zeit darauf wartet, dass es endlich losgeht.
Und plötzlich: FIN.
Beim Busfahren bin ich jedes Mal aufs Neue fasziniert vom Nothammer, diesem feuerroten Werkzeug, das in unmittelbarer Nähe zum großen Panoramafenster in einer leicht verstaubten Hängevorrichtung vor sich hinhängt.
HOL MICH RAUS, schreit es mich tonlos an, KLOPP MICH INS GLAS - NUN MACH SCHON!
Furioser Anblick auf der Rückfahrt. Eine Araberin, komplett in schwarzes Tuch gewickelt, lediglich Nase und Augen sind frei zugänglich, führt im Schoß eine halbvolle weiße Plastiktüte spazieren, mit grellbuntem Aufdruck,
maoam.
So langsam will ich auch meine eigene Burkha haben. Eine Mini-Burkha, nur für die Augen.
Was die sich alles gefallen lassen müssen.
"Das hat schon seinen Grund, warum Großstadtmenschen so aneinander vorbeihetzen und sich ignorieren", sagte sie,"die Leute würden sich sonst an die Gurgel gehen und gegenseitig abmurksen, wie gestresste Hochleistungshühner.."
"Hochleistungs..hühner? Du meinst dieHühner in großen Legebatterien..?"
"Ja, genau die. Aber Bio-Hühnern gehts auch nicht viel besser. Die haben alle einen Knall weg, die Hühner. Egal, ob Bio oder Nicht-Bio."
Sie kennt sich aus in der Materie, seit sie fünf Jahre lang füreinen tipptopp geführten Bio-Bauernhof Bestellungen im gesamten Bergischen Land auslieferte.
"Bio-Hühnerwerden zwar mit teurem Bio-Futter gepäppelt, sie haben genug Auslauf im Stall und ausreichend Platz für den Nestbau,sie leben auch länger als normale Hühner und legen mehr Gewicht zu, und trotzdem -Hochleistungsgeflügel bleibt Hochleistungsgeflügel, darauf gedrillt, Tag für Tag so viele Eier wie möglich zu produzieren."
Solche High End Hühnersind im Grunde nichts anderes als extrem verwöhnte Bodybuilder - wehe, der Bio-Bauer karrtdas Futter mal nicht pünktlich an, dann bricht im Bio-Stall augenblicklich die Bio-Hölle los.
"Die gehen sich gegenseitig an die Kehle, so auf die Minute genau sind die aufs Fressen geeicht. Noch schlimmer ist es nur, wenn eines der Hühner plötzlich krank wird und Schwäche zeigt. Sofort macht sich der Rest der Bande über das arme Tier her.Die Hühner geraten in einen regelrechten Blutrausch und picken dem Artgenossen die Augen aus und hacken ihn zu Tode, wenn der Bauer nicht aufpasst und rechtzeitig eingreift."
Es ist das Adrenalin, das die Viecher dermaßen aggressiv macht, egal, ob sie nun herkömmlich oder unter Bio-Bedingungen gehalten werden. Organische Broilerbekommen lediglich das bessere Futter und sind etwas komfortabler untergebracht. Vielleicht schmeckendie Eier auch etwas mehr nach Ei und weniger nach Fischfutter,das ist aber auch alles.Da soll man sich nichts vormachen, sagte sie.
Warum wir uns an einem Abend des Jahres 2009 darüber unterhalten haben?Weil Report Mainz heimlich gedrehte Aufnahmen aus Mast-Farmen zeigte, die zum Geflügelkonzern Wiesenhof gehörten.Zu sehen waren"Impftrupps", die von Hof zu Hof unterwegs waren und kranke Hühner aus dem Verkehr zogen, indem sie deren Köpfe gegen Eisengitter schleuderten, so lange, bis sie sich nicht mehr rührten. Andere Tiere wurdenzu Tode getreten. Das Bildmaterial wurde so lange wiederholt, bis auch der letzte Zuschauer Hass auf diese komplett verrohten "Impftrupps" aufbaute. Ich war kurz davor, in den Fernseher zu steigen und alles abzuknallen, was auch nur im entferntesten mit Chicken McNuggets zu tun hatte.
Dann hielt ich inne.Ich fragte mich, wie ich mich als Arbeiter eigentlich verhalten würde in solch einer riesigen Geflügelhalle - täglich dem Lärm und bestialischen Gestank ausgeliefert, im Nahkampf mit zusammengepferchten, tief unglücklichen Viechern, die panisch um sich schlagen, sobald ich sie zu packen versuche? Würde ich meinen Hass auf diesen elenden Job nicht irgendwann auch auf diese armen elenden Kreaturen projizieren? Würde ich nicht irgendwann auch die Nerven verlieren, wenn ich mich ständig von Dutzenden hypernervöser Tiere umgeben sähe, die vor lauter Angst nur so um sich scheißen?
"Ach was! Die Arschlöcher, die da arbeiten, verlieren doch nicht die Nerven, nein, die treten ganz routiniert zu, das sieht man doch!" empörte sich die Gräfin, die nach solchen TV-Aufnahmen regelmäßig keinen Schlaf findet. "Die haben null Mitgefühl. Die disqualifizieren sich als Mensch, wenn sie so etwas machen."
Sie lag im Bett und heulte. Sie versteht Menschen nicht, die in Legebatterien und auf Mastfarmen arbeiten.
"Was heisst Menschen, es sind immer nur Männer, die solche Jobs machen. Oder hast du da je eine Frau gesehen? Niemand zwingt euch Typen schließlich dazu, in so einem Hühner-KZ zu arbeiten."
Stimmt schon. Aber komischerweise stehen die meisten Hühner-KZ's im strukturschwachen Osten, hielt ich dagegen. Wo es sonst kaum Jobs gibt.
"Was also, wenn ich vier Kinder zu versorgen habe und weit und breit ist keine Arbeit in Sicht? Mach ich da nicht auch den letzten Scheißjob, wenn mir nichts anderes übrigbleibt?"
"Nee, das ist kein Argument. Selbst wenn du für zehn Kinder sorgen musst,du hast immer noch ein Gewissen. Brot geht nicht vor Leid, das du einem anderen Geschöpf antust."
Natürlich hatte sie recht. Aber manchmal halte ichschon aus Prinzip dagegen. Besonders, wenn die Lage so klar erscheint, wenn kaum eine andere Meinung möglich ist.
Zum Schluss plädierte sie dafür, in Deutschland wieder Raubtiere anzusiedeln, wie in den guten alten Zeiten, und nicht nur weißes Brustfleisch.
"Der Mensch braucht in seinem Lebensraum echte Freßfeinde, damit erdas Leben zu würdigen weiß", sagte sie. "Löwen, Hyänen, Krokodile. Dann wird er vielleicht auch wieder etwas kleinlauter und demütiger."