Quantcast
Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
Viewing all articles
Browse latest Browse all 495

Der Mongolenfleck

$
0
0

 

September 1985. Keine Woche nach der bestandenen Führerscheinprüfung hatte sich Lena einen Golf zugelegt, ein ausrangiertes Postauto, direkt aus der Schrottverwertung. 200 Mark angezahlt, angemeldet, losgebraust. Ein Riss im Auspuff ließ den Motor so laut dröhnen, als böge ein Panzer um die Ecke auf dem Weg nach Stalingrad.

„Und dann sieht man dieses kleine gelbe Postäuteken..“

„Ja, schon gut.. Morgen schraubt mir der Mechaniker eine neue Pfanne drunter. Hat er mir versprochen.“

Aber sicher doch, sagte ich. Klar doch. Schrauber sind dafür bekannt, dass man sich auf ihr Wort verlassen kann. Das sind Ehrenmänner. Wenn ein Schrauber etwas verspricht, dann geht das klar. Das ist Gesetz. Ehernes Schraubergesetz.

„Sei nicht immer so ironisch", unterbrach sie mich. "Der macht das schon, der kleine Andi. Auf den kann man sich verlassen“

„Ach wie, der heißt auch Andi..?”

„Genau. Alle lieben Jungs heißen Andi. Weißt du doch..“

Sie war noch nicht ganz firm mit der Schaltung. Als sie unterm Fenster vorgefahren kam, ruckelte der Wagen und machte Männchen.

„ICH HAB IHN! ICH HAB IHN!“ rief sie und stand vor Freude auf der Hupe, als hätte sie wochenlang von nichts anderem gesprochen, dabei hörte ich zum ersten Mal von dem Wagen. Aber ich war nicht mehr Teil ihres Lebens, ich gehörte nicht mehr richtig dazu. Ich war auf dem Weg zum Ex, den man mehr aus Gewohnheit noch über eine Neuanschaffung informierte. Vielleicht war ich auch schon der Ex.

Ich war erledigt.

Sie stieg aus und stürmte die Haustreppe hinauf. Es war genau dieses forsche fröhliche Klappern ihrer Absätze, das ich noch Monate nach unserer Trennung vermisste. Einmal hockte ich auf dem Lokus und glaubte, ihr Geklapper zu hören. Ich sprang auf, die Hose auf den Fußknöcheln, und stolperte im Geisha-Schritt zur Tür, um nachzusehen, ob sie zurück war.

„Ich hab ihn!“ rief sie und warf mir den Zündschlüssel zu, den ich lässig auffing. Ich saß am Küchentisch und futterte von dem aufgewärmten Scharfen Reis, den sie ein paar Tage zuvor gekocht hatte, unser Leibgericht.

„Das ist der glücklichste Tag in meinem Leben!“ Sie war völlig überdreht.

„Willst du auch was essen?“ fragte ich, obwohl der Topf auf dem Herd so gut wie leer war. Doch ich kannte ihre Antwort bereits, da konnte man das ruhig riskieren.

„Ach wo, ich hab keinen Hunger. Ich bin viel zu aufgeregt. Komm, lass uns eine kleine Tour machen. Mal sehen, wie das Kätzchen schnurrt.“

„Wohin?“

„Wie, wohin?? Ist doch schnuppe, wohin. Zuerst zur Waschanlage, neues Schwein muss sein.“

Herbstlaub übersäte die Schillerstraße, wobei überreifes Birnengelb dominierte. Welch hübscher Kontrast zum Postautogelb. Sie fuhr so unsicher und übermotiviert, ich war heilfroh, dass Sicherheitsgurte Pflicht geworden waren.

„Seit wann schnallst du dich an? Freiwillig!“ gackerte sie. „Mach ich dich etwa so nervös?“

Der Wagen legte einen jähen Schlenker ein, dass ich mir nicht sicher war, ob sie es extra machte oder ob sie es nicht besser konnte. Beide Versionen machten mich krank. Als wir auf das Gelände der Tankstelle einbogen, begann der Kühler zu dampfen. Ah, ist schon okay, meinte Lena. Ah gut, sagte ich. Ich wusste nicht, wie so ein Auto funktioniert. Auf dem Beifahrersitz Platz nehmen war meine größte fahrerische Leistung.

Mitten auf der Waschstraße plötzlich ein Scheppern. Der Betreiber der Anlage stoppte den Betrieb und schrie, wir sollten im Wagen bleiben. Nicht aussteigen! Das hintere Nummernschild war abgefallen. Später, als der Wagen picobello glänzte, chromgelb, streikte der Motor und wir kamen nicht vom Fleck. Ich schob die Kiste quer über den Parkplatz. Lena rief den Mechaniker an. Den Schrauber, den Andi. Er hatte sich den Finger gebrochen und konnte nicht kommen. Seine Ferndiagnose: "Die Batterie ist alle. Aber ihr seid doch sowieso gerade auf ’ner Tankstelle..“

Auf so Typen steh ich ja total, knurrte ich.

„Ach, maul nicht immer nur rum. Hilf mir lieber.“

Lena organisierte einen Schraubenzieher und zeigte mir, wie man eine eingerostete Batterie aus dem Motorraum schält. Alles war voller Öl und Schmiere, eine einzige zähflüssige Paste. Sei nicht immer so zaghaft, sagte sie, du musst mal richtig rangehen. He, lass das, ich mach das auf meine Art, gab ich genervt zurück. Schon mein Vater hatte mir in der Kindheit alles aus der Hand genommen, weil ich mich handwerklich ungeschickt anstellte. Ich stieß mit der Schulter gegen die Stange, die die Motorhaube oben hielt, und das Ding knallte mir auf den Kopf, genau auf die Fontanelle. Ausgerechnet da, wo von Geburt an diese kahle Stelle war, die sich mit der Zeit zu einer warzigen kleinen Kraterlandschaft gemausert hatte, nur notdürftig überdeckt von den benachbarten Locken. Lena konnte sich das Lachen kaum verkneifen.

„Sag bloß, dein Grützbeutel ist aufgeplatzt..“

Grützbeutel. Was für mich eine perfide Form von Kopfkrebs darstellte, war für sie eine lästige Hautveränderung. Dabei waren im Mumms schon Leute auf mich zugekommen und hatten gefragt, ob sie das Ding mal sehen könnten, da oben. Es hatte sich herumgesprochen, dass da was an meinem Kopp war. Ein Karbunkel, laut Benzini. Ne fiese Fistel, diagnostizierte der dicke Hansen. Ne Grützwurst.

„Geh endlich zum Doc“, meinte Lena genervt, „dann weißt du, woran du bist.“

Zum Arzt trauen. Die Wahrheit erfahren. Allein die vielen Muttermale, die meinen Körper eindecken und der strengen norditalienischen Blutlinie meiner Mutter entstammten, machten mich nervös.

"Ist bestimmt ein Malinom", sagte ich.

„Karbunkel!“ grölte Benzini.

Ich legte mir den Krankenschein raus und schrieb Die Wahrheit küsst man nicht in mein Notizbuch – ohne genau zu wissen, was ich damit meinte. Aber wusste man das je genau. War einem je bewusst, was einem so alles rausrutschte. Gelegentlich haute ich einen Satz ins Notizbuch, den ich im ersten Moment als Türöffner in eine goldene Zukunft feierte, und zwei Tage später, beim Durchblättern, hinterließ er nur Stirnrunzeln und Kackreiz.

Spät in der Nacht. Ich wartete auf Lena, dass sie vom Kellnern kam. Ich guckte in den blöden Fernseher, schlief immer wieder ein. Obwohl die Luft herbstlich kühl war, blieb das Fenster geöffnet, damit ich ihr Auto hörte. Um vier war sie endlich da. Warum hast du nicht angerufen und Bescheid gesagt, dass du so spät kommst? Mich nervt, wenn ich nicht weiß, ob du noch kommst. Wieso, hier bin ich doch. Freust du dich nicht? Wenn du dich nicht freust, brauche ich auch nicht mehr zu kommen. Doch, ich freu mich. Einen Scheiß freute ich mich. Sie blieb bis zum Morgen.

Lena erzählte von schwierigen Kneipengästen, mit denen eine Kellnerin zurechtkommen muss. „He, schöne Frau, bringen Sie mir irgendwas, wovon Sie glauben, dass es zu mir passt.“ Aber wehe, der Kerl kriegt dann nicht das, wovon er glaubt, dass es ihm gut steht. Na, dann kann der Blödmann das doch gleich selbst bestellen, sagte ich, wenn er doch sowieso keine Überraschung erträgt. Siehst du, sagte sie. Du bist auf meiner Seite, aber du stehst nicht nachts am Tresen. Wie ich stehe nachts nicht am Tresen? Na ja, du stehst natürlich schon irgendwo nachts am Tresen, aber nicht da, wo ich kellnere. Das Leben wurde immer komplizierter. Jetzt versuchte man mir schon vorzuschreiben, wo ich mich betrinken sollte.

Nachdem sie den Stress aus der Kneipe erstmal runtergefahren hatte, waren wir ganz lieb zueinander. Es klappte immer noch mit uns. Sex ist das tollste, las ich Tage später im Notizbuch. Das waren die Sätze, die keine Fragen offen lassen. Aber es waren meist kurze Sätze. Trockene Kameraden. In den Wind gekritzelt.

Am nächsten Morgen. Punkt acht begann ein Bautrupp die Fahrbahndecke der Schillerstraße aufzureißen, der Lärm zerrte an den Nerven. Als die Pressluftbohrer eine Pause einlegten, hatte Lena es plötzlich sehr eilig. Sie hatte die Mittagsschicht im Nordpol. Aber du musst doch erst um elf da sein. Ja, aber vorher muss ich noch duschen. Du kannst doch auch hier duschen. Ja, aber ich muss mit Jacki klären, wie wir das mit dem Umzug machen. Ich muss los. Ich ruf an.

Ich öffnete das Fenster in dem Moment, als sie losfuhr. Sekunden später ein dumpfer Aufprall: Sie setzte den Golf vor ein parkendes Auto. Ich sah sie zornig aus dem Wagen springen, „Verdammte Karre!“ Bis ich mich angezogen hatte und draußen war, war sie schon abgedampft. Das hintere Nummernschild hatte sich gelöst und kratzte über die Straße, als wäre sie auf dem Weg zum Polterabend gerwesen. Ich sah die Kiste am Horizont verschwinden.

Um zehn hatte ich den Termin beim Dermatologen. Die befürchtete Horrormeldung blieb aus. Der alte persische Hautarzt, der mit seinem Vollbart aussah wie ein mopsiger Mullah, diagnostizierte irgendwas Lateinisches und fügte hinzu, dass es sich bei der fraglichen Stelle um eine angeborene Anomalie handeln müsse. Stimmt, sagte ich überrascht, das hab ich von klein auf da oben. Woher weiß der Mann das? Alles kein Problem, sagte er, Warze wird mit flüssigem Stickstoff entfernt. Dauert paar Sitzungen. Ist harmlos. Ist Mongolenfleck. nuschelte der mopsige alte Mullah versonnen. Ist selten.

Er wisse von einem arabischen Adelsgeschlecht, das den Mongolenfleck als Familienstempel von Generation zu Generation weiter vererbt habe, in den guten alten Zeiten. Und dass die Warze irgendwann einfach abfallen würde, nach der vierten oder fünften Behandlung mit Stickstoff.

Na, das war doch mal ganz nach meinem Geschmack. Dinge, die sich von ganz allein regelten, die zu Boden fielen und futsch waren, weg damit, ahoi, auf immer und ewig. Andererseits.. war ich so anhänglich, so verdammt loyal, ich vermisste selbst die schlimmsten Dinge, wenn sie mich plötzlich verliessen, sie mussten nur lange genug bei mir gewesen sein.

"Sie haben es gerne kompliziert, was?" meinte die Sprechstundenhilfe.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 495