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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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Sie sagte Elvis Presley

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Im August jährt sich sein Tod zum vierzigsten Mal.

"Stell dir vor, Elvis würde in Bremerhaven wiederauferstehen, geklont aus altem Militärmaterial", sage ich, als wir über die Trasse nach Hause spazieren.

Ihr Gesicht leuchtet, aus lauter Freude über den Vorschlag.

"Elvis klonen! Was glaubst du, was da los wäre in der Welt. Was eine Karte für seine erste Las Vegas-Show kosten würde."

"The King is back", sag ich.

Als ich sie 1987 kennenlernte und fragte, welche Musik ihr gefiele, rechnete ich mit irgendwas zwischen Reggae und The Smiths, stattdessen antwortete sie ohne zu zögern: Elvis Presley.

Sie sagte nicht Elvis, sie sagte Elvis Presley. Und dass sie nicht nur den schlanken jungen Fünfzigerjahre-Rocker liebte, sondern auch den späteren Rezeptfälscher und strassbesetzten Las Vegas-Elvis, ohne Wenn und Aber.

"Elvis war meine erste große Liebe", sagte sie und fügte hinzu, "Presley."

Dass sie heute wie damals seinen ganzen Namen ausspricht, liegt auf der Hand.

"Wenn ich die Ehefrau von Uwe Seeler wäre, würde ich auch nicht Uwe zu ihm sagen oder Schatzi oder so'n Scheiß, nee, ich würde Uwe Seeler sagen zu Uwe Seeler, ganz klar."

Als sie an einem heißen Augusttag 1977 von Elvis Presleys Tod erfuhr, "wir unterbrechen das laufende Programm des WDR für eine Sondermeldung", war sie fast fünfzehn und schwer betrübt. Eine Welt ohne Elvis schien für sie nicht vorstellbar.

Sie schluchzte den ganzen Tag.

Die großen Ferien 1977 waren für sie noch aus einem anderen Grund etwas Besonderes. Ihre Eltern und ihre kleine Schwester waren erstmals ohne sie in Urlaub gefahren, sie hatte drei Wochen lang sturmfreie Bude, die sie mit ihrer Busenfreundin Pia teilte: Sie kam jeden Tag zum Erdbeerenessen.

"Das Flapsige an Pia vermisse ich enorm. Auf der Schule waren wir nicht als Freundinnen verschrien, sondern als Schwestern. Obwohl sie blond war und ich dunkelhaarig. Aber in der Physiognomie waren wir uns ähnlich. Als mir letztens ein altes Foto von uns beiden in die Hände fiel, habe ich einen richtigen Schreck gekriegt. Vor der Nähe, die von dem Bild ausging und zu der ich heute gar nicht mehr fähig bin."

Der Sommer 77 war der Sommer der Erdbeeren, es gab Erdbeeren in Hülle und Fülle, Erdbeeren, wohin man auch blickte, es war die totale Rekordernte. Als wollte die Natur dem Abgang des Kings mit aller Macht etwas entgegensetzen. Pia und die Gräfin mixten sich kühle Erdbeer-Shakes und saßen in der Hitze auf dem geteerten Garagendach und hörten Elvis-Songs, die rund um die Uhr im Radio gespielt wurden. "In the Ghetto", der letzte große Elvis-Hit, verkaufte sich millionenfach.

Der King war tot.

"Wenn die Deutschen Elvis klonen, müssen sie auch Elvis' Mutter wiederauferstehen lassen", sagt sie. "Elvis hat seine Ma doch so sehr geliebt und verehrt. Und Peter Sellers gleich mit, ja, der muss auch wieder lebendig werden."

"Sellers...? Wieso ausgerechnet Peter Sellers?"

"Weil Elvis so gelacht hat, wenn Inspektor Clouseau in seinem Privatkino auf Graceland vorgeführt wurde. Und Elvis hatte so eine schöne Lache. So breit und ausgelassen."

"Na logisch, mit der Stimme kann man ja nur eine schöne Lache haben."

Mit "Hound Dog" gelang Elvis die vielleicht rebellischste Rock'n Roll-Nummer aller Zeiten. Wenn ich den Song als Teenager auflegte, schleuderte ich mich wie ein durchgeknallter Bodenturner gegen die Wände unseres Kinderzimmers. Und damals hatte der Song schon zwanzig Jahre auf dem Buckel.

Selbst heute noch, wenn in irgendeinem US-Film "Hound Dog" angespielt wird, seh ich mich voller Verachtung Wände anspringen, wenn auch nur noch im Geiste, bleibe ich bei solchen Aktionen mittlerweile gemütlich im Bett liegen. Zwar bin ich meinem Kinderzimmer nie wirklich entwachsen, aber im Rücken schon.

Vom Hörensagen kenne ich nur: Elvis und sein berühmter Lachanfall. Es geschah mitten in "Are you lonesome tonight" im Hilton International, Las Vegas, als er spontan den Text des Liedes änderte: Eigentlich hätte er singen müssen: "Do you gaze at your doorstep and picture me there?"; heraus gekommen ist stattdessen: "Do you gaze at your bold head and wish you had hair?" Als daraufhin jemand aus den vorderen Reihen mit seinem Toupet gewunken hat, war es mit Elvis komplett vorbei. Er bekam einen Lachkrampf während die Background-Sängerin sich nicht aus der Ruhe bringen ließ und weiter sang.

Ich habe die Aufnahme zwar nie gehört, aber oft erzählt bekommen, dass mir so ist, als hätte ich sie hundert Mal gehört, und so ist es ja auch richtig. So soll es sein, mit Mythen und Legenden. Man ist ja selten bis nie dabei, wenn Gott die zehn Gebote ausruft, also liest man das Alte Testament.

Eine Weile waren wir richtig hinter dem Song her, haben Flohmärkte und Plattenbörsen abgeklappert. Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, über die Deutsche Elvis Presley-Gesellschaft rauszukriegen, auf welchem Live-Album die Nummer ist, aber das war es irgendwie nicht. Wir haben den Song bis heute nicht aufgetrieben, und mittlerweile wollen wir es auch nicht mehr, in Zeiten, wo YouTube jeden Furz veröffentlicht, hat der Pop seine Rätselhaftigkeit verloren.

Zumal es viel schöner ist, mit der Ahnung von Schönheit durchs Leben zu spazieren als der Schönheit selbst zu begegnen. Es ist wie mit dem Träumen. Den ganzen Tag läufst du mit dem Geschmack eines Traumes durch die Gegend, bis am Abend nur noch ein letzter Kitzel übrig ist, eine flüchtige süße Unkenntnis.

So soll es sein.

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