Â
Man braucht zwei Leben. Eins, um zu kapieren, was richtig ist und was nicht, und eins, um sich gelegentlich danach zu richten und den Fisch zu fangen.
*
Es wollte sich mit mir treffen, das junge Frl. Weiden. Es jobbte als Zimmermädchen im Turmhotel. Es war keine zwanzig, schätzte ich, ein bisschen jünger als ich, und trug gern luftige Sommerkleidchen. Es war keinem bestimmten Jahrzehnt zuzurechnen, das Fräulein, die Zeit hatte es links liegen lassen, das muss kein Unglück sein. Frl. Weiden, so hatte man es mir vorgestellt, hatte etwas unschuldiges an sich, doch dahinter verbarg sich ein Früchtchen, ja ein ganzes Früchtchenfeldlager, so meine Vermutung.
Es war viertel vor sieben in der Früh, wir standen in der Hotelküche und schauten aus dem Fenster des 11. Stockwerks. Es duftete nach kandierten Früchten, nach Kirmes, das kam von ihrer Nähe, von der vielen Haut, die sie zeigte, und vom Rummel, der am Weyersberg stattfand.
"Nachmittags treffe ich mich mit meinen Leuten unten im Karstadt-Cafe", sagte sie. "Hast du nicht Lust, auch mal zu kommen? Heute Nachmittag? Wir sitzen immer am selben Fenster. Wir machen viel Unsinn. Wir lachen viel."
Ich starrte sie an. Meinte sie das ernst? Ich war ein Trinker, ein Kiffer, ich hatte Amphetamine in der Tasche.. Ihre Worte erinnerten mich an die Fünf Freunde von Enid Blyton. Sie hatte schöne Arme. Ihre Stimme zitterte ein bisschen. Es war ein Versuch gewesen, sie hatte etwas gewagt. Sie wollte sehen, ob ich auf ihren Vorschlag einging.
Eine Viertelstunde noch, dann würde die Chefin eintrudeln, sie kam stets Punkt 7, wenn sie Frühdienst hatte. Ich spielte mit dem Wunsch, das Zimmermädchen zu küssen, ihr die Zunge in den Hals zu schieben, und überlegte, ob es mir dabei gelingen würde, Frl. Weiden in die Wäschekammer zu bugsieren, Schritt für Schritt. Es war Sonntagmorgen. Der Frühstücksraum war leer. Das Buffet noch im Kühlschrank.
"Wir trinken Kaffee, auch mal eine Limonade, und Gerti kann gut Witze erzählen, das musst du hören. Wir lachen uns immer schlapp. Wir treffen uns um fünf. Wenn du Lust hast.."
Die Morgensonne strahlte ihr gelbes Kleid an. Als die Chefin einmarschierte, kurz nach 7, zog Frl. Weiden einen Stapel Handtücher aus dem Wäscheregal und füllte den Wagen auf.
*
In diesem ganzen Haufen von Dilettanten und Geldabschneidern wird es zunehmend schwieriger Leute zu finden, die ihren Job gern machen, die motiviert sind, denen man noch vertrauen kann, dass sie das, was sie tun, nicht nur des Geldes wegen tun. Warum das so wichtig ist? So entscheidend? Weil der Mensch, der vor dir sitzt, dein Notarzt sein kann.
*
Woran man spürt, dass man allmählich ältere Herrschaft wird? Wenn im Gespräch mit Gleichaltrigen zunehmend Floskeln auftauchen wie ÂDas ist Verschleiss, da kann man nix machenÂ. Oder: "Der Arzt sagt, ich soll mehr trinken."
Da wünscht man sich manchmal, man hätte noch die Kraft, die man mit Mitte zwanzig hatte, auf dem Höhepunkt, als man selbst vollgeschissen noch gut aussah, von hinten.
Wir waren exakt Mitte vierzig, (also vor 10 Jahren), als die Gräfin mir von diesem Traum erzählte. Sie hatte von einem Mann und einer Frau geträumt, die sehr bedächtig auf einer Parkbank saÃen und uns erklärten, dass sie genug hätten von diesem albernen Leben. Dass es an der Zeit sei, endlich ernsthaft zu werden.
Ernsthaft, nicht erwachsen.
ÂWir haben genug gelacht in diesem Leben.Â
Eine Traumsequenz weiter saà dasselbe Pärchen in unserer Wohnküche und demonstrierte geduldig, wie man sich gegenseitig die Finger bricht. Eine überraschend mühelose Angelegenheit. Ein leichtes Knicken nur. Als wären es Federn.
ÂAltwerden ist nichts anderes als das Wegbrechen von Flügeln, an deren Stelle nichts nachwächstÂ, sagte die Frau. "Aber wer nicht mehr fliegen kann, hat automatisch mehr Zeit für den Erdboden.Â
*
Manchmal möchte ich noch mal zwölf sein und mittags von der Schule heimkommen, die Kinderstunde bringt Pan Tau, Mutter macht mir einen Becher Kakao, aber nicht diesen fair gehandelten Bio-Kakao, sondern Kaba.
Oder elf.
*
Aufwachen am Morgen und am Leben sein, welch ein Privileg! Und womöglich scheint noch die Sonne! Ja, genau! Konsequente Weltklasse!
*
 The old man and me, JJ Cale
Man braucht zwei Leben. Eins, um zu kapieren, was richtig ist und was nicht, und eins, um sich gelegentlich danach zu richten und den Fisch zu fangen.
*
Es wollte sich mit mir treffen, das junge Frl. Weiden. Es jobbte als Zimmermädchen im Turmhotel. Es war keine zwanzig, schätzte ich, ein bisschen jünger als ich, und trug gern luftige Sommerkleidchen. Es war keinem bestimmten Jahrzehnt zuzurechnen, das Fräulein, die Zeit hatte es links liegen lassen, das muss kein Unglück sein. Frl. Weiden, so hatte man es mir vorgestellt, hatte etwas unschuldiges an sich, doch dahinter verbarg sich ein Früchtchen, ja ein ganzes Früchtchenfeldlager, so meine Vermutung.
Es war viertel vor sieben in der Früh, wir standen in der Hotelküche und schauten aus dem Fenster des 11. Stockwerks. Es duftete nach kandierten Früchten, nach Kirmes, das kam von ihrer Nähe, von der vielen Haut, die sie zeigte, und vom Rummel, der am Weyersberg stattfand.
"Nachmittags treffe ich mich mit meinen Leuten unten im Karstadt-Cafe", sagte sie. "Hast du nicht Lust, auch mal zu kommen? Heute Nachmittag? Wir sitzen immer am selben Fenster. Wir machen viel Unsinn. Wir lachen viel."
Ich starrte sie an. Meinte sie das ernst? Ich war ein Trinker, ein Kiffer, ich hatte Amphetamine in der Tasche.. Ihre Worte erinnerten mich an die Fünf Freunde von Enid Blyton. Sie hatte schöne Arme. Ihre Stimme zitterte ein bisschen. Es war ein Versuch gewesen, sie hatte etwas gewagt. Sie wollte sehen, ob ich auf ihren Vorschlag einging.
Eine Viertelstunde noch, dann würde die Chefin eintrudeln, sie kam stets Punkt 7, wenn sie Frühdienst hatte. Ich spielte mit dem Wunsch, das Zimmermädchen zu küssen, ihr die Zunge in den Hals zu schieben, und überlegte, ob es mir dabei gelingen würde, Frl. Weiden in die Wäschekammer zu bugsieren, Schritt für Schritt. Es war Sonntagmorgen. Der Frühstücksraum war leer. Das Buffet noch im Kühlschrank.
"Wir trinken Kaffee, auch mal eine Limonade, und Gerti kann gut Witze erzählen, das musst du hören. Wir lachen uns immer schlapp. Wir treffen uns um fünf. Wenn du Lust hast.."
Die Morgensonne strahlte ihr gelbes Kleid an. Als die Chefin einmarschierte, kurz nach 7, zog Frl. Weiden einen Stapel Handtücher aus dem Wäscheregal und füllte den Wagen auf.
*
In diesem ganzen Haufen von Dilettanten und Geldabschneidern wird es zunehmend schwieriger Leute zu finden, die ihren Job gern machen, die motiviert sind, denen man noch vertrauen kann, dass sie das, was sie tun, nicht nur des Geldes wegen tun. Warum das so wichtig ist? So entscheidend? Weil der Mensch, der vor dir sitzt, dein Notarzt sein kann.
*
Woran man spürt, dass man allmählich ältere Herrschaft wird? Wenn im Gespräch mit Gleichaltrigen zunehmend Floskeln auftauchen wie ÂDas ist Verschleiss, da kann man nix machenÂ. Oder: "Der Arzt sagt, ich soll mehr trinken."
Da wünscht man sich manchmal, man hätte noch die Kraft, die man mit Mitte zwanzig hatte, auf dem Höhepunkt, als man selbst vollgeschissen noch gut aussah, von hinten.
Wir waren exakt Mitte vierzig, (also vor 10 Jahren), als die Gräfin mir von diesem Traum erzählte. Sie hatte von einem Mann und einer Frau geträumt, die sehr bedächtig auf einer Parkbank saÃen und uns erklärten, dass sie genug hätten von diesem albernen Leben. Dass es an der Zeit sei, endlich ernsthaft zu werden.
Ernsthaft, nicht erwachsen.
ÂWir haben genug gelacht in diesem Leben.Â
Eine Traumsequenz weiter saà dasselbe Pärchen in unserer Wohnküche und demonstrierte geduldig, wie man sich gegenseitig die Finger bricht. Eine überraschend mühelose Angelegenheit. Ein leichtes Knicken nur. Als wären es Federn.
ÂAltwerden ist nichts anderes als das Wegbrechen von Flügeln, an deren Stelle nichts nachwächstÂ, sagte die Frau. "Aber wer nicht mehr fliegen kann, hat automatisch mehr Zeit für den Erdboden.Â
*
Manchmal möchte ich noch mal zwölf sein und mittags von der Schule heimkommen, die Kinderstunde bringt Pan Tau, Mutter macht mir einen Becher Kakao, aber nicht diesen fair gehandelten Bio-Kakao, sondern Kaba.
Oder elf.
*
Aufwachen am Morgen und am Leben sein, welch ein Privileg! Und womöglich scheint noch die Sonne! Ja, genau! Konsequente Weltklasse!
*
 The old man and me, JJ Cale