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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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Biometrisch - versteht sich

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Dass mein Pass anderthalb Jahre abgelaufen war, hatte so lange keinen gestört, wie ihn niemand sehen wollte. Dann wollte man meinen Pass sehen, wegen einer Zeugenaussage. Keine große Sache. Ich rief beim Bürgerbüro an.

Kann ich meinen alten Perso verlängern?

Da müssen Sie sich aber ranhalten. Ab Februar gibt es nur noch die neuen Ausweise. Biometrisch, versteht sich.

Ja gut. Mein alter Ausweis ist aber abgelaufen, gab ich zu bedenken. Seit achtzehn Monaten.

Nein, dann natürlich nicht. Bereits abgelaufene Ausweise können nicht verlängert werden. Das wäre ja noch schöner. Bringen Sie den alten Pass mit und ein neues Foto.

Ein Automatenfoto, wie früher?

Ja, im Prinzip schon, aber biometrisch. Versteht sich. Oder Sie gehen ins Fachgeschäft.


Ein harter Wind trieb durch die Innenstadt, als ich an Altweiber unterwegs war, um den neuen E-Pass zu beantragen. Erstmal das Foto machen. Den Automaten hatte man praktischerweise direkt vorm Bürgerbüro aufgestellt.

Bitte Kleingeld bereithalten – Automat wechselt nicht. Eine weibliche Stimme führte durchs Menü. Bitte gerade sitzen. Bitte nicht wackeln. Bitte beachten Sie die Maske.

Ich drückte mein strubbeliges Haar platt, vom Wind aufgerieben stand es in tausendundeiner Richtung. Weil es geplättet aber piefig aussah, brachte ich das Haar wieder durcheinander. Dann war da noch die Brille. Wenn man Pech hatte, spiegelten sich die Gläser später auf dem Passbild, was das Bürgerbüro dann beanstandete, und du musstest ein neues Foto heranschaffen.

Erzählte mir jemand, der es wissen musste. Eine Dame. Sie kam brühwarm aus dem Bürgerbüro, vor Wut schnaubend, und schaute in den Automaten rein.

"Nehmen Sie die Brille besser gleich ab. Dann passiert Ihnen das nicht, was mir passiert ist."

Na gut - die nervte sowieso, die Brille. Bitte nicht wackeln. Bitte den Kopf gerade halten. Beachten Sie die Maske. Die Nase liegt nicht auf der Mittellinie. Ich sah keine Mittellinie. Ich hatte meine scheiss Brille nicht auf. Wie sollte ich da was sehen. Brille wieder auf, gucken, wo diese Mittellinie war. Nase ausrichten, Brille wieder runter. Blick in die Kamera. Bitte nicht lächeln. Wie - bitte nicht lächeln!? Wer lächelte denn hier! Ich versuchte bloß irgendwie den Mund flauschiger zu kriegen, den Morgenzement aus der Fresse zu kicken. Nein, wenn ich lächelte sah das anders aus, guter Apparat. Das hätte den Rahmen gesprengt. Das wäre so in die Breite gegangen, das Lächeln, bis es eigenständig die Kabine verlassen hätte und über die Straße gerannt wär – und wäre dann ein Auto des Weges gekommen, wäre wieder ein Lächeln weniger gewesen in der Welt. Wollte das etwa jemand?!

Aus lauter Sorge, das Passbild zu verbocken, war ich so angespannt, dass mir die Mundwinkel runterrutschten in die Halsfalten, ich sah aus wie ein Sack schlechter Laune. Ich sah so was von beschissen aus. Und plötzlich:

GRELLLA! BLLITZZZ!

Das Foto war geschossen. Der Automat knipste ein einziges Mal. Nicht wie früher vier Mal hintereinander. Wo man also drei Mal die Chance hatte, die dämliche Fresse vom ersten Versuch auszubügeln. Vorbei. War nicht mehr vorgesehen. Das Leben ließ nur noch eine Maximal-Chance zu.

Entscheide dich – aber du hast nur eine einzige Wahl.

Vorteil: Musste man bei alten Passfotoautomaten stets zwei, drei Minuten in Kauf nehmen, bis die Fotos endlich ausgespuckt wurden, noch ganz warm vom innermaschinellen Brutvorgang, so war auch das vorbei. Kaum aus der Kabine gestiegen, lagen die Fotos schon bereit im Ausgabeschacht, und sie waren ganz kühl. Kühlschrank-Perso.

Als ich die Bilder betrachtete, war ich irritiert. Erst glaubte ich, meine Vorgängerin hätte eventuell vergessen, ihre Bilder mitzunehmen. Ich schaute sie mir genauer an. Das Gesicht hatte Ähnlichkeit mit einem Arsch, den ich von früher kannte. Jemand, der aussah wie sein eigener Haus-Notruf im Altenheim. Himmel.

DAS WAR ICH!!!

Ein verkackter Rentner!


Altweiberdonnerstag, das Bürgerbüro war lustig geschminkt. Luftschlangen summten von der Decke, es gab Erdnuß-Flips in offenen Schälchen, Mitarbeiterinnen in Kostümen. Ich zog die Nummer 643 und setzte mich. Karnevalsmusik und Bützchen, Strüssjer. Als ich aufblickte, stand da oben:

648.

Verdammt! Ich hatte fünf närrische Nummern verpennt. Ich drängelte mich nach vorn durch. Zum Schreibtisch 1.

„Ich hab nichts gehört, junge Frau, die Musik ist zu laut.. Hier, die 643, mein Zettel, ich bin längst dran...“

Die junge Frau im pailettenbesetzten Matrosenkostüm war etwa sechzig Jahre alt und blickte kaum auf.

Hätten Se besser aufpassen sollen.

"Ich hab aufgepasst! Aber die Musik ist zu laut. Da versteht man nix."

Setzen Se sich. Foto dabei?

Ich legte alles hin, was ich hatte. Das Foto in vierfacher Ausfertigung, alter Ausweis, Formalitätenkram..

Körpergröße?

"1 Meter 81."

Das Foto würdigte sie insofern, als dass sie eines der 4 identischen Bilder ausstanzte und zur Seite legte. Die anderen drei erhielt ich zurück.

"Wieso darf man eigentlich nicht lächeln auf dem Passfoto?" fragte ich.

Neutraler Gesichtsausdruck und Mund geschlossen is Pflicht, antwortete sie nur. Möchten Se einen Künstlernamen eintragen lassen?

Ich stutzte. Hm.. einen Künstlernamen... Ich dachte an Charlie Sheen, Tina Turner. Ha! Warum nicht.

"Ja."

Sind Se in der Künstlersozialkasse?

"Was, nee."

Bei ner Agentur unter Vertrag?

"Was, nee."

Dann wird's schwierig. Alles vorlegen, wat Se als Künstler identifiziert. Kann ja sonst jeder sagen, wa. Wie geht denn der werte Name?

"Glumm."

Nee. Der Künstlername.

"Ach so. 500beine."

Fünfhundert wat..?! Beine? Dat is aber ne Menge. Sind Se Marathonläufer?

"Nee."

Nee?

"Nee."

Na schön. Und wie schreibt man dat?

"Wie man's spricht."

Und wie spricht man dat? Zeigen Se mal.

Ich schrieb es ihr auf. Sie murrte.

Na ja, gut - ich notier mir dat einfach mal, aber da müssen Se schon noch mal wiederkommen und'n paar Sachen vorlegen ..

"Nee, schon gut. Lassen wir das. Ist ja auch mehr.. ein ehemaliger Künstlername - sozusagen. Ein Extitel."

Ein Ex-Titel..?? Wie jetzt? Sind Se gar kein Künstler? Wolln Sie mich veräppeln, Mister?!

Sie schaute zum ersten Mal auf. Das Matrosenkäppi steht Ihnen gut, wollte ich fast schon sagen. Zur Besänftigung.

"Nein nein.. Doch schon, aber.. ach egal."

Ich sagte nichts mehr. War wahrscheinlich besser so.

Na, mir doch schnuppe, Mister. Weiter im Text. Möchten Se, dass Ihre Fingerabdrücke gespeichert werden?

Meinte die das ernst?

"Die haben Sie doch sowieso schon."

Sie hörte kaum noch hin. Sie hatte mit mir abgeschlossen. Sie schaute zur Uhr.

In vier Wochen kommt ein Brief von der Bundesdruckerei. Dann warten Se noch zwei, drei Tage, dann können Se sich hier den neuen Perso abholen.

"Is recht."

Ich wollte aufstehen und gehen.

He, Moment! Zweiunddreißig sechzig, junger Mann!

Fast hätte ich gejubelt. Man sagte es immer noch zu mir! Ich war immer noch Junger Mann! Ich war nur innerlich Oppa! Am liebsten hätte ich einen Hunni auf die Theke geknallt und "Stimmt so!" gebrüllt.

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