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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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Tim war schmal geworden

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Ich hatte ihn lange nicht gesehen, ein dreiviertel Jahr vielleicht, und nun saß er neben mir an diesem langen gedeckten Tisch. Um uns herum gedämpftes Palaver. Wirtshaus-Suppe wurde aufgetragen, Brotkörbchen, Getränke. Schlagartig war Stille. Nur noch das Geklapper von Besteck war zu hören, Porzellangebell.

Es war Ringos Beerdigungsfeier. Auch Reuzech genannt: reuen und zechen.

"Wie gehts dir?" fragte ich.

"Geht so", sagte Tim.

Tim war der bescheidenste Junkie, den ich je kennengelernt hab. Es lag in seiner Natur, niemanden auf den Sack gehen zu wollen, ob mit seiner Sucht oder sonst einem Problem. Er hasste es, Leute zu belästigen. Er war ein Einzelgänger, und er war schmal geworden, noch schmaler als früher, als wir ab und zu Kontakt hatten, meist in Zusammenhang mit Ringo.

Ich mochte Tim. Es war etwas lässiges in seinem Wesen, etwas britisches, das mir imponierte. Doch nun sah er fertig aus. Geschlaucht. Heroin geht an die Nieren, Heroin zehrt. Es verschont niemanden, der sich auf dieses Leben eingelassen hat, so sehr man sich auch Mühe gibt und Normalität vorspielt.

Soviel ich wusste, hatte Tim in den vergangenen Monaten sämtliche Verbindungen gekappt. Nicht mal seine Schwester kannte noch seine aktuelle Handynummer. Aus einem Einzelgänger war ein Eremit geworden, der nur noch die nötigsten Drogen-Connections aufrecht hielt. Er war zum König der Wüste geworden, der Wüste in ihm selbst. Ein König mit einem riesigen leeren Reich, ein König ohne Macht. 

An diesem kühlen Novembertag, auf der Beerdigungsfeier von Ringo, saß er blass und durchgefroren neben mir, der Zufall hatte es so gewollt. Er zitterte, seine Nase tropfte. Die Machthaber in ihm hatten den rohstoffreichen Körper heruntergewirtschaftet, und sie gaben keine Ruhe. Der Abbau ging weiter. Sie schufteten im Akkord. Machthaber gaben sich nie zufrieden. Es gab niemals genug Macht für Machthaber.

Doch nun zog mit jedem Löffel Suppe etwas Wärme in seinen Kreislauf ein, die käsige Blässe kroch aus seinem Gesicht. Er zitterte nicht mehr, und nach einer Weile wurde Tim sogar redselig, für seine Verhältnisse. Er sah fast aus wie früher. Wie ein Ska-Boy aus Nordengland, der zum Essen geladen war.

“Tja-ja, der Ringomann”, sagte er und zeigte eine Reihe brauner Mausezähnchen, “der Ringomann hat’s hinter sich. Vielleicht ist er ja jetzt glücklich.”

Es war offensichtlich, dass Tim nicht von Ringo sprach, er sprach von sich selbst. Dass er nämlich noch mittendrin steckte, im Kampf, im Struggle mit den Machthabern. Ein aussichtsloser Fight. Es gab nur die Möglichkeit, den Kampf für beendet zu erklären und andere Wege zu gehen. Aber der Tod eines guten Bekannten, eines Freundes beinahe, denn das waren Ringo und Tim gewesen, beinahe Freunde, war noch lange kein Grund, gegen die Machthaber anzustänkern. Eine Revolution anzuzetteln, eine Revolution aus sich selbst heraus. Nein, der Tod war kein Grund, Heroin die Stirn zu bieten. Da mussten andere Motive auffahren.

“Wohnst du noch unten.. in der Papageiensiedlung?” fragte ich.

Tim löffelte die Suppe, als wäre es die erste warme Mahlzeit seit dem Krieg.

“Nee”, sagte er.

Ich blickte Tim an und fragte mich, wo zum Teufel eigentlich die Blässe blieb, wenn sie aus einem Gesicht verschwand? Wohin verkrümelte sie sich? Sie war ja nicht aus der Welt. Blässe kam wieder. Sie würde wieder Einzug halten, das stand fest, in diesem ebenmäßig geplünderten, immer noch schönen Jungengesicht.

Vielleicht ist es mit der Blässe wie mit einem Parkschein, der noch nicht abgelaufen ist und wo man sich fragt: Was ist mit der Restzeit? Ich hab noch zwanzig Minuten auf der Uhr, was mach ich damit? In den Wagen setzen und abwarten, bis die zwanzig Minuten um sind? Es ist schliesslich Zeit, für die ich gezahlt habe. Und was ist, wenn ich sofort losfahre, ohne die zwanzig Minuten abzusitzen? Wem gehört die nicht genutzte Restzeit? Wo bleibt sie? Sie ist ja nicht aus der Welt, nur weil sie nicht genutzt wurde.

Oder?

“Wo wohnst du zur Zeit eigentlich?” erkundigte ich mich.

“Hm..?”

“Wo du wohnst..”

Natürlich wollte Tim nicht darüber reden. Die Frage machte ihn nervös. Tim war nun mal kein halbwegs organisiertes Männchen, das wie jedes andere halbwegs organisierte Männchen Wert auf ein Zuhause legte, das für Weibchen verlockend war. Im Gegenteil. Tim war ein total von aussen kontrolliertes Männchen. Die Machthaber kontrollierten ihn, und sie forderten drei Pulvermahlzeiten täglich. Morgens ein Blech, mittags ein Blech, abends ein Riesenblech. Plus Tribute. Da blieb wenig Platz für Weibchen.

“..hab ich verloren”, flüsterte er.

“Was..?”

Ich hatte gerade den Tisch hinaufgeguckt, wo die Mutter von Ringo saß, eine große stolze Person, fast neunzig Jahre alt und blind löffelte sie ihre Wirtshaus-Suppe.

“Verloren.. Die Wohnung. Die Wohnung hab ich verloren.”

Welch seltsame Formulierung. Als wäre ihm die Behausung plötzlich aus der Hosentasche geplumpst und er wäre weitergegangen, als sei nichts geschehen.

“Die Miete nicht gezahlt?”

Er nickte.

“Wie lang?”

“Na.. halbes Jahr, oder so..”

“Und jetzt? Irgendwo musst du doch untergekommen sein.”

Ich blieb hartnäckig. Ich war neugierig, wo er wohnte. Wie er sich durchs Leben schlug. Durch den Alltag. Ich wollte ihn ja nicht besuchen kommen. Ich wollte nur.. Bescheid wissen.

Tim sah sich sorgsam um. Dreißig, vielleicht vierzig Leute waren nach der Zeremonie in der Friedhofskapelle in die Gaststätte gefolgt, Verwandtschaft und Freunde von Ringo, zum Leichenschmaus.

Reuzech.

“Im alten Proberaum.”

“Was denn?” stutzte ich. “Im alten Proberaum am Nordbahnhof schläfst du..??” In der stillgelegten alten Fabrik, wo der Bruder vom dicken Hansen mit seiner kubanischen Tanzkapelle geprobt hatte, als er noch nicht in Köln lebte? “Das ist doch arschkalt da. Da ist doch keine Heizung drin.”

“Ja, doch, ein kleiner Heizlüfter, doch. Aber seit zwei Wochen ist der Strom abgestellt. Seitdem ist Sense mit Heizlüfter.”

Von der heissen Suppe hatte sich auf seinen Backen ein Flaum gebildet. Ein dünnes Hitzeschild. Er war jetzt im roten Bereich. Er sah aus wie jemand aus der Popbranche, der sich nach talentierten Nachwuchsbands umsah, andererseits schien sein Gesicht mit den Jahren kleiner geworden zu sein, und die Haut milchig.

“Wenn ich breit bin, brauch ich eh keine Heizung. Das ist wie mit zehn Katzen im Bett”, grinste Tim.

“Ach komm, du wirst doch gar nicht mehr richtig breit”, sagte ich.

“..das ist die Scheiße, ja.. Und wehe ich bin affig, dann ist doppelt Scheiße. Dann helfen auch keine hundert Katzen, wenn man affig ist.”

Tim langte zum Brotkorb, nahm einen Kanten Weißbrot und tunkte ihn in die restliche Suppe.

“Irgendwann..”

Er schob den Teller kauend von sich fort, und ließ den Satz unvollendet stehen.


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