"Warum musst du eigentlich immer so maßlos übertreiben?! Kannst du nicht einmal, ein einziges Mal nur, wie ein ganz normaler Mann sein!??"
Ich weiss nicht mehr, was der Anlass war, worum es bei der Auseinandersetzung ging an diesem Nachmittag, doch ich schätze, es ging um meinen Eishockeykonsum. Mein Bruder hatte mir ein Computerspiel geliehen, und seither war ich dem NHL-Hockey verfallen. Am meisten nervte sie die Stimmgewalt des kanadischen Reporters, der durch das Match führte und eine Spur harter Homoerotik hinterliess, dazu der Sound der übers Eis kreischenden Kufen und das Bodycheck-Krachen, wenn die Spieler in ihren Panzern gegen die Bande fuhren.
"Ich werde noch wahnsinnig bei dem Lärm! Du bist doch keine fünfzehn mehr! Schalt endlich den scheiss Apparillo aus und mach was vernünftiges! Verdien Geld, wie andere Männer auch!"
Bittesehr! Wenn sie meinte! Ich hatte sowieso keine richtige Lust mehr. Ich hatte das höchste Level erreicht, es wurde immer schwieriger, gegen den Computer zu gewinnen ohne einen photosensiblen Epilepsieanfall zu riskieren. Ich gab meine Lizenz vorübergehend ab und schaltete schon Nachmittags den Fernseher ein. Nicht, dass man damit Geld verdiente, das nicht, aber immerhin spielte ich jetzt kein Computereishockey mehr, obwohl die Playoffs gerade begonnen hatten. Das war doch schon mal ein Anfang. Nicht mehr lange, und ich war ein Mann.
Beim Zappen blieb ich im Dritten Programm des Südwestfunks hängen, bei "Kaffee oder Tee". Moderator war, unter anderem, Frank Laufenberg, Radiolegende meiner Jugend. Mit den früheren Pop-Shop-Sendungen und seiner unverwechselbar sonoren Stimme, die stets nach 23 Uhr und ein bisschen Bumsen klang, wenn es nicht zu lange dauert, Schatz, war ich aufgewachsen, er hatte einen dicken Bonus bei mir. In der TV-Sendung war er zuständig für die Rätsel-Ecke: "Wer hat diesen Popsong im Original gesungen?"
Es lief ein Song an, und schon nach den ersten Takten murmelte ich, "na, Bob Dylan natürlich."
Die Gräfin schaute zu mir rüber, mit diesem ach nee! Weiss der alte Unterarm-Frisör mal wieder alles besser!-Ausdruck im Gesicht, doch bald bemerkte sie die gelangweilte Bestimmtheit, mit der ich auf den Bildschirm stierte, und hakte nach: "Echt?"
"Echt."
"Und wie heisst das Stück? Kommt mir gar nicht bekannt vor."
Da musste ich passen. Der Titel wollte mir nicht einfallen. Nicht auf Anhieb. Ich wusste, wo die Nummer in meiner Plattensammlung zu finden war, nämlich auf dem Doppel-Album Bob Dylan Greatest Hits Vol. 3, das ich früher so gern gehört hatte und das nun auf dem Speicher vermoderte, neben ein paar Tausend anderer Scheiben, doch der Titel? Keine Ahnung.
"Fällt mir jetzt nicht ein, aber es ist von Dylan. Also, im Original."
"Dann ruf doch da an."
"Wo?"
"Na wie, wo? Bei meinem sizilianischen Großonkel Luca! Natürlich beim Fernsehen, du Puckjäger! Kannst du wenigstens mal was gewinnen. Bist mal für was gut."
"Was denn?"
"Na, für einen Gewinn!"
Ja, das hatte ich auch schon begriffen!
"Aber WAS kann man da gewinnen?"
"Hm, ja. Irgendwas. Konzertkarten vielleicht. Ne Katze. So was."
Auf dem Bildschirm war immer noch die Rufnummer eingeblendet, die es zu wählen galt, für das Musikrätsel.
"Los, ruf an."
Bittesehr. Wenn sie meinte. Mir doch schnuppe. Ich ging in die Wohnküche, wo der Apparat stand, und wählte die Nummer, die mir die Gräfin diktierte. Prompt war der Südwestfunk an der Strippe, eine schmalbrüstige Männerstimme. Irgendein Vorposten.
"Hallo", sagte ich kurzangebunden, und: "Bob Dylan."
"Ja, einen Moment, bitte.. Ich verbinde."
Dann musste ich beim nächsten Vorposten Name und Rufnummer hinterlassen, man würde zurückrufen.
"Was ist los? Bist du gleich im Fernsehen!?" krakeelte die Gräfin.
"Ich weiss nicht. Die rufen zurück."
Schon von diesem Moment an war ich in den Augen der Gräfin ein Anderer. Ein Sieger. Ein gemachter Mann. Eine Fernsehlegende. Endlich punktete ich nochmal, und nicht immer nur auf dem NHL-Eis. Sie wurde ganz hibbelig, ich spürte es bis in die Wohnküche. Sie konnte es kaum erwarten, dass das Telefon endlich läutete, zumal "Kaffee oder Tee" allmählich zu Ende ging.
"Oder meinst du, die haben einen anderen Anrufer genommen?"
Ich zuckte mit der Schulter.
"Oder war das gar nicht von Bob Dylan?"
"Natürlich war das Dylan", sagte ich beleidigt, und schon schellte es.
"TELEFON!" schrie die Gräfin. "GEH RAN!"
Ich hob ab.
"Glumm."
"Herr Glumm, Sie werden ins Studio durchgestellt, Moment.."
Jetzt rächte es sich, dass wir (bis zu diesem Zeitpunkt) nie ein Handy haben wollten, denn die Strippe des Telefons war zu kurz, um den Apparat mit in mein Zimmer nehmen zu können, wo der Fernseher stand. Wo ich mich hätte sehen können, meine Stimme mein ich, auf dem Bildschirm. So blieb mir nichts anderes übrig, als in der Küche sitzen zu bleiben und meinen folgenden Live-Auftritt über den Telefonhörer zu verfolgen.
Als Frank Laufenberg anfragte, wen er denn da am Apparat habe und ich meinen Namen nannte, war die Gräfin irritiert, wie sie später zugab: Erst hörte sie meine Stimme aus der Küche, und dann, mit einer kleinen Verzögerung, noch mal aus dem Fernseher. Doppeltgemoppelt.
"Hallo Andreas Glumm", sagte Laufenberg, "schön. Und von wem war nun das Original?"
Im Hintergrund wurde der fragliche Song noch einmal kurz angespielt, in dieser unsäglichen Mettbrötchen-Soul-Version a la Simply Red.
"Dylan natürlich", sagte ich.
"Na-türlich.. Bob Dylan", wiederholte Frank Laufenberg verschmitzt. "Sie gewinnen eine CD von.. Simply Red!"
Simply Red. Und schon war ich raus, aus der Leitung geschmissen. Ich saß da, wie angeschmiert. Der zweite Vorposten war wieder dran, um meine Anschrift zu notieren.
"Na super.. ne Kack-CD von Simply Red", stöhnte ich, nachdem ich aufgelegt hatte, doch die Gräfin kam rüber und schmiegte sich an mich.
"Mein alter TV-Hase.."
Die CD kam per Post, einige Tage später. Ich hörte kurz rein, und bin dann schnell hoch auf den Speicher, das Original suchen, das übrigens Positively 4th Street heisst und schon immer eine meiner Lieblingsnummern war, von Dylan.
Natürlich.