Quantcast
Viewing all articles
Browse latest Browse all 495

Fruit of the Loom

26. Juni 1987

Karlos saß am Küchentisch, als ich reinkam, und starrte aufs Telefon. Er war aschfahl im Gesicht, jegliches Blut - raus.

"Der Pepe ist tot", sagte er. "Überdosis."

"Was..?"

"Der Pepe ist tot. Überdosis."

Ich hatte verstanden. Ich dachte nur, beim zweiten Hören würde ich etwas empfinden. Eine Todesnachricht kriegt man nicht alle Tage, selbst wenn man damit rechnen konnte. Aber warum sagte Karlos DER Pepe ist tot und nicht einfach Pepe ist tot, als gäbe es noch einen anderen Pepe, einen, der nicht tot war. Ich mußte lachen. Das war kein Lachen. Das war ein Zerren, um den Mund rum.

"Martini hat eben angerufen", sagte Karlos irritiert. "Vor fünf Minuten.. jetzt eben."

Er biss sich auf die Lippen, das ganze Gesicht arbeitete.

"Martini, ah, und woher weiss der das?"

".. von der Freundin von Pepe, die hat ihn heut morgen angerufen."

Ich liess mich am Küchentisch nieder. Martini lebte wie Pepe in München, ging dort auf die Schauspielschule, die beiden wohnten nicht weit voneinander. Doch großen Kontakt hatten die beiden nicht, soviel wir wussten. Aber was wussten wir schon. Pepe hatte sich rar gemacht, seit er aus der Kiste raus war und sein Vater ihm in München einen eigenen Jeans-Store spendiert hatte wie ein großes Eis. Street Life, mit silbriger Visitenkarte. Auf der Leopoldstrasse. Bloß weg von Solingen, weg von den alten Drogengesichtern.

"Wann..?" fragte ich.

"Schon am Freitag, vor drei Tagen", meinte Karlos. Er war wirklich niedergeschlagen. "In irgendeinem Cafe in München. Der Wirt hat Pepe auf dem Klo gefunden, tot. Die Pumpe steckte noch im Arm."

"Schore?"

Er zuckte mit den Achseln.

"Ist wohl noch nicht freigegeben, der Leichnam. Wahrscheinlich.. Schore, logisch."

 

Das letzte Mal gesehen hatte ich Pepe zwei Monate zuvor, als er überraschend im Mumms aufgetaucht war, an einem Samstagnachmittag, kurz vor der Sportschau, wie aus dem Nichts und gut gelaunt, in Fruit of the loom und nagelneuen Wildlederboots. Wir hatten uns anderthalb Jahre nicht gesehen.

"Ihr Lutscher hängt ja immer noch hier rum..!" feixte er mit seinem charmanten Jungengrinsen und wir packten uns kurz an die Eier, wie wir es immer getan hatten: Rüden, die sich beschnuppern.

Er war extra aus München eingeflogen, zum Geburtstag seines Vaters. Dem König der Übergrößen. Dem Big Boy aller Big Boys. Erfolgreicher Geschäftsmann und stets so braungebrannt, als wäre er überm Toaster eingepennt.

Eine halbe Stunde standen Pepe und ich noch mal am Tresen wie in alten Zeiten und quatschten und lachten. Brachten den alten Running Gag, "Gute Idee, Boss!", wenn einer etwas sagte, was absolut keinen Sinn machte. Dass es unsere letzte halbe Stunde sein sollte, konnte niemand ahnen. Doch was hätte das auch geändert. Es wären nicht plötzlich drei Stunden daraus geworden, nur weil man gewusst hätte, dass man sich nie wieder sieht, nicht in diesem Leben. Höchstens um die Ecke, bei Gott.

"Gute Idee, Boss!"

Pepe schmiss eine Runde Tequlia, ein letztes Tablett. Ich hatte seit Tagen Rückenschmerzen und Schwierigkeiten, beim Schnaps Schritt zu halten, aber das liess Pepe nicht gelten.

"Jesus hatte es auch im Kreuz, du Jammerlappen."

Pepe war ein lieber Kerl, ein Träumer, der es meist locker angehen liess, auf der anderen Seite war er schnell auf Hundert. Wenn ich noch zögerte, hatte er schon durchgeladen, abgedrückt und die Leichen verscharrt. Er war nicht nur der erste, der Heroin nahm, er war auch der erste, der sich den Kram in die Venen jagte anstatt es teuer durch die Nase zu versniefen.

Und dass er auch der erste sein sollte, den eine Überdosis dahinraffte, auf einem stinkenden Pisspott, mit gerade mal 25, das rundete das Bild nur ab.

Pepe liebte Reggae und Sixties-Soul und den Samba-Pop von Blue Rondo a la Turk, Hauptsache gute Laune und immer was zu kiffen im Haus.

Eine typische Scheibe, die er anschleppte, war Zwols In the southern part of France where the ladies wear no pants, eine putzige Mittelmeer-Schnurre, von der er nicht genug kriegen konnte. Die Platte drehte sich einen ganzen Sommer lang in der Wipperaue, einem Tal, durch das die Wupper fliesst und wo Pepe gemeinsam mit seinem durchgedrehten älteren Bruder ein Fachwerkhaus gemietet hatte.

Wie in alten Fachwerkhäuschen üblich, war es auch in der Wipperaue immer ein wenig feucht und muffig und eng, wie in einem zweistöckigen Wohnwagen, und wenn man zuviel gekifft hatte, lief man im Dunkeln auch schon mal gegen einen freistehenden Balken, dass es nur so schepperte. Mit anderen Worten, es war saugemütlich in der Wipperaue, es gab eine Scheune im Hof, wo das Haschisch versteckt war, und die Wupper plätscherte so gemächlich hinterm Haus, wie sie es in den Jahrhunderten zuvor auch getan hatte.

Wie oft erwachte ich morgens auf dem Sofa und musste verkatert zusehen, dass ich dort wegkam, vom Arsch der Welt, ohne vernünftige Busanbindung. Pepe war längst zur Arbeit, ebenso sein bekloppter Bruder Heinz.

Mit Heinz war kein Staat zu machen. Nicht, dass er verkehrt gewesen wäre, nein, er war einfach durch den Wind, verkorkst, plemplem. Oder, wie Heinz selbst von sich sagte: "Jungs, ich bin mal wieder total fix und foxi!"

Beide Söhne waren bei ihrem Vater angestellt, Inhaber einer Reihe florierender Bekleidungsgeschäfte. Während Pepe seinen eigenen kleinen Jeans-Shop am Werwolf führte, wo wir ihn oft besuchten und in den Umkleidekabinen ein Näschen Koks zogen, buckelte der ältere Bruder auf dem Zentrallager und lieferte Ware aus. Das entsprach exakt dem Bild, das der Vater von seinen Söhnen hatte. Pepe, gut aussehend, jovial und schon ganz Juniorchef, sollte als Nachfolger aufgebaut werden. Er hatte von seinem alten Herrn das Draufgänger-und Eitler Fatzke-Gen geerbt, das Heinz gänzlich fehlte. Heinz gab sich schnell zufrieden, mit allem. Ein Wesenszug, den ihr braungebrannter zuckerärschiger Superdaddy zutiefst verachtete.

Wenige Jahre nach Pepe erwischte Heinz ebenfalls eine Überdosis Heroin. Er war nach Hagen gezogen und vereinsamt, hatte nur Kontakt zur dortigen Szene.

Glaubhaft überliefert ist die Schlussbemerkung des Vaters, als er in Hagen am Grab von Heinz stand und angewidert zu den wenigen Umstehenden sprach: "Ich habe niemals Söhne gehabt." Eliminiert aus seinem Leben, als hätte es sie nie gegeben. Dass er als Vater irgendwie mit der Drogensucht seiner Söhne zu tun haben könnte, kam ihm nicht in den Sinn.

Es gint nur eine Erinnerung an diesen hochgewachsenen sonnengebräunten Blödmann, die Wert hat festgehalten zu werden: Wie er uns Mitte der 70er Jahre im dicken Benz zum Zappa-Konzert in der Kölner Sporthalle chauffierte. Während des Konzerts ging er mit seiner neuen Freundin schön essen, nach dem Konzert holte er uns auf dem Parkplatz vor der Sporthalle ab und fuhr uns gut gelaunt heim. Vielleicht hätte er lieber Chauffeur werden sollen. Ein schmissiger Businessman durch und durch, für den Geld alles war. Ein Mann, der ohne Wärme durchs Leben stolzierte, weshalb er auch ständig auf die Sonnenbank musste, um nicht innerlich zu erfrieren. 

Im Sommer 1978 fuhren Pep und ich 14 Tage nach Südfrankreich. Während ich mit Karlos und Schnaat grundsätzlich als Tramper unterwegs war, bestand Pepe darauf mit dem Zug zu reisen. Er wollte nicht stundenlang an der Strasse stehen, womöglich umsonst, weil keiner anhielt. "Das ist vergebliche Zeit." Wir landeten in Nizza. Aber Nizza war langweilig, also weiter nach St.Tropez.

Wir schliefen draussen am Strand, immer auf der Hut vor der Polizei, die Backpacker auf dem Kieker hatte. Es dauerte keine drei Tage und wir erhielten Stadtverbot. Bei einem Schotten, den wir an der Uferpromenade kennengelernt hatten, war zufällig Haschisch im Rucksack gefunden worden. Und da wir unsere Rucksäcke tagsüber gemeinsam nahe einem leerstehenden Haus verstaut hatten, wurde auch unser Gepäck durchsucht.

Die Flics fanden zwar nicht einen Krümel, (weil das dicke Piece in Pepes Unterhose steckte), aber das hielt sie nicht davon ab, uns mitten in der Nacht zur Stadtgrenze zu bugsieren und mit einem Fußtritt aus dem grossen blauen Polizeiwagen zu entlassen. Allez! Lasst euch nie wieder blicken! Da standen wir nun in der Pampa, zwei betrunkene bekiffte Deutsche, die nichts getan hatten ausser zu feiern. Logisch, dass wir, kaum dass die Schmiere hinterm Hügel verschwunden war, kehrtmachten in Richtung St. Tropez und weiterfeierten bis wir blank waren. Und so braungebrannt, als hätten wir in Ochsenschwanzsuppe gebadet.

Auf dem Rückweg nach Deutschland hatten wir nicht mehr genug Kohle für den Zug, wir mussten den Daumen raushalten, ob es Pepe gefiel oder nicht. Wo wir auch Station machten, um ein Bier zu trinken, überall schallte uns "Night Fever" und "Stayin' alive" von den Bee Gees aus den Musikautomaten entgegen, und der Hit von Zwol, "In the southern Part of France..".

Da wir keine Lust hatten, in Paris unsere allerletzte Kohle für ein Hotelzimmer zu opfern, übernachteten wir in einem kleinen, in Serpentinen angelegten Park nahe dem Gare du Nord, auf harten Holzbänken, im Sitzen. Und dann kam der balayeur um die Ecke und die Sonne ging auf. Der Strassenfeger von Paris. Er pfiff mit solcher Inbrunst und schwang den Besen so gekonnt, dass wir nach einer versteckten Kamera Ausschau hielten. Wie konnte ein Mensch so glücklich pfeifen, ohne dass ihn dabei eine Kamera aufzeichnete? Lebensfreude, ging das so? Es war nur ein Augenblick gewesen, und doch kapierten wir etwas. Das Leben konnte ein Musical sein, mit dem richtigen Pfiff. So weit der legendäre Strassenfeger von Paris, der balayeur, den Pepe und ich seither im Herzen trugen.

Davon sprachen wir an diesem letzten Abend im Mumms, der ein später Nachmittag war. Und als ich Pepe fragte, wie er es eigentlich in München mit dem Kiffen hielte, murmelte er nur, "na ja, ab und zu einen kleinen Stickie, aber nur wenn die Vorhänge zugezogen sind."

Das hätte mich natürlich stutzig machen müssen, die Formulierung, diese nicht angebrachte Vorsicht. So einen Bohei um einen dämlichen Joint, wenn man eine jahrelange knüppelharte Heroinkarriere hinter sich hat, da stimmte was nicht. Da sagte jemand nicht die Wahrheit, und unter Freunden sagt man sich die Wahrheit, es sei denn, es liegt wirklich was im Argen.

Selbst wenn man die Bewährungsstrafe, die Pepe noch offen hatte, in Betracht zog, so ein ängstliches Verhalten passte nicht zu ihm. Pepe war immer ein Draufgänger gewesen, was Drogen betraf, aber im Nachhinein wurde klar, dass er entgegen all seiner Beteuerungen nie mit Heroin aufgehört hatte.

Als man ihn nach einem Jahr im Knast auf 2/3 entlassen hatte, servierte ihm sein reicher Dad ein neues Leben auf dem Silbertablett und richtete ihm den Jeans-Store auf der Leopoldstrasse in München ein. Den sollte er als Geschäftsführer leiten. Darunter tat es Pepes Vater nicht. Wenn schon, denn schon.

Pepe fand ein Mädel in München, und die fand dummerweise einen Monat vor seinem Tod Einwegspritzen zwischen Stapeln frischer Wäsche. Zur Rede gestellt, wiegelte Pepe ab, von wegen die gefundenen Pumpen wären von früher, er habe nur vergessen sie zu entsorgen. Ja sicher. Von der Freundin in die Enge getrieben, verwickelte er sich in Widersprüche. Mal erzählte er, seit März wieder zu ballern, mal seit vergangenem Herbst, mal nur ab und zu, wenn ihn der Teufel ritt.

Nein, er hatte nie mit Schore aufgehört.

Immer öfter, so Pepes Freundin in ihrer späteren Aussage bei der Polizei, tauchten Schwarze auf der Leopoldstrasse auf, von denen er täglich Heroin kaufte. Die Verkäuferinnen wussten Bescheid, hielten dicht, wenn er sich wieder mal im Keller einen Druck machte und wegpennte.

Pepe musste tiefer und tiefer in die Ladenkasse greifen, um die Bimbos noch bezahlen zu können. Auch am Tag seines Todes war ein Schwarzer im Jeans-Laden gesehen worden. Keine zehn Minuten später, im Cafe um die Ecke, bestellte Pepe einen Tee und verschwand mit dem Löffel auf der Toilette, was zunächst niemand bemerkte. Erst als der Tee nach zwanzig Minuten immer noch unangetastet auf dem Tresen stand, wurde der Wirt misstrauisch und schaute nach dem Rechten.

Auf der Toilette hörte er Gestöhne aus einer Kabine. Weil die Tür abgeschlossen war, kletterte der Wirt kurzentschlossen über die Seitenwand, er wollte keine toten Junkies auf seinem Pott haben. Pepe lag gekrümmt vor der Kloschüssel, mit dem Schädel auf den Fliesen, die Pumpe noch im Arm. Er atmete schwer. Obwohl der Notarzt sofort verständigt wurde, war es zu spät, als er eintraf. Pepe war tot.

Martini erzählte später, dass auch er Pepe gefragt habe, wie er es mit den Drogen halte, seit er in München wohnte. "Mal ein Bierchen", habe Pepe geantwortet, "sonst nichts." In Wirklichkeit, so seine Freundin, habe er "gesoffen wie ein Loch". Er sah trotzdem blendend aus. (Nur eine Woche nach seinem Tod hätte Pepe einen Termin bei der Drogenberatung gehabt. Seine Freundin hatte ihn dazu gedrängt.)

Am Abend des 26. Juni, als Pepe tot in München auf dem Klo lag, war ich mit der Gräfin bei einem Inga Rumpf-Konzert in der Wuppertaler Börse. Kurioserweise fiel mir genau an diesem Abend die Purpfeife ins Klo, nachdem ich sie nach dem Kiffen ausklopfen wollte. Weg war die kleine Freundin, abgetaucht in den Untiefen der Abwasserkanäle Wuppertals, unterhalb der Börse. Und ein paar hundert Kilometer weiter südlich verreckte einer meiner besten Freunde.

Ich hab mich immer gefragt, was wohl sein letzter Gedanke gewesen sein mag, als er, und sei es auch nur für den Bruchteil einer Sekunde, gespürt haben muß, dass er dieses eine Mal zu weit gegangen war, den Löffel zu voll gepackt hatte. Dass dies sein letzter Kick sein sollte.

Ich tippe einfach mal auf: "Scheisse".

Pepe war der Erste in einer Reihe von Bekannten, der am Pulver draufging, in der einen oder anderen Spielart. Nichts Besonderes im Westeuropa des 20. und 21. Jahrhunderts, ich weiss, so ist das nun mal. Doch es ist anders, wenn ein Freund daran stirbt. Und so hole ich zu seinem Todestag, am 26. Juni, Pepes Dauerleihgabe, einen schwarzen Herrenhut, von der Garderobe und setze ihn auf. Er riecht noch schwach nach Pepe. Ganz schwach nur, doch der Geruch ist da, er existiert, nach all den Jahren. Es ist der Geruch der Wipperaue. Die Feuchtigkeit in den Wänden, die tiefe Decke, es ist alles noch da.

Die ganze saugemütliche Bude.

 


Viewing all articles
Browse latest Browse all 495