
Gegenüber des ehemaligen Wienerwald-Restaurants, das vor Jahren einem Irish Pub gewichen war, der auch schon wieder dicht gemacht hatte, jetzt war es ein leerstehendes Ladenlokal, überquerte ich den Zebrastreifen, als ich plötzlich eine laute Frauenstimme hörte, irgendwo in der Luft über mir, schrill, youbuddy.. Heyy..!!
Wie im Karneval irgendwie. Es war aber April. Die Bütt längst abgebaut.
Ich blieb mitten auf dem Überweg stehen und blickte am Appartmenthaus hoch. Da sah ich es. Ein paar Etagen über dem vernagelten Irish Pub drängelten sich zwei schwarze Frauen nebeneinader am Fenster, sie kicherten.
“YOU CUM UP!?”
Ich drehte mich um. Hinter mir war niemand, ich war der Einzige auf dem Zebrastreifen. Die meinten mich.
Es war höllisch laut.
Autos machen Krach, wenn sie unterwegs sind. Es gibt Bauarbeiter, die mit Pressluft bohren, jede Menge Weiber, die fremde Männer anjodeln: Alle lassen es krachen. Jeder, der in der Stadt zu tun hat, tut es mit Getöse. Als wäre Lärmen ein Muss.
Still schweigend lässt niemand die Stadt über sich ergehen.
“Yes, you!” winkten die Frauen aufgeregt. “You must help! Just a minit! No problem! Okeh! We come down. Just a minit! Okeh?”
Die Fußgängerampel war auf rot umgesprungen, Autos fuhren an, endlich erreichte ich die andere Straßenseite. Die beiden Frauen waren mir unbekannt, ich kannte niemanden, der im Gebäude überm alten Wienerwald wohnte. Ich traute dem Braten nicht. Was wollten die Tanten? Mir einen blasen?
“What you want!?” rief ich zum Appartment hinauf, den Kopf im Nacken.
Ich mein, natürlich träumte jede Frau davon, meinen Schwanz in den Mund zu nehmen und ordentlich durchzukauen, soweit kein Thema. Andererseits waren wir nicht im Puff in Nairobi. Die beiden schwarzen Schwestern yellten wild durcheinander in ihrem Pidgin-Englisch, während Lastwagen vorüberdonnerten und ihre Worte mitnahmen im Führerhaus. Hier fährt Horst.
Okay, rief ich hinauf. Open the door.
Mal sehen, was da los war. Was die Puppen wollten. Vorbei an staubigen Ladenfenstern und längst vergessenen Konzert-Plakaten.
In den Siebzigern, als das noch ein gutlaufendes ebenerdiges Wienerwald gewesen war, konnte man vom Bürgersteig aus den Gästen genau auf die Teller glotzen. Eine Art Food Peep Show. Einmal hatten wir Teenies unsere blanken Hintern an die Panoramascheibe gedrückt und auf geradezu soldatische Art und Weise die Arschbacken auseinandergezogen:
PRÄ-SEN-TIERT.. DIE RO-SETTE!!
Wir hatten unseren Spaß, die Gäste ihr Hendl und einen Einblick in die Hölle, die ewige dunkle Verdammnis.
Im Erdgeschoss schnappte die Eingangstür zum Appartementhaus auf. Ein schwarzes Babe winkte mich lässig heran, ein Kaugummi in Arbeit. Sie trug ein Top, unter dem sich Möpse in XXL abzeichneten, und rote Leggings.
“Schlampenfaktor 12!” hätte Ringo vermutlich schon auf den ersten Blick sämtliche Punktzahlen gezogen – plus Bonuspunkt, weil “bißchen vulgär kann nie schaden.” Ringo war vernarrt in harte Abzieher-Ladys. Er war mal mit der Lurz zusammengewesen, die einen kleinen Hund hatte, so eine richtige Kanaille, die immer..
Moment mal.
Ich durfte über all dem nicht mein Date vergessen. Ringo hatte was für mich auf der Tasche, auf das ich scharf war, und er konnte jeden Moment am Treffpunkt sein. Ich hatte hier nichts verloren. Mir tropfte schon die Nase, Tröpfchen für Tröpfchen Entzugsqualität.
Und dann siegte doch die Neugier. Auch wenn ich die Situation lieber eingepackt hätte, zum Mitnehmen, bitte, und zu Hause in aller Ruhe aufgemacht.
Zu spät.
Ich folgte der Schwarzen die Treppe hoch, starrte auf ihren Hintern, der wie ein schlingerndes Beiboot die Stufen nahm. Wartete oben ein Lude, um mich niederzuknüppeln und auszurauben? Waren das neuzugezogene Junkies, die nicht wussten, dass sie gerade dabei waren, einen alteingesessenen Junkie abzulinken?
Im dritten Stock stand eine Etagentür offen. Das schwarze Babe schlappte keuchend voraus, ich hinterher.
“Cum on in!”
Ihre Kollegin wartete bereits auf uns, im Appartement. Sie trug schwarzafrikanische Tracht, darunter, vermutlich, Minirock. Im Fernseher flackerte MTV ohne Ton.
“Can u help?” Sie zeigte auf den Hi-Fi-Turm in der Ecke. “It don’t work.. No music. Da music don’t work. Look here. Kaput.”
Theatralisch drehte sie den Lautstärkeregler rauf und runter, aber die Boxen blieben stumm.
“No sound, you hear?”
Ja, die Technik. Da hatten die beiden Sweeties aber genau den Richtigen hochgebeten. Den Massa. Ich ging in die Hocke und untersuchte den Stereoturm. Im CD-Laufwerk hatte sich eine CD verklemmt, die Klappe ließ sich nicht öffnen, trotz Kraftanstrengung. Nicht mal das Radio funktionierte. Der ganze Turm schien tot. Nirgendwo Licht, tot, alles tot. Kaput music.
“No idea”, sagte ich.
Ich zog hier am Stecker, rupfte da am Kabel, fuhr die Antenne ein und wieder aus. Nahm den Stecker noch mal in die Hand, stöpselte ihn ein. Aus. Ein. Aus. Ein.
“Ja, ist eingestöpselt!” lachte ich.
Die burschikosere der beiden schwarzen Schwestern begleitete meine Bemühungen zunehmend unfreundlich. Unter ihrer Tracht liess sie ein Paar stämmige Beine sehen, samt Wurzelwerk und Erde. Und plötzlich zeigte auch das andere Babe, das mich auf der Strasse abgeholt hatte, seine Enttäuschung und Verärgerung.
“YOU NOT CHECK?”
Sie wechselten in ihre Muttersprache. Wüstes Ghana Palaver. Einen kurzen Moment glaubte ich sogar, aus dem benachbarten Zimmer Zuhälter-Geräusche zu hören und bereitete mich innerlich auf einen Faustkampf mit Kinnhaken vor, doch nichts geschah.
“Wackelkontakt”, sagte ich einfach mal ins Blaue hinein, um die Technik zurück ins Spiel zu bringen, von der ich keinen blassen Schimmer hatte.
“What you mean?”
“Rockin’ contact”, sagte ich (tatsächlich).
Die Frauen blickten mich böse an, so als ginge ihnen jäh auf, dass der weiße Mann ahnungslos war, und zwar von so ziemlich allem, und ihr Interesse erlosch. Hastig zogen sie sich ans Fenster zurück, drängelten sich aneinander und yappten zur Strasse runter,
Hey you! Yes! Must help! Just a minit! No problem!
Im Treppenhaus sprang ich die drei Etagen bis ins Erdgeschoß runter, wie ich es als Junge getan hatte, wenn es raus ging zum Spielen: immer sechs Stufen auf einmal, wobei ich mich links und rechts an Wand und Geländer mit den Händen abstützte: Treppenhausweitsprung.
Als ich an die Luft trat, stand dort bereits der nächste weisse Hi Fi-Champ auf dem Zebrastreifen, der im Geiste schon einen schönen Quickie ausformulierte:
YES, I CUM UP!, rief er mit erregten Bäckchen zum Fenster hinauf.
Ringo!!