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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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Dass es so Leute noch gibt

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"Dass es so Leute noch gibt", grummelte der Berater und blickte mich ratlos an, als ich ihm aus meinem Leben erzählte in einem 160.000-Einwohner-Kaff, dessen Szene er doch so gut zu kennen glaubte. "Ihr seid so was von.. tot.. So was von nicht mehr vorgesehen."

Wir saßen uns gegenüber an seinem aufgeräumten Schreibtisch. Aktenordner quollen aus dem Holzregal, Fachzeitschriften stapelten sich auf dem Boden. Es war brüllheiss in seinem engen Beratungsraum unterm Dach. Fenster aufmachen bringt nichts, hatte er gleich zur Begrüßung gesagt, das heizt sich sonst noch mehr auf.Dann haben wir aber den Backofen.

Wieder kam er auf das Gros seiner sonstigen Klienten zu sprechen, das sich, ich erzähl Ihnen sicher nichts neues, aus Leuten von der Platte zusammensetzte, Leuten, die in prekären Verhältnissen und ohne jegliche Struktur in den Tag hinein lebten, die von eher beschränktem geistigen Niveau waren und oft nicht mal den Hauptschulabschluss hatten - Leuten, die ihr Weltwissen aus amerikanischen Actionserien und Trickfilmen saugten,

Hulkwissen.

"Gestalten, die alles einwerfen, was sie in die Finger kriegen, ganz egal ob Upper, Downer oder was immer, immer nur rein damit."

Mich, beziehungsweise Leute wie mich, schien er für Typen zu halten, die sich mit intellektuellem Unterbau ausschließlich auf Heroin konzentrierten, einen IQ knapp unter seinem besaßen und schwierige Gedichte lasen. 

"Ihr seid so richtige.. so.. na, wie hießen die früher, die langhaarigen Typen in amerikanischen Sixties-Romanen.."

"Hippies."

"Nee, nicht Hippies.. also schon Hippies, aber literarischer.."

"Beatniks?"

"Beatniks! Genau das! Euch gibts doch gar nicht mehr. Beziehungsweise.. euch hat's hier nie richtig gegeben.. in Berlin vielleicht, klar, in Berlin, aber in der Provinz..?"

Der Typ gefiel mir nicht. Ein Drogenberater voller Vorurteile und Klischees. Bloß weil man Abi gemacht hatte, zählte man zu den besseren Süchtigen, denen er auf Augenhöhe begegnete, während die Leute von der Platte, unter denen doch die erstaunlichsten Typen zu finden waren, wahre Großmeister des Durchwurschtelns, für ihn Abschaum waren.

Sollte einem ab einem gewissen Alter nicht klar sein, wo das wirkliche Leben stattfindet, nämlich zwischen den Dingen, die wir zu wissen und zu benennen glauben?

Das wirkliche Leben findet statt, wenn man die Klappe hält und träumt.

Andererseits war es natürlich nicht verkehrt, sich Typen wie ihn warmzuhalten, Typen von der offiziellen Seite brauchte man immer mal ganz plötzlich, ganz dringend, Typen, die am Stellwerk arbeiteten, die wichtige Kontakte hatten, die ein Wort einlegen konnten zur rechten Zeit.

Und er hatte ja Recht. Es gab uns nicht nur nicht mehr, wir waren nicht nur weg vom Fenster, wir waren nicht nur unser eigener dunkler Schatten geworden und hatten uns nicht nur selber von der Bildfläche geixt, ach was! Es hatte uns nie gegeben, wir waren bloß schön fassad gewesen.

Hatte Ringo früher nur noch ein goldener Schneidezahn und ein Sombrero gefehlt und er wäre als Freischärler durchgegangen, als Guerillero, der auf leuchtenden Pfaden durch die Berge reitet und nachts armen Opiumbauern die Ernte raubt, so ging Ringo in seinen späten Tagen als Angestellter durch, der morgens um acht den Vorortzug nach Düsseldorf nahm, und da konnte ihm noch so viel golden-brauner Heroinrotz aus der Nase tropfen, Reste der Frühverköstigung:

Vorortzug blieb Vorortzug.

Dass wir süchtig geworden waren auf unserem langen Ritt durch die 80er und 90er - geschenkt. Ein endloser Betriebsunfall. Als hätte man im Eifer des Gedichts jeden Morgen die Hose falschrum angezogen und nun saßen die Gesäßtaschen wie angegossen vorn an den Lenden und juckten wie Sau - na ja und?! Es gab schlimmeres! Gab es Schlimmeres? Für den Einzelnen? Als Sucht?

Das war hier die Frage, das ist die Frage, die hier gestellt wird, das ist es, was ich nicht gebacken kriege, wo mir keine Antwort einfällt, vielleicht auch weil ich nicht richtig ausleuchte. Nur Häppchen hinwerfe.

Fresst.

Fragt nicht.

Ich frag auch nicht.

Beatniks waren wir nicht mehr. Das war vorbei. So gesehen hatte der Mann von der Drogenberatung recht. Es stimmte. "Da kommen die Intellektuellen!" rief längst niemand mehr, wenn wir mit vier Mann und drei Puppen auf einer Party einliefen. Erstens gab es keine Party mehr, wo man noch hätte einlaufen können, zweitens waren die drei relevanten Puppen verheiratet, drittens waren die Intellektuellen am Ende immer besoffener gewesen als der ganze verdammte Rest.

Weshalb am Ende auch niemand mehr "Da kommen die Intellektuellen!" gerufen hatte, sondern da kommen die Trinker. Die Koksnasen. Die Polytoxikomanen.

Die Multiplen.

Ich saß in der Kammer unterm Dach. Es war drückend heiß, und durch die geschlossene Dachluke hörte man das verzweifelte Blöken der Kühe, die keinen Schatten auf Potts Wiese fanden und sich lauthals beim Bauer beschwerten - hol uns rein! Mach uns lecker was zu trinken! Wir haben die Kuhnase voll, Bauer Pott!

Ich saß beim Drogenberater und hörte mir an, was der Mann zu sagen hatte - tausend Mal geschwurbeltes Geschwurbel von einem Mann, der aus beruflichen Gründen Tag um Tag Süchtigen gegenüber saß, die nur eines von ihm wollten: den Anwesenheitsstempel. Die Bestätigung, dass man seine psychologische Hilfe in Anspruch nahm, eiserne Voraussetzung, um überhaupt ins Methadonprogramm eines niedergelassenen Arztes übernommen zu werden.

Wir waren der verdammte Rest. Es gab uns nicht mehr. Es gab uns nicht mehr, weil es uns nie gegeben hatte, vielleicht auch weil wir genau wie die Anderen geworden waren, schon immer so gewesen waren. Wir nahmen den Vorortzug morgen um acht nach Düsseldorf, wir waren erwachsen gewordene Babyboomer, die ihre Burn out-Probleme von Abteil zu Abteil schoben wie ihre verdammten weißen Fischbäuche, die niemand sehen wollte, weil einem die Werbung ständig andere Sachen suggerierte, Sachen mit Muskeln, keine verdammten dicken weißen Bäuche.

Wir waren Design geworden, Allerweltsdesign.

Und weil wir als Süchtel gewöhnt waren, uns im Alltag zu suhlen, suhlten wir uns jetzt eben in Normalität - und gingen schneller unter als der Cleanste unter der Sonne.

"Ihr seid so was von.. tot!"


Sophisticated


Ich war sechzehn, ich war siebzehn, dann 18 und schließlich neunzehn, und die ganze Zeit lagen zwei Taschenbücher neben meinem Bett: Gammler, Zen und Hohe Berge von Jack Kerouac und A Wop Bop A Loo Bop A Lop Bam Boom von Nik Cohn. Immer griffbereit. Auf dem Nachttisch. Zwei schmale Bücher. Mit einem kleinen Unterschied.

Gammler, Zen und Hohe Berge von Jack Kerouac, ein rororo-Bändchen, das laut Klappentext von Cool Jazz und LSD handelte, habe ich nie gelesen. Ich hab es schätzungsweise zehn Mal angefangen und zehn Mal weggelegt. Aber das war auch nicht so wichtig. Bei Gammler, Zen und Hohe Berge ging es allein um die Verheißung, die von diesem Buch ausging, vom geheimnisvoll und fremd klingenden Titel, vom Cover, das weite Horizonte zeigte und Linien, stilisierte Formen von Freiheit;

Amerika.

Nicht so sehr darum, was wirklich drin stand.

Zur gleichen Zeit, wir befinden uns im Jahre des Herren 1976 immerdar, begannen meine Locken zu spriessen. Meine Pubertät war ein Feuerwerk. Das Haar explodierte. Es franste aus in tausendundeiner Richtung, es verschachtelte sich in- und übereinander, eine gewiefte Nicht-Konstruktion, Locken wie Ausschreitungen.

Krauses Haar, krause Gedanken, sagten die Leute. Da lagen sie gar nicht mal so verkehrt.

Dazu trug ich den ausgemusterten schwarzen Persianer meiner Mutter, den ich vom Speicher geholt hatte, den Operettenmantel, wie er in der Familie genannt wurde. Ich sah aus wie ein schräger russischer Fürst auf Obeinen.

Ich war nicht der einzige, der den alten Persianer seiner Mutter auftrug, es war wie eine Welle unter Jugendlichen, die schnell Fahrt aufnahm. Karlos erschien eines Morgens in einem braunen Pelzimitat in der Schule, das an ein Bärenfell erinnerte. Der Mantel war viel zu groß, Karlos sah aus wie ein aufgeplusterter Grizzly. Wir steckten ihm ein Glas Bienenhonig Extra in die Manteltasche und reizten ihn mit Stöcken, bis er wie ein gaga gewordener Tanzbär über den Schulhof  torkelte - zweifellos, Karlos war der Hit.

Das Tragen alter Mutti-Klamotten war unser Protest gegen die kleinbürgerliche und duckmäuserische Was-sollen-denn-die-Nachbarn-denken-Haltung unserer Eltern, das brachte uns wirklich auf die Barrikaden. Dieser Satz, der das Jungsein in den Siebzigern zu 100 Prozent abdeckte:

WAS SOLLEN DENN DIE NACHBARN DENKEN!

Woran sich wenig geändert hat. Jedes Mal, wenn in der deutschen Gegenwart wieder irgendetwas zum NO GO! erklärt wird, zum nächsten Tabu, zur nächsten Todsünde, muss ich daran denken, was in Wahrheit dahinter steckt, nichts anderes als: DAS TUT MAN NICHT! Was sollen denn die Nachbarn denken!

Es bündelt die deutsche Angst aufzufallen, herauszuragen aus der Masse, so als wäre es erste Bürgerpflicht, nichts darzustellen im Leben, lieber als durchgestylte Null ins Grab zu rauschen.

Das ganze Land schien vor Angst erstarrt 1977. Man hatte Angst vor der RAF, Angst vor Drogen, Angst vorm Nachbarn. Deutschland, großes Angstland. Während die USA die Mondlandung hatten, Andy Warhol und Campbells Dosensuppen, hatten wir Sonnen Bassermann und Schiss in der Buxe.

Aber nicht mit mir. Ohne mich. Da wollte ich nicht mitmachen. Nicht mit 17. Ich wurde ein Gammler und tat: nichts. NICHT war überhaupt die große Überschrift in jenen Tagen. Ich ging irgendwann NICHT mehr in die Schule, ich spielte NICHT mehr im Fußballverein, ich ging NICHT MEHR zu Familienfeiern. Ich wurde so destruktiv, dass ich alles mit meiner Passivität verpestete. Dazu Locken wie Ausschreitungen  und der schwarze Persianer meiner Mutter, mein Gott, was müssen damals die Nachbarn gedacht haben.

Meine Eltern tun mir noch im Nachhinein leid. Mit der Furcht aufzufallen war ihre Generation aufgewachsen. Im Dritten Reich aufzufallen war gefährlich. Früh am Abend ging meine Großmutter ums Haus herum und schloss sorgsam die Schlagläden, damit die Nachbarn nicht hören konnten, wie bei Glumms über die Nazis hergezogen wurde.  (Was sie Jahre zuvor nicht daran gehindert hatte, NSDAP zu wählen.) 1940 konnte es lebensgefährlich sein, was die Nachbarn von einem dachten.

Ich hole zu weit aus? Nicht wirklich. Schliesslich befinden wir uns Mitte der 70er Jahre, und da bin ich 16 Jahre alt und zwei explosive Bücher liegen neben meinem Bett, und die alten Nazis sind noch überall, sie leben.

Wenn ich 1976 Bus fuhr mit meiner Struwwelpetermatte konnte es passieren, dass mir ein Nazi-Rentner von hinten am Haar zog, DU ZIGEUNER brüllte und von Arbeitslager schimpfte, das hätte es beim Adolf nicht gegeben.

Beim Adolf, so lernten wir damals, muss die schönste und gemütlichste Kneipe gewesen sein, in der Deutschland je zusammengefunden hatte. Warum hatte die eigentlich zugemacht? Mit Bier liess sich doch immer Geld verdienen.

All das hatte für mich mit Gammler, Zen und Hohe Berge zu tun, ohne dass ich das Buch je gelesen hätte. Es reichte aus, Gammler, Zen und Hohe Berge auf dem Nachttisch so zu platzieren, dass es jedem Besucher sofort ins Auge fiel.

Es war ein Statement, an Deutlichkeit schwer zu toppen.

*

Das andere Buch dagegen, A Wop Bop A Loo Bop A Lop Bam Boom von Nik Cohn, ist bis heute mein Rock’n Roll-Mantra, ich hatte es gelesen. Und wie. Ich hatte es mit Klauen und Zähnen gelesen, wieder und wieder hatte ich es mir einverleibt, ohne Ende. Nik Cohn, britischer Musikjournalist, erzählt darin die Story des Rock’n Roll, von seinen Anfängen bis etwa 1970, dem Termin der Drucklegung.

Vergangene Woche wollte es der Zufall, dass mir ein bestimmtes Wort nicht einfiel. Es war nicht so, dass ich das Wort für einen Text benötigte, ich wollte das Wort einfach noch mal lesen. Es war mir lange nicht begegnet, zu lange, wie ich fand, und ich spürte den Wunsch, es aus der Versenkung zu holen. Noch mal zu lesen.

Ich wusste, wo ich es zu suchen hatte.

Ich nahm das zerfledderte A Wop Bop A Loo Bop-Taschenbuch, das von keinem Umschlag mehr zusammengehalten wird, und machte mich auf die Suche. Dummerweise hatte ich das Wort aber so lange nicht gelesen, ich wusste nicht mal, ob es sich um ein Hauptwort handelte oder um ein Adjektiv. Ich wusste nur noch um seine ungefähre Bedeutung: hip, camp, verdreht, mit einem schönen Schuss Intellekt und Philosophie. Und dass es englisch war. Das auch. Nicht übersetzbar.

Die Suche dauerte anderthalb Tage.

Ich verwickelte die Gräfin in die Fahndung, nachdem sie sich gewundert hatte, warum ich so konzentriert und gleichzeitig wie nebenbei in dem nikotingelben Taschenbuch ohne Cover blätterte, von dem sie nur eines wusste: dass es aus meinen Jugendtagen stammte und dass ich es verehrte wie kein zweites. Tatsächlich hab ich nie wieder so ein leidenschaftliches Werk gelesen. Cohn pflegt einen wilden urbanen Schreibstil, absolut subjektiv.

Was ihm gefällt, wie die Stones oder Little Richard, feiert er hemmungslos, er verfeuert eine Rakete nach der anderen für seine Helden, was ihn langweilt, wie Bob Dylan oder die Doors, das rotzt er auf den Boden und tritt noch drauf beim Weitergehen. Ein gnadenloser Schreiber.

Ich stiess auf das Wort im eigentlich unverdächtigen Beatles-Kapitel. Dabei hätte ich es eher bei Bob Dylan im Folk/Rock-Kapitel vermutet, oder vielleicht bei Phil Spector oder Rue Morgue, 1960. Stattdessen also in dem Kapitel, vor dem es Cohn am meisten gegraut hatte, weil schon damals alles über die Fab Four geschrieben schien.

Das Wort, das ich suchte, taucht im Zusammenhang mit Stu Sutcliffe auf, dem früh verstorbenen Ur-Beatle, der stets Sonnenbrille trug, auch bei Dunkelheit, und der, so Nik Cohn, Image von Natur aus war. Ihm gebührt das Wort, das Wort lautet sophisticated.

HIER ISSES! rief ich überwältigt und trug es laut vor.

Na Gottseidank, seufzte die Gräfin.


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