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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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Schwimmen Sie, Glumm! Schwimmen Sie!

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 Ill: Susanne Eggert

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Schulschwimmen hatte mit Sport nichts zu tun. Nicht für mich. Zwar war ich vernarrt in alles, was mit Bewegung und Beinen zu tun hatte: Fußball, Leichtathletik, Trampolinspringen, (sogar Bodenturnen ging in Ordnung, solange es sich um Salto handelte oder einen mordsmäßig verschraubten Flic Flac und nicht um Purzelbaum mit anschliessender Kerze) – doch sobald es ins Wasser ging, versteifte ich.

Ich hasste Schwimmen.

Ich konnte nicht schwimmen.

Ich glaube, ich war so ziemlich der letzte in meiner Klasse, der noch nicht schwimmen konnte. Meine Angst vorm Wasser kulminierte alle zwei Wochen Donnerstags nach der großen Pause, wenn der Reisebus kam, um uns zum Hallenbad Birker Straße zu bringen. Spätestens ab da war der Tag für mich gelaufen. Am liebsten wäre ich stiften gegangen, egal wohin, Hauptsache raus aus dem Bus, diesem großen Gefährt Richtung Abgrund.

Ich saß zusammengekauert auf dem hintersten Sitz, neben Annemie Miller mit ihrem schweinerosa Schwimmbeutel. Die Strecke zur Badeanstalt war kurz, nicht mal fünf Minuten. Fünf Minuten im Bus können eine ungemütlich lange Zeitspanne sein, wenn am Ende die Zwangseinweisung ins Wasser droht, alle vierzehn Tage Donnerstags. Und wenn man dann noch die Badehose bereits druntergezogen hat, eine enge Buxe, die am Sack zwickt, dann ist das auch nicht schön.

Die Städtische Badeanstalt Birker Straße wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtet, auf dem Areal eines ehemaligen Schlachthofs. Für mich waren Badeanstalt und Schlachthof identische Folterwerkstätten.

Alles, was mit Schulschwimmen zu tun hatte, bereitete mir seelische Qualen. Da die beiden Schwimmstunden in die reguläre Öffnungszeit des Hallenbades fielen, waren wir Jungs nicht allein im Becken, und auch unter der großen Gemeinschaftsdusche gab es normales Publikum.

Was heißt normal.

Da standen Rentner mit durchgedrückten Beinen und dicken weissen Bäuchen, die daheim keine Waschmöglichkeit hatten. Mitleidlos und zornigen Waschfrauen gleich seiften sie ihre riesigen hängenden Gemächte ein und putzten und schrubbten es mit einer Hingabe und Verachtung, als walkten sie Wäsche im Weltkrieg, während wir Kinder verschämt die Köpfe senkten und dem Seifenschaum nachblickten, der in langen Kolonnen Richtung Abfluß sickerte – ein übles Gemisch aus Schamhaaren, Kolibakterien, Alterszucker und Fa.

Und dann begann der Horror.

Noch war ich nicht im Wasser. Zum Abkühlen wechselten wir von der warmen Dusche unter die eiskalte Brause, von der es nur eine einzige gab und wo man fröstelnd darauf warten musste, bis man an der Reihe war. Danach ging es im Gänsemarsch ins Becken, ins kachelblaue Inferno.

In der Nase den Gestank von zu viel Chlor, in den Ohren die spitzen, von hohen Gründerzeitwänden widerhallenden Schreie derjenigen Mitschüler, die Spaß am Schwimmen hatten, die Butterfly und Kraulen konnten und kurz vorm Rettungsschwimmerabzeichen standen, die einen anrempelten und zur Seite stießen, weil sie es nicht erwarten konnten, ins Wasser zu kommen. Die mich anrempelten! Mich, die Nummer 1 in Sport, außer in Schwimmen, die in sich gekehrt und sehnsuchtsvoll bibbernd den Ausgang der Badeanstalt nicht aus den Augen ließ..

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Es gibt Gerüche, die einem plötzlich in die Nase steigen und die schönsten Momente der Kindheit zurückbringen. Etwa der Geruch, der im Spätsommer beim Pflücken von Brombeeren in der Luft ist, er macht mich glücklich. Und wenn dabei ein leichter Landregen niedergeht, bin ich selig. Brombeeren im Regen sind eine sehr leise, sehr süße Bombe.

Doch wehe, von irgendwoher steigt Chlor in meine Nase. Dann ist bei mir ruckzuck Essig mit Brombeere, dann ist knallhart Schulschwimmen angesagt im gekachelten Becken Badeanstalt Birker Strasse 1969. Dann sehe ich mich wieder inmitten von Schamhaaren, Kolibakterien, Alterszucker und Fa, mit soviel Herpes am Maul wie Blumenkohl in einen Container passt.

Schulschwimmen.

Das war für mich ungefähr so, als erwachte ich alle zwei Wochen im falschen Erdzeitalter, wo die Amphibien noch in der Entwicklung waren und ich als Gottes erster Versuchsfrosch ins Wasser hüpfte. Derweil spazierte ein ganz in weiß gekleideter Bade-Herr mit amüsiertem Gesichtsausdruck und in offenen Badelatschen am Beckenrand entlang und notierte in sein gottverdammtes Bademeisternotizbuch, was alles falsch lief bei mir, da unten im Wasser.

Meine unkoordinierten Versuche, mich über Wasser zu halten und nicht abzusaufen, bedachte er solange mit Spott, “Na Glummi, wieder auf Krötenwanderung?", bis ich endlich den Freischwimmer wagte. Und wo ich schon mal dabei war, packte ich vierzehn Tage später den Fahrtenschwimmer obendrauf. Damit hatte ich gewonnen. Ich hatte den begehrten Freien-Fahrten, fertig, aus.

Kraulen kann ich bis heute nicht.

Ich bin heute noch neidisch auf die Burschen, die so lässig und souverän das Becken durchpflügen, als wären sie am Mittelmeer geboren und könnten schön singen auf Italienisch. Ich kann gerade mal Brustschwimmen und bin froh, wenn ich eine halbwegs spritzende Arschbombe hinkriege, ohne Schmauchspuren zu hinterlassen.

Apropos Schmauchspuren.

Ich habe da diesen wiederkehrenden Traum. Ich sitze mit dem Bademeister von der Birker Strasse in der Badewanne. Es ist Samstag, und Samstag ist Badetag. Wir baden in jedem Traum gemeinsam, ich und der Bademeister, mittlerweile ein alter Mann. Doch sein Gesicht ist jung und spöttisch wie eh und je. Bis plötzlich eine Kackwurst plopp! an der Wasseroberfläche auftaucht, wie ein brauner Pottwal. IIHHH! schreit der alte Bademeister und stürzt aus der Wanne. DER GLUMM HAT INS WASSER GEKACKT!

Pitschenass rutscht er auf den Badezimmerkacheln aus und legt sich lang. Zähne ausgeschlagen. Nasskot am Bauch.

Ich wache hochzufrieden auf.


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