Image may be NSFW.
Clik here to view.
Neun Uhr früh in der Bibliothek des Instituts. Ich nahm gerade am Rechner Platz, um das nächste Buch in die Datenbank einzuschleusen, Grundlagentexte zum Design, Band 10, als das Telefon klingelte. Auf dem Display erschien meine eigene Nummer. Die von zu Hause.
Unsere Nummer.
"Na my darling", sagte ich gut gelaunt. Im Solinger Singsang. Ich wusste ja, wer dran ist, und es war Freitag. Das Wochenende bog um die Ecke, ich sah schon die Schuhspitzen. Nicht gerade Dancing Shoes, dafür gemütliche Sneakers. Abhängerchen. Muss ja auch mal sein.
Die Gräfin hatte andere Sorgen.
"Ich kann nicht bis heute Mittag warten", raunte sie mit schwerer schwarzer Stimme.
"Wie, nicht bis heute Mittag? Was meinst du..?"
"Na, bis du zu Hause bist."
Ach du Schande. Was war passiert? War jemand tot?
"Wer ist Daphne Peters?" zischte sie scharf.
"Wer?"
"Daphne Peters. Tu doch nicht so."
"Wie ..? Ich kenn keine Daphne.. Peters."
"Aha. Und wieso ist dann ihre Telefonnummer bei uns gespeichert bitte schön?"
Ich hatte keine Ahnung, wovon sie sprach. "Welche Nummer soll bei uns gespeichert sein..?"
"Na, ihre Nummer. Daphnes Nummer. 116630."
"Wer soll das sein? Ich kenn die Nummer nicht!"
"Ah ja? Natürlich kennt der Herr die Nummer nicht. Aber wer soll sie dann gewählt haben..!? Der Heilige Geist vielleicht?"
Der Heilige Geist! Das bedeutete nichts gutes. Den Heiligen Geist hatten schon meine Mutter und meine italienische Oma ständig bemüht, wenn ich als Pico etwas ausgefressen hatte, es aber nicht zugeben konnte, ohne Fleschkönigs in die Scheiße zu reiten. Er war schliesslich auf die Idee gekommen, Doornkaat in den Goldfischteich des Getränkehandels zu kippen. Und weil ich meinen Freund aus der Nachbarschaft nicht verraten wollte, mutmaßten Mutter und Oma, ich hätte das Ding gemeinsam mit dem Heiligen Geist durchgezogen. Diesem Blödmann. Wer war das überhaupt? Und wieso trauten sie mir so viel kriminelle Energie nicht allein zu??
"Keine Ahnung, wie die komische Nummer in unser Telefon kommt, wer die gewählt hat..", sagte ich trotzig. "Vielleicht war es ja der Heilige Geist. Ich jedenfalls nicht. Ich kenn die Nummer nicht. Nie gehört."
"So so. Und wie kommt sie dann in unseren Speicher? 116630 ist die letzte Nummer, die gespeichert ist. Jemand muss sie gewählt haben."
Wenn ich irgendetwas hasse, dann Mißtrauen. Erst recht, wenn es grundlos ist, aus der Luft gegriffen. Wenn es auf einer fixen Idee, auf einen bloßen Verdacht beruht. Auf Wahnvorstellungen. Gerüchten. Dem eigenen schlechten Gewissen. Und, mal im ernst - Daphne Peters, was ist das denn für ein Name? Wie aus einem Rosamunde Pilcher-Roman. Mit Almabtrieb in Cornwall. Ich bitte Euch.
"Wer zum Henker soll das denn sein, Daphne Peters??!" kläffte ich.
"Schrei mich nicht an. Ich kann nichts dafür. Die Nummer hat sich schliesslich nicht von allein gespeichert."
So machte das keinen Sinn. Ich schaltete einen Gang zurück.
"Okay. Wie war die Nummer ? Sag noch mal."
Sie wiederholte die Zahlenfolge, betont langsam. Aufreizend langsam.
"Elf.. sechs-und-sech-zig.. dreis-sig.."
"ICH KENN DIESE SCHEISS NUMMER NICHT!" schrie ich genervt. "UND ICH KENN AUCH KEINE VERFLUCHTE DAPHNE.. DINGENS!"
"Peters."
"PETERS!"
Wenn sie mir jetzt noch mit "Wer schreit, hat Unrecht!" kam, hatte ich endgültig meine versammelte Familie am Apparat, mit all ihrem Gebell. Mutter, italienische Oma, der Heilige Geist. Der hatte seine Finger grundsätzlich im Spiel, wenn ich die Scheiße am dampfen hatte, egal wann, egal wo.
"Ich hab die Nummer eben gewählt", sagte die Gräfin mit leiser Stimme.
"Du hast was?"
"Ich hab die Nummer angerufen. 116630." Sie gab sich gefasst. Sie wollte keinen Streit. Sie wollte wissen, was los ist. Was ich da am laufen hatte.
"Da war aber nur die Mail Box an, hier spricht die bla bla Maschine von Daphne Peters. Eine ziemlich träge Stimme. Etwa unser Alter. Also, erzähl. Schieß los. Ich bin bereit."
"ES GIBT NICHTS ZU ERZÄHLEN!"
Das Fenster zum Hof stand offen, ich sah den Geschäftsführer vorfahren, in seinem kanariengelben Mercedes. Das hatte noch gefehlt. Wenn der jetzt hier auch noch aufmarschierte und den Lauten machte..
Eins aber war seltsam. Je öfter die Gräfin die Telefonnummer erwähnte, desto diffuser klingelte es in mir. Da war etwas an der Nummer, das kam mir bekannt vor. Aber das konnte ich schlecht in den Ring werfen, nicht in diesem Stadium grundloser Eifersucht. Das hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Zumal ich auch keinen Schimmer hatte, was es mit der Nummer auf sich hatte, wo ich sie hintun sollte.
"Du hast doch gestern Abend noch telefoniert, als ich im Bett lag", unternahm ich den nächsten Anlauf. "Du warst die letzte am Apparat, spätabends, nicht ich. Die Nummer, die du gewählt hast, muss also gespeichert sein."
"Ich hab nicht telefoniert, ich hab nur den AB abgehört. Einen Anruf von Carl. Und da war noch keine Nummer von Daphne Peters von der Zeppelinstrasse gespeichert."
"Wieso.. Zeppelinstrasse?"
"Ich hab im Telefonbuch nachgeschaut. Peters, Daphne, Zeppelinstrasse."
"Aha. Und wo soll die bittesehr sein, deine Zeppelinstrasse!?"
Ich beobachtete, wie der Geschäftsführer das Handy vom Beifahrersitz nahm und ausstieg. Ich winkte ihm zu, aber er sah mich nicht. Er war das, was er am liebsten war: busy. Er telefonierte. Er hatte drei Wochen Urlaub gehabt. Er war braun gebrannt, der alte Business-Sack. Er war Segeln gewesen.
"Weiß nicht", sagte sie. "Zeppelinstrasse hab ich nicht gefunden im Stadtplan."
"Im.. Stadtplan!!? Du hast sogar im verdammten Stadtplan gesucht?!" Ich war baff. "Was ist denn mit dir los?"
"Na, ich will schließlich wissen, wo deine kleine Nutten wohnen", sagte sie bedrückt.
Allmählich wurde ich selber mißtrauisch. Telefonierte ich jetzt schon mit irgendwelchen Flittchen, ohne mich am nächsten Tag daran zu erinnern?
"Du hast also zuletzt den Anruf von Carl abgehört, richtig?"
"Ja."
"Wann genau?"
"Hm.. gegen elf. Aber was.."
"Und danach?"
"Wie, danach?"
"Na, war danach noch was?"
"Nee. Danach war nichts mehr."
"Gut. Und heut Morgen sind wir zur gleichen Zeit aufgestanden. Wann also bitteschön soll ich deiner Meinung nach meine kleine Nutte Daphne Peters angerufen haben? Mitten in der Nacht?! Halb vier vielleicht? Halb fünf?"
"Siehst du - jetzt sagst du es schon selbst."
"Was sag ich schon selbst?!"
"Meine kleine Nutte Daphne Peters..", schluchzte sie.
"Das hab ich doch nur so.. dahin gesagt! Ach, Scheiße!"
Es knisterte in der Leitung. Immer, wenn sie nervös und aufgebracht war beim Telefonieren, knibbelte sie an der Schnur. Es brutzelte wie hundert Brötchentüten.
Und endlich ging mir ein Licht auf.
"Moment.. 1166 - was? 30?! 16630 ist doch.. unsere PIN-Zahl.. Die muss man eingeben, um die Mailbox abzuhören. Und die 1 davor steht für das Sternchen, das man vor der Geheimzahl wählen muss.. Elf 66 30! Das ist unsere eigene PIN!"
Ich schlug so vehement und jäh auf die Schreibtischplatte, dass das Telefon einen Sprung machte. Der Chef blieb im Hof stehen und starrte den Tauben hinterher, die verängstigt davonflatterten. Er sah mich am Schreibtisch der Bibliothek sitzen und winkte. Ich winkte zurück.
"Die PIN.. ich werd verrückt", stöhnte die Gräfin, "na klar, du hast recht. Scheiße, bin ich blöd.."
Sie war gleichzeitig froh und ein bißchen beschämt.
"Ich.. hab soviel Stress in letzter Zeit. Puh.. Ich seh schon Gespenster."
"Ja ja", sagte ich, "schon gut."
Aber ganz so einfach sollte sie mir nicht davonkommen.
"Weißt du was? Die ruf ich jetzt mal an."
"Wen..?"
"Na, Daphne Peters. Die gibt's doch wirklich, oder?"
"Ja klar. Die hat dieselbe Nummer wie unsere PIN.. mit ner 1 davor."
"Na also. Der Tante werd ich gehörig Dampf machen. Da sind ein paar klärende Worte nötig, was die bei uns im Display zu suchen hat, die kleine Nutte!"
"Untersteh dich", keuchte die Gräfin.
"Oder ich schreib darüber eine kleine Geschichte."
"Untersteh dich doppelt!"
Image may be NSFW.
Clik here to view.Image may be NSFW.
Clik here to view.