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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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Es ist eine traurige, eine tückische Zeit - (für Selle)

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Er ist seit ziemlich genau zwei Jahren tot. Ab und zu begegne ich seinem Hund, der jetzt in anderen Händen ist, in guten Händen, Sniff, ein kantiger Schäferhundrüde, der nichts lieber tut, als Frisbee-Scheiben nachzulaufen und aus der Luft zu beißen, mit einer Nonchalance, als würde es auf der Welt nichts leichteres geben für einen kräftig gebauten fünfjährigen Schäferhund, der ansonsten etwas tumb rüberkommt, wenn man vom Frisbeespiel absieht.

Das letzte Mal gesehen hab ich Selle im Sommer 2013 in einem dieser langen Gelenkbusse nach Höhscheid, wo man eine Viertelstunde braucht, um es vom Fahrer vorn bis ganz nach hinten zu schaffen. Es war ein schwülwarmer Nachmittag, er hockte in sich gekehrt in der letzten Sitzreihe, die Füße angezogen und die Arme verschränkt, unrasiert, die Augen auf Halbmast, angetrunken. Ich war am Grafen zugestiegen und beugte mich über ihn.

“Die Fahrkarte bitte!!”

Ich hielt den Satz hart an der Leine, ich machte ganz auf Kontrolleur, auf schneidige das kostet dich sechzig Euro, Jüngelchen! Und dennoch, Selle blieb zahm. Hätte ich nach dieser Ansage ein halbes Jahr zuvor froh sein können, wenn ich keine geballert gekriegt hätte, so war diese Zeit definitiv vorüber.

“Ach du bist es, Riese”, sagte er und sank müde in die Bank zurück, “was ist los..?”

Er war nicht gut drauf, er hatte keine Kraft mehr. Aus einem gestandenen Kobold und Stehaufmännchen war ein trauriger kleiner Mann geworden, ein in die Jahre gekommener Kombüsenjunge. Depressionen, Alkoholexzesse, Einsamkeit hatten ihm zugesetzt. Ist Einsamkeit an sich schon ein strenges Geschäft, so schafft Einsamkeit in Verbindung mit Alkohol noch jeden. Der Alkohol, die Einsamkeit, die Depression. Der Dreisatz des Alterns.

"Eine Depression fühlt sich an, als wäre man im Klammergriff eines Ungetüms, das sein schwarzes Gift in dich reinpumpt", sagte er einmal zu mir, "und du schaffst es nicht raus aus der Umklammerung."

*

Er war intelligent, er hatte Sprachwitz. Ein kleiner Mann mit rötlichem Haar, der sein Leben an harte Drogen verschenkt hatte, ohne darüber in Larmoyanz zu verfallen. Nichts ist schlimmer als die Hätte-ich-doch-nicht-Fraktion, die den Grund für ihre Abhängigkeit gern bei anderen Leuten sucht. Ach, hätte ich doch die und die Leute nicht kennengelernt, dann wäre dies und das nicht geschehen und aus mir wäre ein guter Junge geworden. Jammergestalten, die nicht begreifen, dass man nicht nur das Glück, sondern auch das Unglück fest in beiden Händen hält.

Erst die Finsternis erklärt das Licht.

An diesem Tag fuhren wir gemeinsam einige Stationen der Linie 2 Richtung Höhscheid, er wollte zu seinen Eltern, den Hund abholen. Er stänkerte einige Teenies an, die sich ebenfalls in der letzten Bank breit gemacht hatten, deckte sie mit blöden Opa-Sprüchen ein. “Na, macht ihr Hübschen auch bald euer Abitur..?!” pupte er rum, richtig blödes Opa-Zeugs, das manchmal aus ihm heraus drängelte. Es war nicht böse gemeint, es musste einfach raus an die frische Luft und verschwinden. Es war nicht der Rede wert. Und es war so doof, ich musste laut lachen.

Er war ein knurriger alter Hahn geworden, mit rotem Schopf und bräunlichen Schneidezähnen vom Tabakrauchen. Ein alter Knurrhahn mit Bürstenhaarschnitt, eine späte Comicfigur, aber immer noch Rohzustand, noch nicht wirklich zu Ende gedacht, obwohl schon 46 Jahre alt. Ein prima Typ, einer, der sich im Leben immer gerade gemacht hatte, der zu seinem Wort stand und der neugierig blieb bis zum Ende. Er war wie ein Kind, das nicht abwarten kann bis es Morgen wird und alles daran setzt, schneller zu schlafen, damit die Nacht endlich um ist.

Der Selle. Ich würde ihn gern noch mal sehen. Ich würde ihn fragen, wie das denn nun ist, mit dem Ankommen da oben im Himmel.

Is okay?

*

Wochen später traf ich Karlos am Fronhof. Dem Platz mitten in der Stadt, auf dem ich im Mai 2012 den schweren Herzinfarkt erlitten hatte und wo die Sparkasse eine Filiale unterhält, die auch für mein Konto zuständig ist. Da treffe ich Karlos.

"Hast du schon vom Selle gehört?" fragt er, nachdem wir ein paar Sätze gewechselt haben. Allein die Fragestellung sagt alles. Er ist tot. "Nein!" schlag ich mir die Hand vor die Stirn. "Der Selle ist tot!!" Das kann doch nicht sein! Der war doch in Ordnung!

Wir leben in einer traurigen, in einer tückischen Zeit, wo alles schon mal dagewesen ist, wo nichts von Wert, nichts mehr von Dauer ist. Eine Zeit, wo man schon froh sein muss, ein paar echte Figuren aufzulesen, die einen angucken mit echten Problemen und Bürstenhaarschnitt und üppig hervorstehenden Schneidezähnen, Figuren, deren Anblick sofortiges Gruppengefühl auslöst. Komm her, du! Lass dich umarmen. Es ist kalt da draussen.

Es ist wie beim Jazz. Der Jazz kennt auch keine schmutzigen Typen mehr, es ist alles aus und verloren. Überall Till Brönners, die schöne Baby-Musik machen mit Brei-Trompetchen und dafür auch noch gefeiert und herumgereicht werden, wenn auch von den falschen Leuten, auf den falschen Schultern, mit vergifteten Komplimenten. Wer erinnert sich noch an die alles verschlingende Gier in der Stimme eines Chet Baker, wer an die Schwindsucht eines Charlie Parker, an die herbe Verschwitztheit einer Billie Holiday? Es ist nichts geblieben. Nur weiße, brave, sich selbst feiernde, stinkende Langeweile. Musik von Menschen, die gute Menschen sein wollen.

*

"Du kannst mich mal an meinem klapprigen Hühnerarsch lecken!" meinte Selle gut gelaunt.

Er trug eine Hippie-Cordhose mit Schlag und cognacfarbene Lederslipper. Ich war mir nicht sicher, ob das ernst gemeint war, was er da am Leib hatte. Ich blickte auf seine Schuhe herunter.

"Was ist denn da los..? Was soll das denn geben?"

Sein Onkel war gestorben und hatte ihm jede Menge Kleidung hinterlassen. Da beide von ähnlicher Statur waren, trug Selle das Zeug auf, doch es handelte sich um Klamotten, die er sich selbst niemals gekauft hätte. Das ist der Zwiespalt bei geschenkter Kleidung. Sie mag passen, doch in 99 % aller Fälle käme man selbst niemals auf die Idee, sich solch einen Mist zu kaufen. Sein Onkel hatte ihm 20 Paar Schuhe vererbt, Jacken, Reisestrümpfe, piefige Chinos und Leinenhosen, Blousons, Stretch-Designerjeans und bestimmt eine Million Gürtel.

"Was ich früher zu Muttern geschleppt hab zum Nähen und Ausbessern, schmeiss ich heute alles weg. Kommt alles in den Müll. Ich hab ja jetzt genug Klamotten, Riese. Es ist alles da."

Gut, mag sein, aber dafür sah er jetzt aus wie der kleine Gatsby an dem einen Tag und wie Hannelore Kohl am nächsten Tag. Nichts halbes, nichts ganzes.

"Ich seh voll kacke aus, wa?" strahlte er.

*

Er hatte etwas Nordisches an sich, mit seinem roten Haar. Ein agiler kleiner Tausendsassa, der so gar nicht klein wirkte. Er zählte zu den Kalibern, die  sich nicht erst groß aufpumpen mussten, um größer zu wirken. Sagen wir, um nicht klein zu sein. Doch selbst ein Stehaufmännchen wie der Selle altert und steht irgendwann nicht mehr auf. Er hatte seinen Körper aufs äusserste getriezt, mit Kokain, Speed, Heroin, und zuletzt mit immer mehr Jägermeister.

Zugegeben, ich habe eine gewisse Affinität zu Verlierern und Trägern von Schnabelschuhen, und auch manche Drogensüchtige haben bei mir ein Stein im Brett.

"Manche..? Bei dir haben alle Süchtel ein Stein im Brett", stellt die Gräfin richtig.

Kann schon sein. Kein Tod wird schneller vergessen und abgenickt als der Tod eines Drogensüchtigen. Doch nur weil jemand robust Richtung Tod ackert, bedeutet das noch lange nicht, dass man nicht traurig sein darf, wenn er plötzlich nicht mehr da ist. Und wenn es stimmt, was man sich erzählt, war Selles Abgang höchst ungemütlich. Angeblich platzten ihm die Halsschlagadern, als er sich zu Hause auf eine Flasche Schnaps und irgendwelchen original in Polen verpackten Hammerpillen (gegen Alkoholismus!) einen allerletzten Löffel Heroin aufkochte. Die Arterien seiner geschundenen Leber rissen, das Blut muss nur so aus ihm herausgesprudelt und bis zur Decke hinauf geschossen sein - was zuletzt von ihm blieb, war ein dämlicher Zimmerspringbrunnen. Das hätte ihm gefallen.

Er überlebte seinen älteren Bruder, der ebenfalls an einer Überdosis Heroin starb, um beinahe dreißig Jahre, bei fast identischer Lebensführung. Schon für diese Leistung möchte man kurz den Hut anlupfen und eine Spezial-Marke anmelden.

Super Selle.

Er erzählte von einem Kerl, mit dem er in Amsterdam die Nächte durchgekokst hatte.

"Das war der durchgeknallteste Koks-Junkie, den ich je kennengelernt hab. Wir teilten uns ein Zimmer in einer billigen Absteige und taten vierzehn Tage nichts anderes als uns zuzuballern. Er hatte diese coole Panama-Connection, das Koks war von 80prozentiger Reinheit, das ist heute gar nicht mehr vorstellbar. Jeder glaubt, ich binde ihm einen Bären auf, wenn ich das heute erzähle."

"Ein Kerl wie ein Schrank und voll okay, aber wenn er sich Koks geschossen hatte, wenn er auf dem Koks-Run war, drehte er völlig ab. Dann zog er sich splitternackt aus, nur die Cowboystiefel behielt er an, und sagte Dinge zu mir wie, he, guck mal, da krabbeln tausend Würmer aus mir raus! Guck doch mal! Nee, das sind keine Würmer, versuchte ich ihn zu beruhigen, aber ich war selbst im Stress. Versuch mal ne intakte Vene zu finden, wenn du schussgeil bist auf dieses super-ungestreckte Amsterdam-Koks der Achtziger, und neben dir tickt ein Knabe wegen irgendwelcher unsichtbaren Würmer aus."

"Der liess nicht locker, der fing immer von neuem an. Da ist jemand an der Tür! schrie er und schnappte sich sein Butterfly-Messer. Darin war er echt ein Meister, mit dem Butterfly-Messer konnte er umgehen wie ein Zirkus-Artist, das machte wirklich was her, wenn er da mit dem Messer hantierte. Dann riss er die Zimmertür auf und sprang auf den Gang, ein pudelnackter Kokser in Westernstiefeln, der wild mit dem Messer rumfuchtelte und wirres Zeugs schrie, Riese, war der durchgedreht, ich mein, der hatte das Limit wirklich überschritten."

"Eine halbe Stunde später mussten wir den Zug nach Köln kriegen. Wir hatten die letzte Kohle in zwei Tickets investiert, aber es musste dieser eine bestimmte Zug sein. Ich seh uns noch an der Gracht entlang stolpern, zugekokst bis unter die Schädeldecke, ich mit meinem Leder-Hut, der Typ in Westernstiefeln und den riesigen Pimmel aus der Hose fliegend.. Dass uns keiner verhaftet hat an diesem Tag, nur fürs Dasein auf diesem Planeten, begreife ich bis heute nicht."

*

Einmal sprach er von den Nahtoderfahrungen, die er in 30 Jahren Drogenkarriere angesammelt hatte.

"Nicht, wenn man sich aus Versehen zuviel auf den Löffel gepackt hat und ein paar Minuten lang abkickt", nein, die echte authentische Überdosis, da, wo es richtig scheppert, "wo einem der Rotz aus der Trompete fliegt", wo es auf Messers Schneide steht, ob man diesen Shake überlebt, "oder ob einen der verdammte Notarzt wieder mal aus der Scheiße holt."

Das war es, was er meinte, wenn er vom in den Tunnel einfahren schwärmte, diesen Zustand zwischen Leben und Tod, nach dem man süchtig werden könne.

Ich weiß, es klingt abgegriffen, sagte er und es klang abgegriffen, aber wenn du in den Tunnel einfährst, siehst du plötzlich das Weiße am Ende des Tunnels, du reißt innerlich die Augen auf, du möchtest näher ran ans Licht, du möchtest dich hineinwinden in das grelle Licht bis es dich fett umschliesst, aber dann wirst du im letzten Augenblick zurückgezogen, ruckartig, wie am Schlaffitchen, das ist der Notarzt, die Ambulanz, ein unglaubliches Gefühl, mit nichts zu vergleichen.

Und dann wagte er doch einen Vergleich.

"In Indien lassen sich Fixer von Giftschlangen beissen, guck nicht so blöde, ist wahr. Die kriegen ihren Kick, wenn sie von einer Cobra gebissen werden, das Schlangengift versetzt einen für Stunden in diesen Schwebezustand zwischen Leben und Tod. Und es ist nie klar, ob man den Biss überleben wird.."

"Kann man doch ein Gegenmittel spritzen", sagte ich.

"Ja klar - aber das kann man auch schön bleiben lassen und abwarten, ob man abkratzt oder nicht."

Ach so.

*

Jeder kennt so Typen, jeder hat so einen Spezi, dem jedes Mal, wenn man ihn trifft, etwas neues zugestoßen ist. Auserwählte, bei denen man das Gefühl nicht los wird, dass der Hergott sie ganz besonders hart und innig ins Gebet nimmt.

Ausser der Drogensucht hatte er ein gewaltiges Alkohol-Problem am Hals. In den zwei Jahren, die ich näher mit ihm zu tun hatte, begann er mindestens ein Dutzend Entzüge, einige zog er durch. Ein anderes Mal flog er bereits am ersten Tag aus dem LKH raus, als die Betreuer Marihuana und starke Schlaftabletten bei ihm fanden, die er auf Station schmuggeln wollte.

"Zum Pennen verabreichen die zur Nacht nur so rosa Tralala. Nee, wenn ich schon entziehe, will ich wenigstens vernünftig pennen."

Er war ein Pegeltrinker, die Leber war dahin, er hatte Zirrhose und Hepatitis. Aber er wollte mir weismachen, dass er supergut riechen könne seitdem die Leber hinüber war.

"Ich rieche einen vor Stunden verschütteten Klecks Vollmilch aus fünf Metern Entfernung. Meine Leber ist so im Arsch, der entgeht nichts. Würde ich an der Mosel leben, ich könnte den Wein schon schnuppern, wenn er noch in der Traube hockt und sich das Näschen putzt. Alle meine Sinne sind hyperempfindlich, seit ich Leberwerte hab wie Keith Richards 1971. Ich kann auch besser sehen seither, ich habe Augen wie ein Bussard. Wenn ich durch die Stadt gehe, erkenne ich schon unten am Woolworth, was die Jungs oben auf der Platte an Bubbles und Pillen in der Tasche haben.."

Er konnte sich wunderbar für Dinge begeistern. Und wie alle Leute, die gern schwärmen, übertrieb er gern.

"Ich weiß, Riese, ich neige zur Übertreibung wie ein ICE zur Spitzengeschwindigkeit, aber ungelogen, die besten Silvester-Feten gibts bei mir!"

Er bot mir an, bei ihm Silvester zu feiern. Er wohnte an der Krahenhöhe, dem höchsten Punkt der Stadt, im vierten Stock eines direkt an der lauten Hauptstrasse gelegenen Appartementhauses, von wo er einen Riesenpanoramablick genoss.

"Silvester verkauf ich Sitzplätzte auf meinem Balkon für.. vierzig Okken!" schnitt er auf. "Na, für dich und deine Olle kostet das natürlich nix."

Er weihte mich in Beobachtungen ein, die er von seinem Balkon aus gemacht hatte. Etwa, dass die Stadt Düsseldorf ihre Strassenbeleuchtung bereits auf LED-Licht umgestellt habe, so dass man von dort nachts nur noch punktuell Laternenschein wahrnehmen könnte. "Düsseldorf in der Nacht ist beinah finster, während über Leverkusen immer noch eine dicke fette Blume strahlt. Die haben immer noch das alte Laternenlicht."

"Ne fette Blume über Leverkusen", blieb eine Zeitlang unser Running Gag.

*

An anderen Tagen war er so blass um die Nase, als hätte man zuviel Mehl in ihn reingekippt.

"Ach so, das. Ja, das kommt auch von der Leber. Die klaut mir das Blut aus der Fresse. Die braucht das Blut für Reparaturarbeiten."

Er lebte schon sehr in seiner eigenen Welt, der Selle.

Erzählungen aus vergangenen wilden Drogen-Tagen leitete er stets mit "So, jetzt erzählt Opa aus dem Krieg" ein, und ich lehnte mich zurück. Mit seinen Anekdoten aus der Szene stieg ich tief ein in die dunkle Drogensaga Bergisches Land. Da war die unglaubliche Geschichte des Thomas Hufschmied, der schon in den frühen 80ern an einer Überdosis verreckte. Aber was für eine Überdosis das war!

Hufschmied, damals Anfang 20, hatte sich Zutritt zum alten Bunker an der Schwertstrasse verschafft, um sich in Ruhe einen Druck zu machen. Keine Ahnung, wie er das hinkriegte, der Bunker war ziemlich gesichert, aber er kam rein und war der erste Mensch, der sich dort umsah, nach vielen Jahren. Dabei fand er eine staubige alte Ledertasche voller Ampullen: Morphiumfläschchen aus den letzten Tagen des zweiten Weltkriegs. Diese letzten vergessenen Bestände in den Händen eines stadtbekannten Draufgängers, der Ein Mann-Heroin-Guerilla Thomas Hufschmied, das konnte nur schiefgehen. Am nächsten Tag fand man ihn leblos auf der Strasse. Sein Tod wurde verschwiegen so gut es ging, allein in der Szene wurde er als letztes Opfer Nazi-Deutschlands gehandelt.

"Den hat der Göring auf dem Gewissen", hiess es.

*

Jeder kennt so Spezis, denen jedes Mal, wenn man sie trifft, etwas Neues zugestoßen ist. Typen, bei denen man das Gefühl nicht los wird, dass der Herrgott sie ganz besonders oft und innig ins Gebet nimmt. Leute mit fahrigen Händen und lädierter Nase, einem schrägen Humor und Nierensteinen.

Er lachte sich kaputt über das Geräusch, das Nierensteine machen, wenn sie beim Ausscheiden nach und nach in die Kloschüssel fallen, er liebte es das Geräusch nachzuahmen, wenn wir im Bus saßen. Er bekam nicht genug davon, wie ein kleines Kind. Plink, plink, PLINKK! zu machen. PLAKK und Pokter! Pokkta! POkkTT!! Es haute nicht besonders hin, wirklich nicht, aber darum ging es nicht. Es ging um die Mühe, die er sich mit allem machte, was er anpackte.

*

Einmal stieg er krebsrot in den Bus. Er litt unter einer schweren allergischen Reaktion. Er hatte auf seinem Balkon Mariuhana angepflanzt, eine Sorte namens Amnesia, dreizehn fette Stauden so hoch wie bis zur Decke. Angeblich roch es schon wie im Dschungel auf seinem Balkon, er stand kurz vor der Ernte, als ihm ein Mißgeschick unterlief. Er hantierte wegen der Hitze an diesem Tag mit bloßem Oberkörper an den Pflanzen herum, wollte nur etwas zuschneiden und geriet dabei mit einigen der schweren, reifen Blüten in Hautkontakt. Sofort brannten Bauch und Arme, zuletzt der ganze Oberkörper, ich war am leuchten wie ein Hummer.

Er wäre fast verrückt geworden vor lauter Kratzerei.

Ein anderes Mal hatte er die Hand in Gips. Ein Hund hatte ihn gebissen. Nicht sein eigener, ein anderer Hund. Er musste genäht werden, ambulant beim Unfallchirurgen.

"Das Nähen machte ein Geräusch wie früher auf dem Bauernhof meines Opas, wenn die Schweine kastriert wurden." Und wieder machte es ihm einen Heidenspaß, Geräusche zu imitieren. Dieses Mal waren es die Schweine seines Opas, die kastriert wurden, als er ein Kind war: mimmmi! mimmmi! Die ganze blöde Busfahrt hörte ich nichts anderes. MIMMI MIMMMI MMMIMMI! Total bescheuert. Wieso machen Schweine, die kastriert werden, mimimi?

Das letzte Mal gesehen hab ich ihn im Bus nach Höhscheid, im Juni vor 2 Jahren. Es war einer dieser langen Gelenkbusse, wo man eine Viertelstunde braucht, bis man endlich hinten ist. Es war Nachmittag, er hockte in sich gekehrt in der letzten Sitzreihe. Unrasiert, angetrunken, die Augen geschlossen. Ich beugte mich über ihn .

"Die Fahrkarten bitte!"

Nach einem Moment Unverständnis und Gereiztheit blitzten seine Augen auf.

"Riese", sagte er müde, "was is los?"

Wir fuhren einige Stationen zusammen, ich war auf dem Weg zu meinem Vater ins Altenheim, er zu seinen Eltern, um den Hund abzuholen. Er war nicht gut drauf. Er war besoffen und pupte ein paar Teenies an, mit blöden Sprüchen. "Na, macht ihr auch schön euer Abi?" So blödes Opa-Zeugs, das manchmal aus ihm herausdrang an die frische Luft, es war nicht böse gemeint, es musste einfach raus und im Wind verschwinden.


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