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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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Keep looking out for Hoffmann Chicago

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Die Erfahrungen, die ich mit Buchverlagen gemacht hatte, waren ernüchternd und nervig. Kaum einer wagte frischen Wind reinzulassen, alle hatten Schiss davor, dass neue Autoren keine Auflage machten und rote Zahlen verursachten, dass sie den eigenen kleinen Job bedrohten. Neugier Fehlanzeige, Mutlosigkeit.

Verlage hielten grundsätzlich Ausschau nach Autoren, die ähnlich wie Erfolgsautor XY schrieben, der gerade en vogue war. Ausgetretene Pfade zwar, aber mit Fernsicht aufs Monetenland. Da war ein eigener Stil eher hinderlich. Auch das Publikum schien daran wenig Interesse zu haben. Ich hatte mich im Internet daran gewöhnt, dass Blogs, die nur wiederholten, was tausendfach geschrieben war, am besten liefen. Sie forderten nichts vom Leser. Aber warum sollte das Internet anders sein als die normale Welt. Das Internet war die normale Welt. Das Internet war hypernormal.

Verlagshäuser waren es zudem gewohnt, dass sie sich um Nachschub nicht groß bemühen mussten. Dass die Manuskripte zu ihnen kamen, in ihr Postfach schwappten, dass sie Beute machten ohne einen Finger zu rühren - und es war nicht aus ihnen heraus zu kriegen. Verlagshäuser waren es gewohnt, Texte zu erhalten, zu bewerten und nach Gutsherrenart zu entscheiden, welcher eine Chance bekommen sollte und welcher nicht. Besonders welcher nicht.

Wahrscheinlich bin ich ungerecht. Aber es macht mehr Spaß, aus der Position des verkannten Genies heraus über die Weide zu stiefeln und den Bauern anzublöken, was für ein Blödmann er ist, als gerecht im Gras zu liegen und das Harem die ganze Arbeit machen zu lassen.

Obwohl, auch nicht schlecht.

Auf die Idee, im Internet auf eigene Faust nach neuen Autoren zu fahnden, kamen nur wenige Verlage. Und wenn ein Verlagsmensch doch einmal in die Niederungen der Blogwelt hinabstieg, war er auf der Suche nach Autoren und Autorinnen, die Kriterium Nr. 1 der Industrie erfüllten: jung musste man sein, je jünger, desto besser. Und da kam ich alter Sack daher, mit dem Duktus eines Beatniks?! Da konnte man es auch gleich lassen.

Ach na und, Bücher sind sowieso überbewertet, meinte die Gräfin. Jeder Hinz und Kunz bringt heutzutage ein Buch auf den Markt, daran ist nichts besonderes mehr. Bücher werden heutzutage wie Söckchen verramscht. 6 Stck. 3,99. Es ist mittlerweile was besonderes, als Autor KEIN Buch zu veröffentlichen. OHNE Buch als Autor zu bestehen. Ein rein virtuelles Dasein aus Nullen und Einsen zu bestreiten, im Internet, das ja angeblich nichts vergisst, – jedenfalls, solange es Nullen und Einsen gibt -, während der Buchmarkt dement ist und ein Buch innerhalb vierzig Tagen abhakt, wenn es keine Auflage schafft.

Na ja. Man kann es sich auch schön hüsteln, wandte ich ein.

(Vielleicht sollten ja Apfelbäume, Gräser und Kartoffeln beginnen Bücher zu verfassen, damit wir endlich mitkriegen, wie die unsere Welt sehen. DAS würde mal frischen Wind in die Bude bringen.)

Außerdem: Ein Buch bedeutet Unannehmlichkeiten. Werbemaßnahmen. Eine Lesereise. Ich hasse es vor Publikum zu lesen, ich hasse Hotelzimmer, ich hasse Reisen. Das ist alles Mist, der einem nur Zeit raubt und Konzentration und wo man nachts die Groupies abräumen muss, die Genitiv und Genital erst verwechseln und dann total süß finden, süß wie falsche Artikel.

Der Person hat gereibt!

Also, warum zum Teufel solltest du knickrigen Buchverlagen hinterherjagen, wenn du das auch allein geregelt kriegst im Internet?! Wo du als Self-Publisher die Fäden selbst in der Hand hältst? Ohne sich einem Verlag auszuliefern, der dich mit einem Honorar in Pfennigstärken abspeist?

WARUM?

 

neues notizbuch

 

 

“Darum.”

Der Chef des mittelgroßen ambitionierten Verlages aus dem süddeutschen Raum hatte mein Manuskript mit nach Marseille genommen, wo er vierzehn Tage Arbeitsurlaub plante. Danach wollte er anrufen. Er mich. Als als nach drei Wochen immer noch kein Anruf kam, rief ich an.

Ach, der Herr.. Glumm. Sie wollte ich auch noch anrufen.

Na, das ist ja jetzt nicht mehr nötig, entgegnete ich kühl. Die Stimmung war am Boden. Er wollte etwas zu meiner Biografie wissen. Ich war sprachlos. Es ist nicht so schwer, meinen Namen zu googeln. Wer sich ein bisschen Zeit nimmt, erfährt etwas über mich. Wahrscheinlich hatte er diese Art von Recherche bislang nicht nötig gehabt, schliesslich rannten ihm die Autoren auch so die Bude ein, Autoren, die von Ruhm träumten, von Groupies mit hochgestrubbeltem Haar und grandios übers Papier fliegenden Satzbauten. Träumern. Vollidioten wie mir.

Also erzählte ich etwas von mir. Das nötigste. Wer ich war, woher ich kam, wo ich noch nie gewesen bin und auch niemals hin wollte. Fortziehen aus der Heimat war nie ein Thema, sagte ich, aber nachdem ich die Bücher von Brautigan, Fante und Charles Bukowski entdeckt hatte, wünschte ich mir manchmal, ich wäre woanders geboren wurden - in Los Angeles vielleicht, oder den weiten Wäldern von Montana.

"Dann hätte ich dort bleiben können."

"Wär vielleicht besser gewesen."

"Ja."

Dann sagte der Verleger, dass er unschlüssig sei, was mein Manuskript betraf. Es passe in keine Kategorie. Das sei schon mal.. schwierig. Im übrigen, der Text gehe großartig los, baue aber im zweiten Teil stark ab.

Kann schon sein, sagte ich. Mit dem zweiten Teil hab ich mir jetzt nicht so die Mühe gegeben wie mit dem Anfang. War vielleicht nicht so professionell. Aber daran lässt sich arbeiten. Autoren arbeiten ständig an Texten. Das ist der Job eines Autors. Seine Profession.

Gut, aber er habe da noch ein Problem. “Du hast keinen Namen.”

Keinen Namen?

“Andreas Glumm”, sagte ich.

Nein. Keinen bekannten Namen.

Na wie denn auch, sagte ich. Wenn alle Verleger reden wie du, dann werde ich nie einen Namen haben, nicht auf dem Buchmarkt. Und so ganz unbekannt bin ich ja nicht, als Blogger.

Ja, als Blogger, stöhnte er. Und wie viele Leute kennen und lesen dich? Ein paar hundert? Ein paar tausend, wenns hochkommt?

Ja, für den Anfang doch besser als nichts.

Ja, aber das sind doch selbst alles Blogger. Blogger bleiben immer unter sich. Entschuldige, dass ich so deutlich werde, aber Blogs sind ein Ghetto. Jedenfalls im deutschsprachigen Raum. 99 Prozent, ach was, 99, 9 Prozent der deutscvhsprachigen Blogs sind Grütze..

Kleine Pause. Einen Moment Verschnaufen.

Sagen wir so. Wenn du schon irgendwie einen Namen hättest.. das wär besser. Egal als was, Hauptsache einen Namen. Basketballstar in Israel, verurteilter Schwanzlutscher in Saudi-Arabien, egal, ganz egal. Du verstehst, was ich meine? Die Leute kaufen kein Buch von jemanden, dessen Name ihnen nichts sagt. Besser noch sie kennen deine Fresse, die einen vorn auf dem Umschlag anknallt. Das ist Umsatzbringer Nummer 1. Deine Fresse.

Meine Fresse.., dachte ich.

Na, deine jetzt nicht. Die kennt ja keiner. Leider.

Pass auf, sagte er. Wir machen es so. Du hast eine Minute. Sag mir, warum ich mich für dich entscheiden sollte und nicht für Autor Y, von dem ich hier ebenfalls ein Manuskript auf dem Tisch habe – ein Autor, der jünger ist als du und schon ein bisschen bekannter.

Das soll ich dir beantworten?! sagte ich.

Ja, sagte er. Erkläre mir, was dich auszeichnet. Warum es ein Buch von dir geben muss, warum du einen Namen hast, den jeder kennen muss. Du hast eine Minute.

Ich saß da und dachte, da kratzt jemand an deinem Lack. Da geht einer an deinen Stolz. Der will sehen, ob du dich verkaufen kannst. Ob du ein Marktschreier bist für deine eigenen Belange. Daran ist nichts ehrenrühriges, eigentlich, der Mann ist Unternehmer, der will verkaufen, der muss Geld verdienen, dachte ich, is doch klar, und schwieg. Ein Name also. Glumm ist kein Name, da hatte er irgendwie Recht. Glumm ist ein Zustand. Ein physikalischer Widerstand. Eine Minute. Wie wärs mit einem Künstlernamen? Einem Pseudonym? Randolph Stuttgard hat der Gräfin immer gefallen. Ich war eher für Chicago Hoffmann.

Chicago Hoffmann.

Ich hörte Schreibtischgeräusche am anderen Ende der Telefonleitung. Ich hörte ein Verschieben von Stiften, da waren Kratzgeräusche im Hintergrund. Der Sauhund kritzelte, während wir miteinander sprachen. Wir nutzten beide Festnetz. Wir waren ungefähr gleich alt. Alter verlangt Chuzpe. Ohne Chuzpe bist du aufgeschmissen ab 50, und je älter du wirst, desto aufgeschmissener bist du, weil die Chancen weniger werden, wenn du in diesem Alter IMMER NOCH kein Bein im Geschäft hast. Weil du so spät angefangen hast zu begreifen, was das alles überhaupt soll mit dem Dasein. Nun ja. Wie sagte die Gräfin?

"Mich stört es gar nicht so sehr, dass ich langsam bin und so viel Zeit brauche, dass ich ein echtes Kriechtier bin, mich stört, dass das Leben so kurz ist, verdammt!"

Auch die Gräfin hat immer was zu kritzeln in der Hand, während sie telefoniert. Daran ist nichts respektloses. Dass man beim Telefonien kritzelt. "Ich könnt mich totkritzeln!" (Die Gräfin) Aber der Typ ging mir mit jeder Sekunde mehr auf den Sack, egal, was er tat.

“Wenn du wenigstens einen Roman hättest”, klagte er. “Nicht nur Storys.”

“Es gibt doch kaum Autoren, die so schreiben wie ich”, hörte ich mich sagen, ungenau und hochtraberisch. “So Autobiografisch. Von Heroin, von Altersdemenz..” Oh Mann. Das waren alles keine Gewinner-, keine Bringersätze. Ein Verleger will nicht hören, dass man anders schreibt, ein Verleger will gefälligst hören, dass man so ähnlich schreibt wie Bestseller-Autor Heinz XY. Aber das hatten wir doch schon. Du wiederholst dich, Glumm. Du kaust wieder.

In diesem Moment kackte ich ab. Das war's. Dabei war ich fast sicher gewesen, dass der Verlag mein Manuskript annehmen würde. Wir hatten schon über Vorschuss verhandelt, Veröffentlichungstermin. Da hing die Wurst also vor mir, zum Greifen nahe, ich hätte nur noch Hinschnappen müssen, und plötzlich – war sie weg. Weggezogen, wie zum Hohn. Wieder mal. Wenn du eine Chance vertust, kommt das Schicksal von hinten und tritt dir noch mal in den Hintern, mit der Pieke. Damit du es auch richtig spürst.

Scheiß doch auf die Verlage, meinte die Gräfin später. Mach es selbst. (Nachdem sie zuvor etwas gesagt hatte, das ich interessanter fand: DIE CHANCEN SIND SOWIESO IN DER WELT. WENN DU SIE NICHT NUTZT, NUTZT SIE EBEN EIN ANDERER. DER CHANCE IST EGAL, WER SIE NUTZT.)

“Du bist sowieso am besten, wenn niemand mehr mit dir rechnet – das ist deine ganz persönliche Pole Position.”

Ich blickte sie an. Wir waren seit mehr als 25 Jahren zusammen, niemand kannte mich so gut wie sie. Was sie sagte, war Gesetz. Sie war die Botin. Wenn man so lange zusammen ist und sich beim gemeinsamen Frühstück zur selben Zeit räuspert, dann ist das wie Wasserballett - nur Räusperballett.

Manchmal ging sie durch die Wohnung und ich schaute ihr hinterher, mit diesem Gefühl der Rührung. Zwei Menschen, die gut miteinander können, haben was rührendes, Zerfall hat was rührendes. Sätze haben was rührendes, wenn sie zur Welt kommen in der richtigen Umgebung. In der Sprach-Serengeti: Als würde ein Junges aus dem Hintern der Antilopenmutter fallen und losstaksen, inmitten lauter Nullen und Einser. Nur einen Namen musste das verdammte Kind haben. Einen spannenden Künstlernamen. Eine Bombe.

Guntherschnabel, vielleicht.

Auch schön.

 

foto.abendbrotgebiet

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