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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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Können wir zwei Kaffee haben

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Es war kurz nach fünf, als wir das Cafe des Altenheims betraten. Die Mitarbeiterin, die uns kommen gesehen hatte, lief von Tisch zu Tisch und wischte sie so demonstrativ missmutig ab, alle Welt sollte wissen, dass sie nur darauf wartete, dass es endlich halb sechs wurde und sie pünktlich die Kasse abrechnen und nach Hause durfte. Da waren zwei späte Gäste wie Vater und ich nur lästig. Am liebsten hätte sie die Stühle bei den Beinen genommen und falschrum auf die Tische gepackt, als defintiven Schlussgong. Aber die Öffnungszeiten ließen es nicht zu. 10.00 bis 17.30.

“Können wir noch zwei Kaffee haben?” fragte ich.

Auf meine erste Frage antwortete sie gar nicht, sie stellte sich konsequent taub und blickte durchs Panoramafenster in den Kaktusgarten. Erst als ich die Frage freundlich, aber bestimmt wiederholte und dabei den stoischen Eindruck vermittelte, es zur Not auch 45mal zu wiederholen,”können wir noch zwei Kaffee haben?”, “können wir noch zwei Kaffee haben?”,”können wir noch zwei Kaffee haben?”,”können wir noch zwei Kaffee haben?”, “können wir noch zwei Kaffee haben?”,”können wir noch zwei Kaffee haben?", ”können wir noch zwei Kaffee haben?”, “können wir noch zwei Kaffee haben?”,”können wir noch zwei Kaffee haben?", ließ sie sich zu einer Reaktion hinreißen. Was blieb ihr auch anderes übrig.

Öffnungszeiten: bis 17.30.

“Ja..”, schnarrte sie, ohne den Blick vom Fenster zu nehmen, “zwei mal Kaffee.. ich hab's gehört.”

Bis in den letzten Winkel ihres unglücklichen Gesichts war ihr anzusehen, dass sie aktuell so ziemlich alles lieber getan hätte als für meinen alten Vater und mich zwei Becher zu nehmen, sie unter den alten Kaffeevollautomaten zu stellen und volllaufen zu lassen. Der Widerwille war so eklatant, sie konnte ihn kaum unterdrücken. Ihr Gesicht war eine Mischpoke aus Überdruss und Mindestlohn.

Es sah nicht gut aus.

“Große Kaffee?” seufzte sie. "Oder kleine?"

Ich sah Vater an. "Große Kaffee?"

"WAS?!"

"KAFFEE! GROSSE KAFFEE???"

Er nickte. "Ja sicher große!"

"Ja, große Kaffee", sagte ich.

"Ich habs gehört."

Vater hatte sich schon hinsetzen wollen, war aber dann doch stehen geblieben, vermutlich, weil die Ungastlichkeit ihm den Augenblick verhagelte. Er stand unentschlossen am Tisch, ganz mit seinem Rollator verwachsen und müde von den vielen verrauchten Momenten des Lebens.

“Kannst dich ruhig hinsetzen”, sagte ich.

“Was?!”

“Kannst dich setzen..!”

“WASS?”

“DU KANNST DICH RUHIG SCHON HINSETZEN! KAFFEE KOMMT GLEICH!”

“Ja, ist gut.. ist ja gut..”

Er blieb dennoch stehen. Er war verwirrt von dem kurzen Disput zwischen der Bedienung und mir. Er wusste nicht genau, was das zu bedeutetn hatte. Und was es als nächstes zu tun galt. Dass ihn das alles so verunsicherte, geschah immer häufiger. Es war keine Marotte, es war ein Zeichen der vaskulären Demenz.

"Ist denn schon Feierabend?" flüsterte er. "Sind die alle schon zu Hause?"

Ich schüttelte den Kopf.

“Komm”, sagte ich, “ich helfe dir.”

Verfall und Schwerhörigkeit schritten voran. Er war oft gar nicht mehr richtig bei der Sache, sein Blick verharrte immer öfter im Ungefähren. Dachte ich jedenfalls. Und dann half ich ihm beim Hinsetzen und er schaute einen an, schelmisch wie eh und je, und haute einen Spruch raus, dass einem schwindlig wurde.

“Sag mal, siehst du das auch? Fliegen dahinten Vögel durch die Speichen?”

“Was..? Welche Speichen?”

“Na da vorn, von dem Rollstuhl, der da.. in der Ecke steht, da.. fliegen doch so kleine Vögelchen durch die Speichen..! Oder wie seh ich das?”

Er hatte regelrechte Halluzinationen, vermutlich von dem Dutzend Medikamente, das er täglich schlucken musste. Wenn er das Zeugs aber nicht nahm, überwältigte ihn die Angst und er bekam Panik. Wovor? Ich wusste es nicht. Ich vermutete, dass er den eigenen Zustand fürchtete. Was das Alter mit ihm veranstaltete. Dass es ihn im Kopf verrückt machte. Er fürchtete sich davor, was noch werden sollte, trotz der vielen Psychopillen.

Als er sich am Tisch niederglassen hatte, kam auch schon der Kaffee. Nein, der Kaffee wurde aufgerufen, wie auf dem Amt. “Ihr Kaffee ist fertig!” Fertig zum Abholen, auf dem großen Plastiktablett. Es war ja ein Selbstbedienungs-Cafe. Im Altenheim. Wozu noch groß freundlich sein zu den alten Leuten? Es lohnte nicht. Es dankte einem niemand. War man nett zu den Leuten, nahmen sie es als Selbstverständlichkeit.

“Solln wir auch n’paar Plätzker eten?” meinte Vater.

Plätzker. Gehobenes Platt. N’paar Plätzker eten. Nicht Plätzchen essen, Plätzker eten.

“Warum nicht.”

Wir entschieden uns für ein Pfund Waffeln & Kekse, Gebäck-Traum. Kaum war die Packung geöffnet, langte Vater zu. Er zog sich eine Schokowaffel nach der anderen rein, Stück für Stück, in einer Geschwindigkeit, die an eine gut geölte, ausgehungerte, verfallende Alt-Maschine erinnerte. Wie ich ihm so zuschaute, wurde mir bewusst, dass er unter schwerem Alterszucker litt, doch die Werte sackten nicht selten dermaßen in den Keller, dass die Pflegerinnen ihm den Traubenzucker riegelweise in den Mund schieben mussten und erst Ruhe gaben, wenn er sich die gereichten Zuckerstücke bis zum letzten Krümel einverleibt hatte, wie ein Pferd auf der Zuckerweide. Da konnte er auch mal ein Pfund Plätzker vertragen, dachte ich. Ein Schoko-Traum hat noch niemanden ermordet.

Vater süßte seinen Kaffee mit Natreen, ich mit raffiniertem Zucker. Dummerweise war der Deckel des Zuckerspenders nicht richtig zugedreht, beim Süßen ging reichlich was daneben. Der halbe Tisch war voller Zucker. Nachdem ich mich absicherte, dass die Kellnerin mit der Kasse beschäftigt war und uns nicht im Blick hatte, schüttelte ich die Tagesdecke überm Fußboden aus, wie Frau Holle.

“Was machst du denn da?” wunderte sich Vater.

“Da war Zucker drauf.”

“Ach so.”

Das  Schöne am Beisammensein mit demenzkranken Menschen: ihre unvergleichliche Akzeptanz so ziemlich jeder Situation. Sie nehmen als gegeben hin, was auch immer vorfällt. Oder es passiert das genaue Gegenteil und alles endet in einem riesigen Unverständnis. Das Schöne am Beisammensein mit demenzkranken Menschen ist die Überraschung, die jederzeit möglich ist.

“Probier mal den Kaffee”, sagte ich. "Schmeckt?"

“Probier mal meine Gedanken?” wiederholte er verblüfft.

“Den Kaffee! Probier mal, ob er dir süß genug ist! Du futterst ja nur Plätzker!”

“Ja, die schmecken gut. Die sind schön frisch, die Plätzker.”

Zwischendurch fielen ihm die Augen zu. Er wäre wahrscheinlich tief eingeschlafen, hätten ihn nicht laute Geräusche aufgeschreckt, als um kurz vor halb sechs die Putzkräfte einliefen, mit ihren Supersaugern.

“Ja - was ist das denn..?" stiess Vater mich an. "Kommt da die Eisenbahn??”

“Das ist die Putzkolonne”, sagte ich, und er nickte.

“Die kenn ich. Die ist in Ordnung.”

Beim Griff in die Kekspackung erwischte er ein Gebäckstück, bei dem die Schokolade schon angeschmolzen war, von der Wärme im Cafe. Alte Menschen frieren schnell, dedshalb läuft die Heizung im Altenheim volle Pulle Tag und Nacht. Jedenfalls, nicht nur seine Finger waren voller Schokolade, sein ganzes Gesicht enthielt deutliche Spuren von Kakaozubereitung.

“Na hallo, alte Zuckerschnute”, sagte ich, und er gluckste gelöst.


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