Strakeljahn versuchte LSD in Heimarbeit herzustellen. Er war ein undurchschaubarer bleicher Bursche, der in einem langen schwarzen Gestapo-Mantel duch die Gegend lief, den er von seinem Großvater geerbt hatte, und er war aschfahl im Gesicht – bis auf die Bäckchen, die wechselten schon mal die Farbe. Mal glühten sie rotkäppchenrot, mal waren sie eisblau, gerade so als wäre Strakeljahn dem Kühlraum einer Metzgerei entstiegen.
Mit Drogen hatte er eigentlich nichts am Hut. Von uns mal abgesehen hatte er keinerlei Kontakt zur Szene. Und auch an uns war er nur zufällig geraten, weil er in dem Haus an der Meigener Straße wohnte, in dem Rüttgers Hals über Kopf eingezogen war, nachdem ihn sein Vater rausgeworfen hatte.
Strakeljahn hörte uns abends zusammensitzen, Tüten kiffen und Zappa hören, und kam runter. Er setzte sich zu uns und lernte eine andere Welt kennen.
Strakeljahn studierte Chemie, aber man sah ihn nie zu Vorlesungen fahren. Wir wussten auch nicht, was er da oben trieb in seiner Klause unterm Dach. Auch Rüttgers, der im Erdgeschoß wohnte und sonst doch so leutselig war, hielt sich bedeckt. Einmal hörten wir die beiden im Treppenhaus lautstark miteinander streiten. DU JAGST UNS NOCH ALLE MANN IN DIE LUFT! brüllte Rüttgers, worauf Strakeljahn seinen schweren Nazi-Mantel zuknöpfte, den Gürtel festzurrte und beleidigt davon marschierte.
Dass es bei dem Disput um die Zubereitung von Acid ging, erfuhren wir erst im Nachhinein. Strakeljahn hatte sich auf dem Speicher eine kleine Dunkelkammer eingerichtet, unter Fotolaborbedingungen, weil Derivate unter Lichteinwirkung verfallen, wie er mir und Pepe anvertraute. Er hantierte mit Reagenzgläschen und Rundkolben, doch wir hatten nicht den geringsten Schimmer, was wirklich vor sich ging. Noch heute würde ich kein Wort von dem kruden Zeugs kapieren, das er uns auftischte, doch heute würde ich immerhin gut hinhören, um es halbwegs vernünftig wiedergeben zu können. Strakeljahn, sonst so gehemmt, blühte richtig auf, wenn er von Problemen bei der Produktion von LSD sprach, von Massenformeln, Molekülen und Vakuumbedingungen. Es stellte eine Herausforderung für ihn dar, und wir sollten als Versuchskaninchen herhalten.
„Ihr seid doch immer geil auf Pillen. Bei mir kriegt ihr alles umsonst.“
Pepe und ich glotzten ihn an wie einen Alien. Wofür hielt er uns? Für Selbstmörder? So wenig wie wir Chemie kapierten, so wenig verstand er uns pubertierende Jungs. Wir wollten nur unseren Spaß haben. Wir wollten nicht nach Wahnsinn stinken, wenn beim LSD-Kochen was schief ging.
Strakeljahn war eine seltene Pflanze, mit bleichem Fruchtstand. Er kniete sich voll rein in die theoretischen und praktischen Voraussetzungen, um Trips herzustellen, doch da er trotz mühseliger Recherche nicht an „sauberes“ Mutterkorn herankam, unerläßlich für die Produktion von LSD, versuchte er an eine Alternative zu gelangen, an den Samen einer Pflanze namens Morning Glory. Indios und Mayas hatten das Halluzinogen in den alten Tagen für rituelle Zwecke genutzt. Es sollte in Trance führen und dafür sorgen, das Wesen der Natur besser zu begreifen. Na schön – aber wofür dann noch LSD kochen? maulten wir, wenn Morning Glory doch schon topp war. Lass sein, Strakeljahn. Besorg einfach Morning Glory. Das reicht. Das tun wir uns vielleicht rein, aber was du daraus machst, diesen ganzen Home Cookin‘ Kack, interessiert uns nicht. Ich meine, wir waren jung, aber nicht doof.
Nicht so doof.
Strakeljahn kam nicht heran an Morning Glory. Damals gab es noch kein Internet, wo sich weltweit alles per Mausklick ordern ließ. Es war alles viel komplizierter, und manches klappte nicht. Niemand wusste so richtig Bescheid. Es gab natürlich kleine Schieber, die mit psychoaktiven Substanzen dealten, aber von Einzelheiten bei der Acid-Herstellung hatte niemand Ahnung. Wir fragten uns sogar, woher das LSD kam, das auf dem Markt war. Wer das eigentlich wo und unter welchen Bedingungen zusammenbraute.
„Na, polnische Chemie-Studenten machen das“, knurrte Strakeljahn. „Wer denn sonst.“
Das war es, was ihn umtrieb. Der Ehrgeiz des künftigen Berufs-Chemikers. Lucy aus Langenfeld immerhin glaubte, ihm helfen zu können. Morning Glory kann ich klarmachen, wieviel brauchst du? einen Karton? Als Strakeljahn davon berichtete, fing er vor Wut an zu schnauben und zu zittern und stieß gepresst hervor, die glaubt tatsächlich, dass LSD fünf Minuten ziehen muss! Lucy dachte, es ginge um Tee.
Strakeljahn verwarf Morning Glory und probierte es mit harter schweißtreibender Grundlagen-Chemie. Man sah ihn mit rosa Spülhandschuhen durchs Haus laufen, mit glühenden Bäckchen, vor sich hinmurmelnd. Er stattete sein Untergrund-Labor mit Haatrocknern aus, für welchen Zweck auch immer, er besorgte Trockeneis und Chloroform. Und das war der Moment, wo Rüttgers allmählich nervös wurde und sich nicht mehr traute, auch nur den kleinsten Bong anzuzünden, weil er Schiss hatte, das ganze Haus würde explodieren und in Flammen aufgehen.
Ich weiß nicht, was aus der Sache geworden ist, ich schätze mal, nichts. Das Haus an der Meigener Straße, in dem Strakeljahn und Rüttgers wohnten und auf einem riesigen Stapel Zappa-Platten saßen, wurde bald darauf abgerissen, Ende 1978. Eine Weile sah man Strakeljahn mit einem Hausschwein durch die Gegend tingeln, einer großen dicken Sau, deren Zitzen über den Boden schleiften wie offene Schnürsenkel. Die Leute blieben stehen und starrten dem seltsamen Paar nach, und irgendwann tauchte Strakeljahn ganz ab. Wie man hörte, verschwand er auf der Rheinschiene und wurde nie wieder gesehen.
Rüttgers zog in die Innenstadt. Auch da trafen wir uns noch eine Weile zum Zappahören und Haschischrauchen, Pepe, Benzini, die beiden Hansen-Brüder, Banane-Martin, Karlos und der Mitsubishi Boy saßen herum und hatten Spaß, doch es war irgendwie nicht mehr dasselbe. Es war anders geworden. Die verdammten Achtziger brachen an.
„Fang schon mal an“, meinte Karlos.
„Womit?“
„Na. Aufschreiben.“