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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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Bleibst du Mensch? Wirst du Maschine? Du hast die Wahl

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Ehrlich gesagt, und um viel anderes gehts ja hier nicht, ich hab wenig Ahnung, wie Dinge funktionieren. Alles, was über das Drücken der START-Taste einer Maschine hinausreicht, ist für mich technisch nur schwer nachvollziehbar. Gut, STOP geht auch noch. Besser ist aber, der Apparat kapiert von sich aus, dass ich mit einer bestimmten Angelegenheit durch bin und fährt automatisch runter. Doch diese Mühe macht sich nur die ein oder andere Gerätschaft. Ist denen doch schnuppe. Hochnäsiges New School-Pack.

Manchmal sitz ich vorm Fernsehapparat und überlege, wie das Bild in die Kiste kommt, ob nun hochauflösend oder tief, ich hab keine Ahnung. Oder ich häng am Computer. Großes Naturwunder Internet. Wie geht das denn, bittesehr? Ich skype mit einer Antilope in Kamerun. Wahnsinn. Na gut, dahinten ist ein langes Kabel, das geht vom Computer in die Zimmerwand, das hat irgendwie damit zu tun. Aber ohne Kabel geht auch.

Hexerei.

 

*

Ich kann mit dem rechten Fuß so versiert gegen einen Ball treten, dass die Flugbahn die Form einer Bratwurst nachzeichnet, und zur Not kann ich über dieses Phänomen des Effet-Schusses auch einen Bericht schreiben, aber wen juckt das groß. Ich bin eine Inselbegabung. Ich kann detailliert berichten von der Insel, auf der ich lebe, ich kann das Meer beschreiben, das um die Insel herum tost und mich becircst, jedenfalls, so weit ich das überblicke. Doch zu viel mehr bin ich nicht in der Lage.

Die Gräfin ist darauf sogar ein bisschen neidisch. Sie fühlt sich von vielen Talenten umstellt, sie ist eine Inselkette. Es gibt eine Insel für Ölmalerei, eine fürs Steine hauen, sogar eine für Chansons singen. Sie kann gut Autofahren, sie kann wunderbar kochen und den Hund versorgen, wenn er krank ist und aus der Pfote blutet. Ich kann das alles nicht. Ich kann Flanken schlagen wie Bratwürste und Worte hinstellen, dass sie nicht direkt umfallen.

“Du hast es gut”, seufzt sie öfter mal. “Du musst dich nicht entscheiden.”

 

*

Zwischen 2007 und 2009 war ich in der Bibliothek des Design-Instituts mit der digitalen Archivierung von Fachbüchern aus dem Bereich Industrial Design, Kunst und Architektur beschäftigt, da klingelte irgendwann das Telefon. Wie das funktioniert ist mir auch schleierhaft. Der Transport von Stimmen von hier nach da, dazu noch in Echtzeit und ohne Gesichtsverlust, also, ich weiß nicht.. Transport bedeutet für mich nichts weiter als es von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft zu schaffen, über knifflige Zeitspalten und Stimmungsschwankungen hinweg half, mehr nicht. Und das ist schon schwer genug zu verstehen. Ausserdem, ist nicht jedes Telefongespräch als Fata Morgana einzustufen, als Luftgebilde, das sofort in sich zusammenstürzt, sobald das Gespräch zu Ende ist? Ich würde mal sagen:

weiß nicht.

Auf dem Display der Telefonanlage blinkte GESCHÄFTSFÜHRUNG auf. Das Institut hatte einen neuen Geschäftsführer, frisch von der Universität Bonn hansdampfte er über die Flure, ein effektiver neuer Besen. Mit dem alten Geschäftsführer hatte ich diese unausgesprochene Abmachung getroffen, dass wir uns gegenseitig in Ruhe unser Leben liessen, ohne Einmischung von anderer Seite, und jetzt das. Darauf musste man sich erstmal einstellen. Das war ein ganz harter Kanten Brot. Plötzlich hatte ich alle Hände voll schlechter Karten, was den Job betraf.

GESCHÄFTSFÜHRUNG, drängelte das Display. GESCHÄFTSFÜHRUNG, GESCHÄFTSFÜHRUNG.

Ich nahm den Hörer ab. Ob ich die Zeitung besorgt hätte. Die Zeitung?

“Ach ja.. Nee. Noch nicht. Hol ich gleich.”

Zu Beginn der Woche war in der Lokalpresse ein Artikel über den neuen Geschäftsführer erschienen, inklusive einem kurzen Interview. Ein Belegexemplar lag in der Redaktion der Morgenpost zur Abholung bereit, und auf der wöchentlichen Instituts-Besprechung hatte ich leichtfertigerweise versprochen, mich darum zu kümmern, was ich im nächsten Atemzug wieder vergessen hatte.

In der Mittagspause machte ich mich auf die Socken zur Geschäftsstelle der  Morgenpost in der Fußgängerzone. Es waren nur einige hundert Meter. Es hatte den ganzen Vormittag geregnet und gestürmt, jetzt kam die Sonne raus und warf einen Regenbogen an den Himmel, so riesig wie der Henkel an der Handtasche Gottes. So gewaltig, dass ich, als ich darunter her schritt, glatt vergaß, mir etwas zu wünschen.

“Ach nee!” grinste jemand. “Herr Geheimrat!”

Fleschkönigs stand vor der Hauptpost, die BILD so lässig unterm Arm geklemmt, als wär’s die FAZ.

Er kam gleich zur Sache.

“Hör mal, ich bin clean. Ich bin jetzt im Methadonprogramm.”

Was eine Ansage. Ich wusste nicht, ob ich mich für Flesch freuen sollte, schließlich ist Methadon so eine Sache. Wenn Heroin schon kein Publikumsknüller ist, dann ist Methadon wirklich ein einsames Geschäft. Niemand leistet einem Gesellschaft, wenn man in der Früh sein tägliches Quantum abschluckt, das der Doc für einen vorgesehen hat. Und dann liegt der liebe lange Tag noch vor einem. Nicht mal mehr losziehen muss man noch und Geld besorgen für Stoff.

“Was ich in meinem Leben schon alles geklaut und abgegriffen hab, dafür komm ich garantiert in die Hölle. Da darf ich dann all meine Schulden abarbeiten", kicherte Flesch. "Jede Wette. Meine Schulden bei Karstadt, bei Kaufhof und bei Woolworth.. und bei der Tengelmann Group sowieso.”

Seine Stimme war ein bißchen eingerostet, doch als er darauf zu sprechen kam, dass er seinen Doc bescheißen musste, um nicht gleich wieder aus dem Methadonprogramm zu fliegen, gewann seine Stimme an Kontur. Weill bei den turnusmäßigen Urintests immer weniger Patienten positiv auf Beikonsum getestet wurden, war der Doktor misstrauisch geworden und hatte die Kontrollen verschärft. “Ich kenn euch Vögel doch. Ihr seid doch nie und nimmer clean.” Fortan gab es eine Neuerung: Es wurde nur noch unter Sicht abgepinkelt, damit es auf dem Klo mit rechten Dingen zuging. Damit niemand mitgebrachte saubere Pisse kurz auf Körpertemperatur erhitzte und dann als seine abgab.

“Da hat der Doc aber nicht mit mir gerechnet”, erzählte Fleschkönigs.

Ein erfinderischer Mensch, der Daniel Düsentrieb der Drogenszene. Er machte sich gleich an die Arbeit. Ausführlich schilderte er mir die komplizierte Apparatur in seiner Unterhose, mit der es weiterhin schaffte, sauberen Urin, auf Körpertemperatur vorgewärmt, am Pimmel vorbei in den Pappbecher fließen zu lassen, durch einen superdünnen Spezialschlauch, den der Doc von seinem seitlichen Standpunkt aus nicht sehen konnte, wenn er ihm beim Pinkeln auf dem WC beobachtete. Ich kapierte hauptsächlich Bahnhof, es klang aber hochprofessionell und nötigte mir Respekt ab. Ach was, ich war hellauf begeistert von Idee und Ausführung!

“Wenn die Schweine aufrüsten, rüsten wir nach!” rief er, und die Leute vor der Hauptpost drehten sich neugierig um

“Hm, ja, seh ich ähnlich”, sagte ich zum Abschied. Eigentlich sah das ich sogar ganz genauso – wenn ich die Technik denn geblickt hätte.

Zurück im Institut, mit der Morgenpost des Vortages unterm Arm, nahm ich den Aufzug in den zweiten Stock. Da die Sekretärin erkrankt war, öffnete der neue Geschäftsführer persönlich. Ich drückte ihm die Zeitung in die Hand. Der Mann hatte krauses Haar wie ich, aber in einer dünneren, graueren, drahtigeren Ausführung. Während meine Locken weich wie Butterflocken vom Kopf fielen, standen ihm die Metallspäne geringelt vom Haupt. Richtig, er hätte genauso gut einen Schrotthandel managen können. Im großen Stil. Versteht sich. Ist klar.

“Kopieren Sie den Artikel bitte vier Mal, ich hab gleich ein wichtiges Meeting. Dann muss das fertig sein.. Inklusive Interview, versteht sich. Sagen wir, in einer halben Stunde? Vier Kopien? Ja? Ist das drin?”

Ich nickte.

“Schön”, sagte er, "schön, schön", und widmete sich wieder seinem aufgeräumten Schreibtisch, auf dem nichts los war. Natürlich lief der PC, aber das bedeutete nichts, PC’s liefen auf jedem Schreibtisch der Welt, ohne dass auf dem Monitor was los war.

Ein seltsamer Vogel. Wir passten irgendwie nicht recht zusammen. Die Chemie stimmte nicht zwischen uns, die Physik stimmte nicht, der Sportunterricht nicht, die Deutschstunde nicht, Erdkunde und Religion auch nicht – es war alles großer Käse zwischen uns. So wie man gelegentlich auf Menschen stößt, mit denen auf Anhieb alles möglich ist, so gibt es auch Menschen, wo von vornherein alles verloren ist. Das muss man akzeptieren. Man kann höchstens alles daran setzen, den Boden wieder gut zu machen, den man beim ersten Mal verwüstet hat. Falls daran Interesse besteht. Von beiden Seiten. Man kann nämlich auch schön alles lassen, wie es ist und damit leben – ja natürlich, das geht auch. Ist jetzt eher meine Methode. Soll er doch sein Leben und ich meines.. eben.

Ich seh es so: Die Menschheit ist nichts anderes als der Versuchsballon des Universums. Die Evolution probiert an uns aus, wie weit sie gehen kann. Wir sind Getriebene. Oder wie die Gräfin mal meinte: “Die tun einem richtig leid, die Menschen. Die können ja gar nichts dafür, wie sie sind.” So gesehen ist jeder von uns ein getriebenes armes Schwein, was sollen wir uns da gegenseitig auffressen. Soll doch jeder sein eigenes Leben verbocken und verdaddeln und dem anderen genug Platz lassen, damit der sein kleines Leben ebenfalls verdaddeln und verbocken kann. Ich bin für gerechte Verteilung. Einen links, einen rechts, einen fallen lassen.

Der Kopierer befand sich ein Stockwerk tiefer, gleich neben dem Computer-Labor, das in dieser Woche wie leergefegt war. Mitarbeiter waren in Urlaub, bummelten Überstunden ab oder hatten sonstwie frei. Im ganzen Institut schien überhaupt niemand zu arbeiten, außer der neuen Geschäftsführung und mir.

Als ich den Artikel mal eben kopieren wollte, musste ich feststellen, dass die Zeitung ein ungünstiges Format hatte. Der über mehrere Spalten verteilte Artikel und das angehängte Interview passten nicht ins vorgegebene A4-Raster. Auch wenn es nur ganz knapp scheiterte, es scheiterte. Es passte nicht auf die Glasplatte. Nichts zu machen.

Ich faltete den Artikel enger, noch enger, nahm Ränder weg, mehr Ränder, doch auf den anschliessenden Probekopien fehlte stets etwas. Entweder war die Überschrift abgeschnitten oder die unterste Passage fehlte. Zudem begann das dünne Zeitungspapier schon einzureissen, von der ganzen blöden Falterei.

Nächster Versuch. Wenn es nicht auf A4 ging, musste der Artikel eben auf A3 kopiert werden. Ich entfaltete die Seite zurück in ihren Ur-Zustand und legte sie auf der Glasplatte in den vorgegebenen A3-Raster. Wieder passte es nicht, wieder lappte es über. Also die Ränder wieder weggefaltet, bis es endlich passte. Ich drückte START – es tat sich nichts.

BITTE PAPIER EINLEGEN.

Hm. Ja. Ach so. Ich holte einen Stapel A3-Bögen aus dem Schrank, öffnete das Papierfach des Kopierers. Als ich den Blick hob, begegnete mir eine Kurzanleitung. Wie mit dem Farb-Kopierer umzugehen ist, wenn man auch schwierige Situationen meistern will. Mir wurde warm vor Freude. Ich las weiter. Dummerweise stand da nichts von Zeitungsartikel kopieren. Zeitungsartikel kopieren schien definitiv keine schwierige Situation zu sein. Gottseidank. Das Papier war im Fach, die Zeitung lag auf dem Vorlagenglas, es war alles bereit zum Kopiervorgang, es konnte losgehen. Ich schloss den Deckel, START.

Und die Maschine ratterte los. Es klang eine Weile richtig kopierermäßig, XEROX-Sounds at his best – plötzlich war Sense. Es machte krrk: Ein Geräusch, als spürte die Würgeschlange, dass sie was falsches gefrühstückt hatte. Eine Eckbank vielleicht. Die Kopie im Großformat A3 blieb zur Hälfte im Auswurf stecken. Es ging nicht vor und nicht zurück. Genau in dem Moment – logisch –  kam der Geschäftsführer die Treppe runter. Hatte es eilig. War im Stress. Wollte nur schnell die fertigen vier Kopien abholen, die ich noch nicht nach oben ins Büro gebracht hatte – entgegen der Abmachung.

“Warum eigentlich?” hetzte er.

“Das hat äh nicht geklappt. Das Ding streikt”, sagte ich.

Er war ein bisschen angesäuert. Die Zeit drängt, stand in seinem Gesicht geschrieben, und zwar nicht in digitalen Zeichen, sondern in altmodischen römischen Kapitälchen: NOCH 10 MINUTEN BIS ZUM MEETING! SIE SCHERZKEKS!

“Da tut sich nichts”, zeigte ich auf den Kopierer. Die Maschine hatte jetzt nicht einmal mehr Licht. Total dunkel stand sie da. Ein Leichnam.

“Na toll, das kann ich jetzt gut gebrauchen”, knurrte der neue Geschäftsführer. Er war mir nicht mal besonders unsympathisch, ich wusste einfach nicht, was ich von ihm halten sollte. Es war einer dieser forschen Typen, die einem auf Schritt und Tritt begegneten.

“Ich wollte auf A3 wechseln, weil auf den A4-Kopien immer was fehlte, mal der Titel, mal unten das Interview”,  babbelte ich drauflos. Ziemlich sinnloses Zeugs. “Entweder es fehlte die Überschrift oder.. unten.. fehlten die.. äh..”

“Dann machen Sie doch einfach zwei Seiten draus”, unterbrach er mich und drehte auf dem Absatz um. Ein verärgerter Lucky Luke, der jeden Augenblick die raffinierte Daltons-Bande zum Lunch erwartete, doch im Moment hatte er noch mit Rantanplan zu tun, dem dusseligsten Präriehund New Mexicos. “Und zwar möglichst rasch. Kriegen Sie das hin?”

Als er fort war, blickte ich auf dir kühltruhengroße Kopiermaschine und entdeckte eine Order, die mir zuvor nicht aufgefallen war: BEFOLGEN SIE DIE ANLEITUNG AN DER SEITLICHEN ABDECKUNG. Ein Pfeil wies nach rechts unten. Ich folgte brav dem Pfeil und öffnete an der Seite des Kopierers einen Schacht. Wie immer, wenn mir das Wort SCHACHT begegnete, setzte sich eine Assoziationskette in Gang, seit ich während der Umschulung zum Steuerfachangestellten neben einem deutsch-ukrainischen Mädel gesessen hatte, das hieß Schacht. Ein patentes Mädel. Bisschen langsam im Kopf, vielleicht. Und patzig. Die patzige Schacht. Die im Unterricht noch jeden Umsatzsteuer-Lehrer zur Verzweiflung trieb mit ihrem russisch gefärbten harten Singsang: WIE, BITTE SCHÖN, LÄSST SICH DAS LOGGISCH DENKEN?! fragte sie, wenn sie im Unterricht mal wieder etwas nicht verstanden hatte. Ja verflucht, genau das hätte ich jetzt auch zu gerne gewusst, wie sich das logisch denken lässt! Das Leben, die Kopien!

4 Stück, bitte!

In der Anleitung wurde auf Englisch und Schritt für Schritt die Duplex-Funktion geschildert. Die Duplex-Funktion? Was zum Himmel sollte das jetzt!? Ich wollte nicht beidseitig kopieren, ich wollte bloß eine Kopie in der Größe von A3 ausgeworfen haben, Freunde! Oder A4 meinetwegenl! Vier kleine Kopien! Herrschaftszeiten! War war so schwer daran, einen winzig-kleinen Zeitungsartikel in vierfacher Ausfertigung zu kopieren? Nicht zu vergessen das dazugehörige Interview! Das konnte doch so schwer nicht sein, Himmel!

Ich und die Technik, das war schon immer ein sehr spezielles Mißverhältnis, auch wenn ich insgesamt eine straighte Linie verfolge. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Menschheit aufs vollelektronische Finale zusteuert, wo sich jeder zu entscheiden hat: Bleibst du Mensch? Oder wirst du Maschine? Du hast die Wahl.

In einer Maschinenwelt, in einer Maschinengesellschaft wird von dir erwartet, dass du dich wie eine Maschine verhältst. Es muss keine bewusste Erwartung sein, im Gegenteil, alle rutschen so rein in die Erwartungshaltung, aus einem einfachen Grund: weil wir zunehmend von Maschinen, Computern, Apparaten umstellt sind, die für uns entscheiden. Die Maschinengesellschaft erwartet, unbewusst, dass man nicht aus der Reihe tanzt, dass man funktioniert, ohne große Reibungsverluste, die ein Menschsein in der Regel mit sich bringt. 

Je mehr Maschinen und Computer unser Leben dominieren, desto mehr werden wir selbst Computer und Maschine. Der Mensch neigt dazu, sich nach oben zu orientieren. Zur Führung, zum Maschinengott.

Du kannst dich aber auch dagen entscheiden. Du kannst dich dagegen auflehnen, von Maschinen Befehle zu empfangen und auszuführen. Davon bin ich überzeugt, so wie die Gräfin davon überzeugt ist, dass sich jeder Mensch eines Tages entscheiden muss: Geh ich ins All und helfe beim Aufbau einer außerirdischen Kolonie, oder bleibe ich unten auf der Erde. "Auf diesen Tag freue ich mich schon, wenn all die Störenfriede zu den Sternen schippern, mit riesigen Köpfen, und bei uns auf der Erde wird es wieder schön ruhig. Schade, dass ich nicht 2000 Jahre alt werde und das miterleben darf. Frechheit.”

Was die Frage Mensch oder Maschine anging, so hatte ich mich längst entschieden. Aber gut, ich hatte auch leicht reden, als Technikdepp hätte ich eine miserable Maschine abgeben. Eine, die öfter mal ausfällt, die klappert und an der falschen Stelle dampft – und alle Ingenieure, alle Techniker sind ratlos. So etwas kann niemand wirklich gebrauchen. Da ist man lieber ein schlechter Mensch als eine gefährliche Maschine.

“Das kann doch nicht so schwer sein..!”

Der Geschäftsführer war zurück. Er hatte krauses Haar wie ich. Ja, ich weiß, das hatten wir schon, aber wir hatten auch das Problem mit dem Zeitungsartikel schon, ohne dass ich nennenswerte Fortschritte gemacht hätte. Ich bekam diesen verdammten Kopierer nicht gebacken, nichts zu machen. Ich war zu blöde. Der neue Chef trat von hinten an mich heran und blickte mir ungeduldig über die Schulter.

“Sehen Sie..! Da steckt noch Papier drin! So klappt das schon mal gar nicht!”

Mit einem kräftigen Ruck zog er den A3-Bogen aus dem Auswurf. Genau das hatte ich mir zuvor auch schon überlegt, aber wieder verworfen, weil ich meinem Plan nicht traute. Vielleicht ging ja jetzt was, wo der verknüddelte A3-Bogen den Auswurf verlassen hatte.

“Haben Sie auch das Raster umgestellt?”

Wenn der Geschäftsführer etwas fragte, wartete er die Antwort selten ab. Warum fragte er dann überhaupt. Am Papierfach befand sich ein Rädchen, das so lange weitergedreht werden musste, bis die gewünschte Norm erreicht war und einrastete. Die gewünschte Norm war:

A3.

“Nee”, sagte ich. “Wusste ich nicht, dass man das so von Hand einstellen muss.. Ich mein, ich dachte, das wär ne Maschine, die macht das.. automatisch..”

“So. Weiß er denn überhaupt etwas? Weiß er denn überhaupt etwas?” murmelte der Geschäftsführer, als wäre er der Großwesir am Hofe des Sultans und ich der kleine Muck. Er fummelte mit hektischen Fingern an dem kleinen Plastikrädchen herum. “Sehen Sie: Das Rädchen muss doch auf A3 stehen! Ist doch logisch! Wie soll die Maschine denn sonst das Format erkennen?”

Er hatte die Nase voll. Ich auch. Es reichte uns beiden an allen Fronten.

“Wissen Sie was? Machen Sie einfach zwei Seiten draus..! Ich muss jetzt hoch zum Meeting”, beschied er mich. Er musste sich zusammenreißen, um nicht endgültig die Contenance zu verlieren. Er schnappte sich die erste Probe-Kopie, die ich ganz zu Anfang gemacht hatte und auf der Überschrift und unterste Zeile des Artikels fehlten, aber das war ihm jetzt auch schnurz, Hauptsache, er hatte überhaupt etwas in der Hand, das er präsentieren konnte.

“Einfach alles auf zwei Seiten verteilen, ja? Eine Seite Bericht, andere Seite Interview. Kriegen Sie das hin? Was meinen Sie..? Und dann bringen Sie uns das bitte hoch ins Büro.”

Er stieg die Treppe hinauf. Er war innerlich so auf 180, man sah die Metallspäne auf seinem Schädel glühen. Was mich betraf, so war danach ganz aus. Es ging nichts mehr. Der Kopierer warf alles durcheinander, was ich ihm auftrug, er streikte auf ganzer Linie – das Display lag vor mir wie ein mausetoter grauer Tümpel. Alles war tot, tot, tot.

Als ich es immerhin hinkriegte, dass wieder Licht in die Maschine kam, versuchte ich den Zeitungstext in winzigen 1%-Schritten zu verkleinern, ein reiner Verzweiflungsversuch, der ebenso misslang wie alles andere, das ich zuvor schon ausprobiert hatte. Ich begann die Zeitungsseite erneut so akkurat wie nur möglich zu falten und auf irgendein unbekanntes J54-Format zu trimmen, bis die Zeitung komplett zerfleddert unterm Kopierer lag.

Kurz verfolgte ich noch den verwegenen Plan, den Artikel in aller Eile per Hand abzuschreiben und der Geschäftsführung als Kassiber zu übergeben, konspirativ, versteht sich, doch dann liess ich alles stehen und liegen und verduftete ein Stockwerk tiefer in die Bibliothek. Ich schmiss den Rechner an, archivierte auf die Schnelle drei, vier Bücher, darunter eins von Coletti, dem Großmaul der internationalen Designer-Kaste, dann machte ich eine Stunde zu früh Feierabend und bewegte mich heim, Richtung Kannenhof.

Bloß weg hier.

Unterwegs begann es zu regnen. Erst als ich die Haustür aufschloss, hörte der Regen auf, und die Gräfin und der Hund begrüßten mich.

“Schau mal”, sagte sie fröhlich.

Sie hatte im Garten einen Regentropfen von der Wäscheleine gepflückt und balancierte ihn nun auf der Fingerkuppe vor sich her wie ein kleines russisches Herz, und schenkte ihn mir. Sie schenkte mir einen frischen kleinen Regentropfen. Ich war überwältigt. Ich war begeistert von Plan und Ausführung. Meine Stimme gewann an Kraft.

“Hallo ihr beiden Mädchen.”

Ich war zuhause.


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