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Madam Pompadour

 

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Ich hatte ein merkwürdiges Stechen im linken Ohr. Es fühlte sich an, als sägte jemand vorsichtig und mit spitzen Fingern an meinen Gehörknöchelchen, so als wollte jemand versuchen auszubrechen. Jemand kleines. Ein gruseliges Gefühl. An anderen Tagen spürte ich gar nichts, da war alles in bester Ordnung, dann wiederum war der Teufel los. Ein Schmerz fuhr ins linke Innenohr, so stechend und rigide, als drehe sich darin eine ungekochte harte Spiral-Nudel um die eigene Achse. Immer nur im linken Ohr. Meine linke Seite war gestört. Die künstlerische Seite. Voll einen an der Klatsche.

Es dauerte fast drei Monate, bis ich mich endlich aufraffte und Madam Pompadour aufsuchte. Madam Pompadour, platinblonde polnische Fachärztin für Hals,-Nase,-Ohren, hieß eigentlich Dr. Pompalonczyński oder so ähnlich, aber wer sollte sich das merken. Mein alter dicker HNO-Doktor vom Neumarkt, der mit den roten Patschehändchen, zu dem ich viele Jahre gegangen war, hatte den Beruf aufgeben müssen, wegen Nervenleiden und schwerem Tinnitus. Ungelogen.

Montagmorgen, acht Uhr. Madam Pompadours schlecht belüfteter Warteraum platzte aus allen Nähten. Nasenkranke mussten in den Gang ausweichen.

Erstmal an den Tresen.

"Waren Sie schon mal bei uns, Herr Glumm?"

"Ja, ist schon was her."

Eine Zungenwurzelentzündung hatte mir zugesetzt. Ich bekam zehn Tage Penicillin, dann war der Fisch abgeschwollen. Die freundliche Thekenkraft blickte auf den Monitor. Das Telefon klingelte. Weitere Arzthelferinnen wuselten durchs Bild. Selbst Frau Doktor bekam ich kurz zu sehen.

"Richtig.. da hier haben wir Sie, Herr Glumm. 2008 waren Sie hier. Ist  ja gar nicht so lange her. Gut. Haben Sie etwas Zeit mitgebracht?"

Ich hatte es befürchtet. Als ich den Warteraum betrat, war genau ein Schalensitz frei, hinten bei den Spielsachen, wo ein kleines Mädchen Kampfschaf spielte, das Gesicht im Omo-Eimer. Kaum hatte ich mein Notizbuch, den Kugelschreiber, den Ersatzkugelschreiber und den neuen SPIEGEL, den ich mir gekauft hatte, um mir die Zeit zu vertreiben, aus der Jacke gezogen, wurde ich aufgerufen und durfte den ganzen Mist gleich wieder einsammeln, vom Omo-Eimer-Kind misstrauisch beäugt. Pom-pom-pom hörte ich es trommeln.

"Nehmen Sie schon mal im Gang Platz, Herr Glumm", bat die Arzthelferin.

Die Atmosphäre war überraschend relaxed, obwohl es doch Montag war und die ganze Scheiße von vorn losging. Es schien, als hätten sich die Leute daran gewöhnt montags im Gang zu sitzen, zu lesen und anderen Wartenden beim Warten, Sitzen und Lesen zuzusehen.

Da war die Frau auf strassbesetzten Sommerschlappen, die nur für fünf Minuten aus dem Haus gegangen war und sich plötzlich, wie sie erzählte, in einer ambulanten Hals,- Nase,- Ohren-Klinik wiederfand. Sie sah irgendwie nicht so krank aus. Neben ihr saß ein verheiratetes Paar. Der Mann trug einen fleischfarbenem Spionage-Bart, vom Hals kaum zu unterscheiden und so akkurat geschnitten, als folgte er einer geheimen DIN-Richtlinie der untergegangenen DDR. Sein Weib redete auf ihn ein, er ließ sie reden. Ließ sie auflaufen. Alte Kaderschule.

"Herr Glumm, geradeaus durch ins Chefzimmer bitte."

Das ging ja schneller als erwartet. Madam Pompadour, ganz in weiß gekleidet, saß auf ihrem Hocker, in sich versunken, und drehte sich wie in Zeitlupe um, als ich Platz nahm. Kein Händeschütteln, kein Guten Tag - es ging sofort zur Sache.

"Was haben wir denn Hübsches?"

Ich erklärte ihr die Beschwerden.

"Mein linkes Ohr schmerzt. Ist bestimmt entzündet."

Madam Pompadour, die ohne Akzent Deutsch sprach, sah nicht die Bohne polnisch aus und hatte eine verdammt große Klappe.

"Mannomann, wie die Asozialen!"

Sie schloss die hohen Fenster, eins nach dem anderen, um sich das Gejohle und Getröte der Abiturienten, die das Ende ihrer Schulzeit feierten und auf Traktoren durch die Straßen ritten, nicht mitanhören zu müssen.

"Ach na ja", sagte ich zur Verteidigung der jungen Menschen, "die haben ihr Abi gemacht. Die wollen feiern. Ist doch okay."

"Ja schon, aber kann man das nicht leiser feiern?! Muss das immer gleich so asozial ausarten?" Sie brachte den Behandlungsstuhl in Position und kehrte zum Job zurück, das Spährohr in der Hand.

"So. Welches Ohr?"

"Links", sagte ich.

"Oh, na! Grundgütiger..! Ist da Ohrenschmalz drin.. Himmel!"

Ich seufzte. "Schon wieder?"

"Was heißt schon wieder?"

"Na, da ist schon mal durchgespült worden. 1989. Glaub ich."

"1989, oho. Das sind ja erst zwanzig Jahre", spöttelte sie. "Mein Freund und Kupferstecher, da müssen wir aber erst mal durchspülen, bevor ich sehen kann, was da drin los ist. Ob vielleicht eine Entzündung vorliegt. Im Moment sehe ich nur einen Riesenberg Schmalz."

Nun ja, dachte ich, so ist das nun mal als geborene Schnulze. Sie zog eine Gummispritze mit irgendeiner Lösung auf und presste eine kühle Kunststoffschale direkt unters linkes Ohr.

"Schön festhalten, damit nichts daneben läuft."

Das Wasser schoss warm in mein Ohr. Es klang wie beim Zahnarzt, wenn Speichel und Blut abgesaugt wird, aber eben im Ohr, es war ein einziges Zutscheln und Schlürfen.

"He! Stillhalten! Sonst dauert es noch länger!"

Sie wiederholte die Prozedur auf der rechten Seite.

"Hier, schauen Sie, was ich alles rausgeholt habe", sagte sie und zeigte mir das Ergebnis ihrer Bemühungen in der Petrischale. Ich guckte rasch woanders hin. Da war auch schön. Überall war schön. "Sie sollten alle sechs Monate zum Spülen kommen, nicht alle zwanzig Jahre, bei Ihrer Überproduktion an Schmalz. Wenn bei der Haarwäsche Shampoo ins Ohr läuft und sich mit dem Sekret verklumpt, da kommen solche Geschichten heraus."

Aber sie war noch nicht zufrieden mit meinem linken Ohr, selbst nach der zweiten und dritten Spülung nicht. Im Gegenteil. Madam verzweifelte langsam.

"Das ist so dermaßen verklebt da drin, wir müssen versuchen es aufzuweichen, mit speziellen Tropfen, die den Ohrschmalz auflösen.. wenn's gut geht. Dazu müssen Sie aber zwanzig Minuten ruhig auf die Seite liegen." Sie schaute mich fragend an und wiederholte: "Zwanzig Minuten. Schaffen Sie das?"

Ich guckte skeptisch aus der Wäsche. Aber gut. Sie wollte es versuchen.

"Na schön. Kommen Sie mit."

Ich folgte ihr in einen der benachbarten Behandlungsräume, wo die Patienten zu Gruppen zusammengefasst saßen und akupunktiert wurden.

"Bitte rechtsrum hinlegen", befahl Madam Pompadour. Die spezielle Ein-Mal-Folie auf der Liege verknuddelte und rutschte weg und hing schon unten auf dem Boden, bevor ich überhaupt aufgestiegen war. Dann träufelte Madame P. mir die Emulsion ins Ohr, kaum mehr als ein paar Tröpfchen.

"Zwanzig Minuten schön liegen bleiben, dann bin ich zurück", ordnete sie an, im gleichen Tonfall, mit dem ich zum Hund sprach, bevor ich das Haus verließ und zwanzig Stunden später stockbesoffen heimkehrte.

Stabile Seitenlage. Zu meiner Rechten tauchten im Blickfeld lauter akupunktierte Existenzen auf. Wie dieser Fettleibige. Sein haarloser Schädel, über und über mit Nadeln bepflanzt, erinnerte an Wimpel über der Einkaufszone. Still und regungslos saß er da, ein sedierter übergewichtiger Herr, der sich an heißen Sommertagen vermutlich warme Mahlzeiten zufächelte so wie andere Leute kühle Luft.

Weil mir fad wurde und um auf mich aufmerksam zu machen, dass die Zeit allmählich mal um war, schabte ich mit meinen Fußknöcheln über die Liege und ließ die Folie knistern. Vielleicht suchte ich aber auch einfach nur den Kontakt von Patient zu Patient, doch man nahm mich nicht wahr. Niemand nahm mich wahr. Nach einer halben Stunde hatte ich die Nase voll und versuchte mich bei einer der Schwestern bemerkbar zu machen, die ab und zu nach mir schauten und schnell wieder weg waren.

"He!" rief ich exakt in dem Moment, als jemand über den Gang eilte. Es war Madam Pompadour.

"Ja", stöhnte sie, "ich komme gleich."

Wenig später, im Chefzimmer. Madam Pompadour setzte zur vierten Spülung an. Ich fühlte mich wie ein verstopftes WC, während Frau Klempnerin, ganz in weiß, schwer mit dem Pümpel zugange war, ZUUUTSCH! SCHLÜRF!

"Geschafft!"

Alle Brocken aus dem Hinterhalt: geholt. Von einer Entzündung: nichts zu sehen.

"Ja aber, kann das denn sein?" fragte ich. "Dass man Ohrweh kriegt von zu viel Ohrschmalz?"

"Natürlich. Wenn das so verklebt ist wie bei Ihnen, Herr Glumm, werden die Nerven in Mitleidenschaft gezogen. Das kann sein. Klar."

Paar Tage später war der Schmerz wieder da. Von wegen, zu viel Schmalz. Ich machte einen neuen Termin bei Madam P., ging aber nicht hin. Die Gräfin hatte einen anderen Verdacht.

"Du sitzt so oft bei offenem Fenster am Schreibtisch, du hast dir bestimmt Zug geholt. Davon sind die Ohrenschmerzen."

"Blödsinn. Mach ich doch seit Jahren so, bei offenem Fenster am Schreibtisch sitzen. Hat mir noch doch noch nie geschadet."

"Lass einfach mal das Fenster zu, sitz einfach mal nicht im Durchzug. Mal sehen, was passiert. Kann ja nicht schaden."

Es schadete nicht, stimmt. Und nicht nur das. Die Schmerzen im Ohr wurden weniger, und waren bald ganz weg.

"Das gibt's doch gar nicht", sagte ich. "Mann, da hätte ich auch selbst draufkommen können."

"Nee, du nicht", sagte sie.

Ach so. Ja klar.


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