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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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A Wop Bop A Loo Bop A Lop Bam Boom

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Ich war sechzehn, ich war siebzehn, ich war 18 und schließlich neunzehn, und die ganze Zeit lagen zwei Taschenbücher neben meinem Bett: Gammler, Zen und hohe Berge von Jack Kerouac und A Wop Bop A Loo Bop A Lop Bam Boom von Nik Cohn. Immer griffbereit.

Zwei schmale Bücher.

Mit einem kleinen Unterschied. Gammler, Zen und hohe Berge von Jack Kerouac, ein rororo-Bändchen, das laut Klappentext von Cool Jazz und LSD handelte, habe ich nie gelesen. Ich habe es zehn Mal angefangen und zehn Mal wieder weggelegt, es hat mich nicht gepackt. Es ließ mich kalt. Aber das war nicht wichtig. Bei Gammler, Zen und hohe Berge ging es allein um die Verheißung, die von diesem kleinen Buch ausging, um den geheimnisvoll und fremd klingenden Titel und nicht zuletzt ums Cover, das weite Horizonte zeigte und Linien, stilisierte Formen von Freiheit und Größe;

Amerika.

1975 begannen meine Locken zu sprießen. Meine Pubertät war ein Feuerwerk, ich explodierte. Das Haar franste aus in tausendundeiner Richtung, es verschachtelte sich kreuz und quer und in- und übereinander, eine gewiefte Nicht-Konstruktion. Locken wie Ausschreitungen. Es gab Feuer und Rauch. Ich steckte die Hände tief in die Hosentaschen und trat nach Schmetterlingen.

Krauses Haar, krause Gedanken, sagten die Leute.


Ich holte den ausgemusterten schwarzen Persianer meiner Mutter vom Speicher und warf mich in Schale. Ich sah aus wie ein freakiger russischer Agent auf O-Beinen. Ich war nicht der einzige im Freundeskreis, der den alten Operettenmantel seiner Mutter auftrug, es war wie eine Welle, die schnell Fahrt aufnahm. Karlos erschien eines Morgens im knielangen braunen Pelzimitat seiner Tante Jutta in der Schule, er sah aus wie ein aufgeplusterter Grizzly. Wir steckten ihm ein Glas Bienenhonig in die Manteltasche und reizten ihn mit Stöcken, er brummte gefährlich, er zeigte Zähne, doch er blieb cool.

Das Auftragen von Fünfzigerjahre-Wirtschaftswunder-Klamotten war unser Protest gegen die kleinbürgerlich miefige und duckmäuserische Was-sollen-denn-die-Nachbarn-denken-Haltung unserer Eltern. Das brachte uns wirklich auf die Barrikaden, diese Haltung, die das Deutschsein, wie wir damals glaubten, zu 100 Prozent abdeckte. Woran sich bis heute wenig geändert hat. Jedes Mal, wenn in Deutschland etwas zum NO GO! erklärt wird, zum nächsten Tabu, zur nächsten Todsünde, muss ich innehalten und daran denken, was in Wahrheit dahinter steckt: nichts anderes als das urdeutsch gequälte DAS TUT MAN NICHT, oder:

Was sollen denn die Nachbarn denken!

Die Sorge bündelt die deutsche Angst aufzufallen, herauszuragen aus der Masse. Als wäre es erste Bürgerpflicht, nichts darzustellen im Leben und als brave Null ins Grab zu rauschen.

Das ganze Land erschien in den späten 70ern vor Angst erstarrt zu sein. Man hatte Angst vor der RAF, vor Drogen, vorm kommunistischen Nachbarn. Deutschland, großes Angstland. Während die USA die Mondlandung hatten, Andy Warhol und Campbells Dosensuppen, hatten wir Sonnen Bassermann, Fix und Foxi und Angst. Da wollte ich nicht mitmachen. Ich wurde ein Gammler und tat: nichts. NICHT war überhaupt die große Überschrift in jenen Tagen. Ich ging irgendwann NICHT mehr in die Schule, ich spielte NICHT mehr im Fußballverein, ich ging NICHT mehr zu Familienfeiern. Ich war so destruktiv, ich verpestete alles mit meiner Passivität. Dazu die Afro-Locken und der mottenzerfressene olle Persianerpelz, meine armen Eltern tun mir noch im Nachhinein leid. Mit der Furcht aufzufallen war ihre Generation in der Nazi-Zeit aufgewachsen. Im Dritten Reich aufzufallen war gefährlich. Früh am Abend ging meine Großmutter am Stöckerberg ums Haus herum und schloss sorgsam die Schlagläden, damit die Nachbarn nicht hören konnten, dass bei Glumms wieder über die Nazis hergezogen wurde. Was sie Jahre zuvor nicht daran gehindert hatte, NSDAP zu wählen. Weil die jedem eine Arbeit versprachen. 

Ich hole zu weit aus? Nicht wirklich. Schließlich befinden wir uns Mitte der 70er Jahre und die alten Nazis sind noch überall. Wenn ich im Bus saß mit meiner Struwwelpetermatte konnte es passieren, dass mir ein Nazi-Rentner von hinten an den Haaren zog und DU ZIGEUNER! schrie, SO WAS WIE DICH HABEN WIR FRÜHER INS ARBEITSLAGER GESTECKT!

"Das hätte es beim Adolf nicht gegeben!"

Beim Adolf, so lernten wir, muss die schönste und herrlichste Kneipe gewesen sein, die im Reich je existiert hatte. Tausend Jahre lang. Blieb die Frage: Warum hatten die eigentlich dichtgemacht?

[„Deutscher Humor vor 100 Jahren war gar nicht mal so übel, ach was, das war großartig, das war die Zeit des Dada – distanziert, lakonisch und immer ein wenig von oben herab, aber durchaus menschlich. Bis Hitler kam und anfing, Judenwitze zu erzählen.“ (Die Gräfin)]

Das alles hat für mich mit Gammler, Zen und hohe Berge von Kerouac zu tun, ohne dass ich das Buch je gelesen hätte. Damals reichte es aus, Gammler, Zen und hohe Berge so auf dem Nachttisch zu platzieren, dass es jedem Besucher sofort ins Auge fiel. Ein Statement, an Deutlichkeit schwer zu toppen. Ich suchte nach Freiheit.

Das andere Buch dagegen, A Wop Bop A Loo Bop A Lop Bam Boom von Nik Cohn, ist bis heute mein Rock ‘n Roll-Mantra. Ich hab es mit Klauen und Zähnen gelesen, wieder und wieder hab ich es mir einverleibt, ich war in jede Buchseite verliebt bis über beide Beine. Wenn Wein das Blut Jesu ist, ist A Wop Bop A Loo Bop das Kreislaufmittel meiner Wahl. Nik Cohn, begnadeter britischer Musikjournalist, erzählt darin die Story des Rock ‘n Roll, von den Anfängen 1954 bis etwa 1970, Termin der Drucklegung.

Zum Thema.

Vergangene Woche wollte es der Zufall, dass mir partout ein bestimmtes Wort nicht einfiel. Es war nicht so, dass ich das Wort für einen Text benötigte, ich wollte das Wort einfach noch mal irgendwo lesen. Es war mir lange nicht mehr begegnet, zu lange, wie ich fand, und ich spürte den Wunsch, es aus der Versenkung zu holen.

Ich wusste, wo ich es zu suchen hatte.

Ich holte das zerfledderte A Wop Bop A Loo Bop-Exemplar, das schon lange von keinem Umschlag mehr zusammengehalten wurde, aus dem Regal und machte mich auf die Suche. Wobei, ich hatte das Wort so lange nicht gelesen, ich wusste nicht mal mehr, ob es sich um ein Hauptwort handelte oder um ein Adjektiv. Mit anderen Worten, ich wusste nicht, wonach ich suchte. Ich hatte nur noch eine Ahnung, kannte die ungefähre Bedeutung des Wortes: hip, camp, verdreht, mit einem schönen Schuss Intellekt und Philosophie. Und es war englisch. Das auch. Nicht wirklich übersetzbar.

Die Suche dauerte anderthalb Tage.

Die Gräfin stieg in die Fahndung ein, nachdem sie sich gewundert hatte, warum ich so konzentriert und gleichzeitig wie nebenbei in diesem alten nikotingelben Taschenbuch ohne Cover blätterte, von dem sie nur eines wusste: Dass es aus meinen Jugendtagen stammte und dass ich es verehrte wie kaum ein zweites. Tatsächlich hab ich nie wieder so ein leidenschaftliches Werk gelesen wie A Wop Bop A Loo Bop.

Cohn pflegt einen wilden urbanen Schreibstil und bleibt absolut subjektiv. Was ihm gefällt, wie die Stones oder Little Richard, feiert er hemmungslos, er verfeuert eine Rakete nach der anderen für seine Helden, was ihn langweilt, wie die Doors, rotzt er auf den Boden und tritt noch drauf beim Weitergehen. Ein gnadenloser Schreiber.

Ich stieß auf das gesuchte Wort im eigentlich unverdächtigen Beatles-Kapitel. Ich hätte es eher bei Bob Dylan vermutet im Folk/Rock-Kapitel oder vielleicht bei Phil Spector oder Rue Morgue, 1960. Stattdessen in dem Kapitel, vor dem es Cohn am meisten gegraut hatte, weil schon damals alles über die Fab Four gesagt schien.

Das Wort taucht gegen Ende des Kapitels im Zusammenhang mit Stu Sutcliffe auf, dem früh verstorbenen Ur-Beatle, der stets Sonnenbrille trug, auch bei Dunkelheit, und der, so Cohn, so etwas wie Image von Natur aus war. Ihm gebührt das Wort, ein Wie-Wort, das Cohn für Sutcliffes Wesen fand, das Wort lautet:

sophisticated.

HIER ISSES! rief ich überwältigt und trug es vor, laut und stolz wie ein Heldengedicht.

Na Gottseidank, seufzte die Gräfin.


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