Für Slade brauchte man massive dicke Wände im Kinderzimmer, sonst gab's Ärger mit der Nachbarschaft. Vor allem, wenn die neueste Single der Band rauskam, die zehnmal hintereinander gespielt werden musste, bis sie richtig saß. Mit Rigipswänden kam man da nicht weit. Slade waren roh und rotzig, Slade waren scheiße laut, Slade kamen aus Nottingham. Ich hatte sechs oder sieben Singles von Slade. Von ihren größten Kontrahenten, The Sweet, schaffte es nur Ballroom Blitz auf meinen Plattenteller.
Sweet oder Slade – man hatte sich zu entscheiden Mitte der Siebzigerjahre. Im Pop gab es sie immer, die Zweikämpfe, das Ringen um den Lorbeerkranz, das definitive Armdrücken.
Beatles oder Stones. Michael Jackson oder Prince. Mods oder Rocker. Punks oder Popper. Oasis oder Blur. Geha oder Pelikan. American Dad oder Family Guy. Ernie oder Bert. Van Halen oder AC/DC. Pearl Jam oder Nirvana. Little Richard oder James Brown. Sean Combs oder Puff Daddy. Eminem oder Slim Shady. Rechts oder links. Radierung oder Kupferstich. Jetzt oder nie. East Coast oder West Coast. Tribüne oder Stehplatz. Wrangler oder Levis. Oder Lois. Ständig hatte man Farbe zu bekennen. Es gab keinen Mittelweg, keinen goldenen Standard, auf den man sich zurückziehen konnte. Es ließ sich nicht zwischen zwei Stühlen sitzen, ohne durchzuhängen und voll auf dem Hintern zu landen. Entweder du warst heiß oder du warst kalt.
Entscheide dich, Gringo!
1973/74, auf dem Gipfel des Glam-Rock, als meine Generation im Teenageralter war, fand der Feuerwechsel hauptsächlich zwischen Slade- und Sweet-Anhängern statt. Beide Bands kamen von der Insel und versammelten Kids hinter sich, die mit dem anderen Lager unversöhnlich auf dem Kriegsfuß standen.
Natürlich konnte es passieren, dass einem die neue Single des Todfeinds ausnahmsweise mal gefiel, aber dann hatte man damit gefälligst hinterm Berg zu halten. Hausieren ging man damit jedenfalls nicht, den Refrain flötend womöglich. Ich erinnere mich, das schwuchtelige Co Co von Sweet im Strandbad gehört zu haben, aus einem Kofferradio, als ich gerade ein Mädchen toll fand. Co Co fand ich auch toll, aber ich durfte es nicht zeigen. Nicht als erklärter Slade-Fan, als Noddy Holder-Anbeter, als ein Working Class Kid.
Slade bedienten die arbeitenden Massen. Slade machten Musik für Lastwagenfahrer, die sich auf der Überholspur einen runterholen und gleichzeitig eine Pall Mall rauchten - ohne Filter -, während Sweet-Kids beim Masturbieren streng darauf achteten, nur ja nichts einzukleckern in Papas Hobbykeller.
Ich mochte Sweet nicht, und ich mochte die Jungs nicht, die Sweet mochten. Sweet waren genauso fade wie die Knilche von der 1. Sportvereinigung, die in schneeweißen Trikots aufliefen und nach Spielschluß immer noch keinen Fleck auf der Hose hatten, obwohl ihr Platz aus roter Asche bestand. Das musste man erstmal hinkriegen. Ich mein, ich war schon eingesaut, wenn ich morgens die Augen aufschlug und nicht schnell genug die Finger über die Decke kriegte.
Slade waren anders. Slade waren dreckige Prolls, Viehzeugs fast, Slade kamen aus Nordengland. Der Frontmann Noddy Holder war ein Shouter vor dem Herren. Sein UFO-Haarschnitt kam vom beklopptesten Planeten, der 1974 durchs Weltall trieb – zu einer Zeit, als das Universum ohnehin im Minutentakt durchdrehte, in hohen Bühnenstiefeln und Prinz Eisenherz-Anzügen. Noddy Holder war in Wahrheit unser Kommandant, nicht Major Tom. Wer war das überhaupt, Major Tom? Ein verdammter Österreicher??
Slade hatten eine Reihe großartiger Hits, die heute noch durch die Jeans-Werbung geistern. Das unschlagbare COZ I LOVE YOU, das Mississippi-Lagerfeuer-Epos FAR FAR AWAY, das komplett durchgeknallte MAMA WEER ALL CRAZEE NOW usw.. Die Nummer aber, die mich in ihre Arme trieb, war das programmatisch harte CUM ON FEEL THE NOIZE. Seither bin ich gezeichnet, genoddyholdert, für alle Ewigkeit.
Und dennoch. Wenn ich ehrlich bin, (und wofür sollte ein kleiner Ausflug in längst vergangene Zeiten sonst gut sein), überstrahlte Ballroom Blitz von Sweet alles andere aus dieser Ära. Sogar alles von Slade und T. Rex und Mud und Gary Glitter. Ich wiederhole: Ballroom Blitz von Sweet war die Top-Schlagzeile der frühen Siebziger. Angeblich ist der Song von einem Zwischenfall im Januar 1973 inspiriert, als The Sweet in Kilmarnock, Schottland, vom wütenden Publikum unter einem Flaschenhagel von der Bühne vertrieben wurde – warum? Keine Ahnung. Vielleicht weil Sweet zu schnittig aussahen für dubiose schottische Verhältnisse.
Schon die Eröffnung der Nummer war eine Klasse für sich. Ich erinnere mich, wie wir Jungs die Reihen geschlossen durch die Straßen zogen, den Anfang von Ballroom Blitz nachahmend. Wo jeder der Leadsänger sein wollte, der semmelblonde Brian Connolly, der dieses eine Mal Noddy Holder abhängte.
Are you ready, Steve ? Uh-huh !
Andy ? Yeah !
Mick ? OK !
All right, fellas …
LET’S GOO !!!
„Ballroom Blitz, 1973. Ein Killersong, eine Mischung aus Highspeed-Striptease-Soundtrack und musikalischer Anleitung zum Amoklaufen. Wir sprachen das zitierte Intro auf dem Weg zur Schule, während der Schule und auf dem Weg nach Hause mit verteilten Rollen und ich habe keine Ahnung mehr, wer ich dabei war. Steve Priest (Bass, er war auch derjenige, der in “Fox On The Run” das verhallende “Fox is on the ru-hun!” sang) jedenfalls nicht, Mick Tucker (Drums) auch nicht. Ich muss Brian Connolly (Gesang) oder Andy Scott (Gitarre) gewesen sein.“
(Johnny Häusler im Spreeblick, 2008)
Der Song war primitiv, er war verrückt, er war Blitzkrieg, er war completely nuts. Er war genauso verdammt einfach wie die Zeit, als wir jung waren. Die Feindbilder waren sauber abgesteckt. Man war gegen die Eltern, man hasste es abends vor dem Fernseher zu sitzen, Woodstock war längst tot und kaputt, der Punk noch nicht erfunden. Bloß der ganze Rotz lief uns schon aus der Nase. Während die Welt auf die Sex Pistols wartete, blitzte und donnerte es schon in überall den Kinderzimmern.