Ich stand beim Bäcker an und betrachtete die alte kleine Frau neben mir. Sie musste über neunzig sein, weit über neunzig. Ihre gekrümmte Haltung erinnerte mich daran, wie ich meiner Mutter vor Jahren in den Mantel geholfen hatte. Ich bemühte mich, die widerspenstige Beule glatt zu streichen, die sich auf ihrem Rücken gebildet hatte, fast so groß wie der Knauf eines Treppengeländers, bis mir aufging, dass es sich gar nicht um eine Beule im Mantel handelte, sondern um ihren Buckel, verdammt!
Die alte Frau lächelte mich an. Sie war ärmlich gekleidet. Ihre Schühchen waren so ausgetreten, dass sie eine Nummer zu groß erschienen, das Regencape war ausgeblichen und verknittert, die ausgeleierten Nylonstrümpfe warfen Falten. Sie stützte sich umständlich auf den Rollator und suchte in ihrem Portmonee nach Kleingeld, obwohl sie noch gar nicht an der Reihe war.
Sie lächelte.
Je länger ich ihr wohlmeinendes, von Runzeln bewehrtes Gesicht betrachtete, von einer verflachten Dauerwelle umrandet, desto vergnügter wurde ich. Es war so ein Moment, wo einem eine unbekannte Person in unmittelbarer Nähe so sympathisch wird, dass man sie am liebsten an der plötzlichen Zuneigung teilhaben lassen möchte.
Madam, Sie sind wunderbar.
Auch wenn solche Momente gar nicht so selten sind, man sagt diese Sachen nicht. Man denkt es nicht mal. Man fühlt es nur. Man spürt die Wärme, die sich in einem bildet.. vielleicht. Wenn man Glück hat.
“Die Dame.. ? Guten Morgen. Sie wünschen..?”
Die Verkäuferin hatte Mühe, die kleine alte Frau vor der Theke auszumachen. Sie war kaum zu sehen. Man sah hauptsächlich den Rollator, und eine graue Dauerwelle.
“Ich nun.. drei Kümmelbrötchen”, piepste die Alte. Dabei lächelte sie so unschuldig, als wäre sie gerade vom Himmel gestiegen, um auf der Erde kurz nach dem Rechten sehen. Und wo sie schon mal hier war, nahm sie noch gleich drei von diesen herrlichen Brötchen mit, die sie früher so gern gegessen hatte.
„Oh, tut mir leid, aber Kümmelbrötchen führen wir schon lange nicht mehr.. Vielleicht Laugenbrezel..? Darf ich Ihnen drei Laugenbrezel einpacken?“
Die Alte schaute mich an. Ich nickte. Warum? Keine Ahnung. Eine Eingebung.
„Gut. Dann drei.. Brezel.“
Sie zwinkerte freundlich, und aus meiner Sympathie erwuchs ein generationsübergreifender heißer Tsunami der Zuneigung. Ich hielt ihr noch die Türe auf, als sie das Geschäft längst verlassen hatte.
“Der Herr..! Halloo.!? Darf ich Ihnen jetzt weiterhelfen?”
Ruhe. Ich spreche mit einem Engel.