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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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Wochenende durchsaufen war Sport

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Wochenende durchsaufen war Sport. Wir waren Freitags voll, Samstags voll, Sonntags halbvoll. Schlimm war es an langen Wochenenden: Freitags voll, Samstags voll, Sonntags voll, Montags halbvoll. Der Gipfel waren die Karnevalstage. Da waren wir Montags auch noch voll, und halbvoll fiel flach.

Ich erinnere mich an einen Rosenmontag. Wir saßen in den Malteser Gründen, einem Park abseits der Hauptverkehrsstraße, wo der Karnevalszug hermarschierte, Dschingderassabum. Karlos war so besoffen, dass er sich im Sitzen über die Schuhe göbelte. Mittendrin in der Kotze, zwischen Stückchen Salamipizza und Gin und Osaft, machte ich einen Zigarettenfilter aus. Auch wenn niemand sich erklären konnte, warum Karlos einen Kippenfilter gefressen hatte, Karlos musste ihn ausgekotzt haben. Eine andere Erklärung war nicht möglich. Hätte das Ding schon vorher dagelegen, es hätte nicht so ausgekotzt ausgesehen. Karlos selbst konnte sich am allerwenigsten erklären, warum er plötzlich Zigarettenfilter futterte, aber das war normal. Dass er solche Dinge nicht wusste. Karlos war immun gegen jegliche Motivforschung. Die Dinge waren, wie sie waren, fertig, aus. All diese bescheuerten Warums und Wiesos bringen doch nichts, sagte Karlos. Hab ich eben Spaß an nem Kippenfilter gehabt, ja, na und?!

Niemand hat je unsere Gegenwart so unbestechlich kommentiert wie Karlos.

"Als keiner gelacht hat, musste ich grinsen."

Genial.

Oder wenn er mich nachts oben im Turmhotel besuchte und zum Schluss den Aufzug betrat: "Jetzt geht es abwärts, Glumm - definitiv."

Es waren ruhelose barbarische Zeiten. Ein durchgesoffenes Wochenende begann Freitagabend mit einem schnellen bösen Absturz. Schnell und böse, weil wir uns angewöhnt hatten, es von Montag bis Donnerstag drunterher zu tun, wie wir das nannten, nüchtern zu bleiben, nichts zu trinken. Die cleanen Tage unter der Woche, die einem notdürftig wieder auf die Beine halfen und wo jedermann seinen Geschäften nachging. Dementsprechend brauchte es Freitagabend am Tresen nicht sehr viel Alkohol, und man war hinüber. Solche Besäufnisse hatten oft einen Makel: einen lückenlosen Filmriss.

Samstagmittag traf sich alles am Tresen wieder. Man warf sich verkaterte Grüße zu, konnte sich an nichts erinnern, unerklärliche Blessuren wurden herumgereicht, "hat einer ne Ahnung, warum ich neben dem Rektalthermometer meines Hundes aufgewacht bin?" Man blieb für den Rest des Tages im Mumms hängen, abgesehen von heiseren kleinen Ausflügen zu Fisch Meier für ein Fischbrötchen mit Mayo. Ausnahme: irgendwo war eine Party angesagt. Es gab eine Menge Partys damals. Später nicht mehr.

(Um an die Tradition zu erinnern, gegen einen Kater Fisch zu essen, warf Fisch Meier Samstagvormittags um elf Uhr das große Fischgebläse an. Sofort stank es in der gesamten Innenstadt nach Bratfisch, wie von einer unsichtbaren Rattenfängermelodie geführt konnte man gar nicht anders, als bei Fisch Meier einzukehren, sich anzustellen und Fischbrötchen zu fressen.)

Am besten besoffen war man grundsätzlich am zweiten Tag, am Samstag. Noch gut eingesoffen vom ersten Abend waren wir wie junge Vögel, die der Kellnerin ihr zittriges Köpfchen entgegenreckten und schrien, wenn Marina mit dem nächsten Tablett angeflogen kam – Marina, Mutter aller Biertabletts, Mutter aller "ICH ZAHLE AM MONTAG, MARINA! VERSPROCHEN!!“-Deckel.

Spätestens um Mitternacht erwischte ich mich auf dem nach Pferdefrikadellen und Kölschbierpisse stinkenden Männerpissoir im Mumms, wo ich grinsend vorm Spiegel stand und mich anblaffte, „na, Meister, hast es wieder geschafft, he? Glückwunsch!“

Samstagabend im Mumms war der natürliche Höhepunkt aller Trinkgelage. Dickwandige Cocktailgläser, gefüllt mit Wodka und Ginger Ale, notdürftig von einem Bierdeckel abgedeckt, knallten auf den Holztresen.

"RAPIDO!" schrie Benzini, und kippte sich den grau-goldenen Schaum in den Hals.

Wem es zwischenzeitlich nicht gut ging, wer glaubte, nichts geht mehr, ich muss gleich kotzen, der tauchte eine Weile ab und verschnaufte im Stadtgarten, bis die zweite Luft nahte und das Säuferherz wieder freischaufelte. Ergebnis: der obligatorische zweite Filmriss. Der erwischte einen zumeist Sonntags im Morgengrauen, bei irgendwem auf der Bude, wo ohne Unterlass Haschischpfeifen und Bongs präpariert wurden, unterfüttert von Amphetaminen, dem allgegenwärtigen Arbeiterkoks.

Traditioneller Abschluss jeder Wochenendsauferei war Sonntagmittag auf der Terrasse des Cafe Metropol, direkt an der langen staubigen Strasse Richtung Gräfrath, doch insgesamt blieb der Sonntag bloßer Abklatsch, uninteressant.

Dritte Wahl.

Aber schön betrunken war man doch.

Montagfrüh wurde ich völlig zerstört wach. Ich war so groggy, dass ich geschlagene zwanzig Minuten auf dem Bettrand hockte und dumpf ins Nichts stierte. Mein Schädel schnaubte und ächzte, als wäre ich in der Nacht in eine Turbine geraten, das Gewebe schmerzte bis in allerletzte und bis dato unbekannte Kammern. Wie schwach so ein Körper werden konnte, wenn er plötzlich ohne Alkohol zurecht kommen musste..

Ich ließ eine Badewanne einlaufen, stellte die Klingel ab, das Telefon leise. Ich konnte außer Stille und heißem Wasser nichts ertragen. Bewegungslos versumpfte ich in der Emaille, den Blick über Stunden starr zur Decke gerichtet, die Nerven ein Trümmerfeld. Zwischendurch ließ ich immer mal heißes Wasser nachlaufen, bis es irgendwann nichts mehr brachte und soweit abgekühlt war, dass ich aus der Wanne musste, ob ich wollte oder nicht. Sobald ich mich nämlich bewegte und Badewasser schwappte gegen den Bauch, bibberte ich erbärmlich. Die Haut in Runzeln gelegt, war ich nur noch eine unangenehm große Spätgeburt.

Beim Abtrocknen fiel mein Blick ins blaue Saunatuch. Ich bemerkte zwei Flecke. Da waren noch mehr Flecke, da waren drei, vier große Flecke, wie Hühnereier. Ich bekam einen Riesenschreck, versuchte mein Gesicht zu erkennen im von Wasserdampf beschlagenen Spiegel. Ich spürte diesen eigenartig warmen Geschmack von Blut in Mund und Nase, den Geschmack von warmem Eisen. Blut rann durch mein Gesicht, tropfte ins Saunatuch. Es war, als stünde ich neben mir, auf einem erhöhten Treppchen, als beobachtete ich mich entgeistert.

Ich drehte Wasser auf im Handwaschbecken, schüttete es in mein Gesicht, während das Blut lustig weitertropfte, auf den Boden, ins Waschbecken, ins Saunatuch.

Nasenbluten, versuchte ich mich zu beruhigen, ist nur Nasenbluten, ist nichts schlimmes, so was passiert.. Nasenbluten reinigt. Es war Montagmorgen, und ich spuckte ruhig Blut.


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