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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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Mordsache Männlein

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Günter Ratzki, 31, jobbt als Nachtportier im Turm-Hotel. Sein Arbeitsplatz liegt hoch oben im elften Stock. Er schiebt gerade Jagdwurst in die Brotschneidemaschine, als es schellt. Er geht hinter die Rezeption. Es ist halb vier in der Früh.

"Ja, bitte?" fragt er durch die Sprechanlage und erkennt auf dem Monitor ein Männlein, das unten am Eingang steht.

"Hätten Sie noch ein Zimmer frei?"

"Tut mir leid. Wir sind voll."

"Och!" Der kleine Mann, elf Stockwerke tiefer, hat einen großen Koffer dabei. "Ich bin nämlich aus Hannover."

"Tja, wie gesagt, wir sind voll, tut mir leid. Ist Messe, in Köln."

"Ja natürlich, Herren-Woche.. Was mach ich denn da? Könnte ich denn auf einen Sprung hochkommen, dass Sie mir ein Hotel in der Nähe anrufen.. in Wuppertal vielleicht, ich bin sehr müde, aus Hannover."

Warum nicht. Ratzki drückt per Summer die Eingangstür im Erdgeschoss auf, stellt in der Küche die Wurstschneidemaschine ab und wäscht sich die Hände.

Schon macht es blongg! Der Aufzug ist da.

Es gibt vier Aufzüge.

Ratzki hört Schritte.

Er guckt hoch - in die Mündung einer Smith & Wesson. Er ist so perplex, dass er ruhig Blut spuckt.

"Schnauze!!"

"Sie müssen entschuldigen, mein Zahnfleisch.."

"Schnauze hab ich gesagt! Und jetzt hübsch den Zaster an die Sonne! Alles, was da ist! Aber keine Münzen!"

"Nein?"

"Nein. Nur Scheinchen."

Günter Ratzki sperrt die Kasse auf, und hat plötzlich eine Eingebung. Er greift sich eins der Nachrichtenmagazine, die auf der Rezeption ausliegen, und blättert kurz durch, bis er auf die gesuchte Statistik stößt, die er tags zuvor entdeckt hat.

"Hier, der Herr. Wenn Sie mal einsehen möchten.."

"WAS SOLL DAS??"

Die Knarre fuchtelt ein Zick-Zack in die Luft, aber Ratzki lässt sich nicht beirren.

"Hier, bitte sehr. SOLINGEN: DIE SICHERSTE GROSSSTADT DEUTSCHLANDS! Zum fünften Mal in Folge! Noch vor Remscheid. Was Sie hier abziehen, das läuft so nicht, das ist hier verboten. V-e-r-b-o-t-e-n!"

Der Räuber aus Niedersachsen schielt auf die Zeitschrift.

..keine Messerstecherei im Mekka der Messer.. Solingen, reinste Fackwerk-Idylle.. Kriminalität Fremdwort..

"Schnauze hab ich gesagt!" Der Räuber aus Hannover verliert die Geduld. "Keine Faxen mehr!!" Er wuchtet den großen Koffer auf den Tresen. "Und jetzt den ganzen Zaster hier rein!"

"Jetzt passen Sie mal auf."

Ratzki läßt sich nicht beirren. Er verfolgt konsequent seine Linie.

"Ich wohne im Spar-und Bauverein. Das ist eine Genossenschaft. Morgen ist Versammlung. Ich hab vierzig Quadratmeter. An Miete zahl ich 206 Euro plus Garage 25 Euro. Würden Sie da ausziehen? Hm?"

"Nein.. in Gottes Namen, nein.., da würde ich auch nicht ausziehen.."

"Sehen Sie. Die geb ich mein Lebtag nicht mehr her, die schöne Wohnung. Da setzt mich keiner raus. Punkt. Aus. Muss ich nur was renovieren, vielleicht die alte Sitzbadewanne raus, neu kacheln, neu fliesen, muss man sehen. Der nächste, der einzieht, der zieht in ne Villa ein.. Ist doch wahr."

Während der kleine Räuber in die Sitzgruppe fällt, holt Ratzki Kaffee und Gebäck aus der Hotelküche.

"Zucker und Milch?"

"Nur Milch, danke schön. Ich selbst bin auch am Renovieren", erzählt das Männlein, "seit ein, zwei Monaten schon. Nun will ich Ihnen sagen, ich hab noch keinen Kumpel bei mir gesehen."

Die Knarre boppert auf den Tisch.

"Hier, der Alex fliegt einen Monat vorher nach New York und fragt nur: Wann ist denn Einweihung, wann kann man denn dein neues Parkett zertreten."

Ratzki ist gerührt. Er schließt den Niedersachsen in seinen Arme.

"Der hat auch ganz gelbe Zähne, der Alex", jammert das Männlein, "der ist so gemein!"

"Das ist ja schlimm bei Ihnen in Hannover. Am besten, Sie lassen sich hier im Bergischen Land nieder und suchen sich eine liebe Frau."

"Da sagen Sie was. Aber die meisten Frauen, die man kennenlernt, sind doch sexausgehungert. Oder was anderes stimmt nicht mit ihnen." Er senkt seine Stimme. "Bei einer war ich mal, da kommt der Sohn mit eindreißig Jahren noch zum Essen nach Hause und bringt die schmutzige Wäsche mit, ich sag Ihnen, drei Tüten pikkepakkevoll! Können Sie sich das vorstellen?"

Günter Ratzki horcht auf und greift nach der geladenen Smith & Wesson, die auf dem Tisch liegt: "Ach wie, Sie besuchen meine Mutti?!", und schießt. Dann wischt er sich die Kaffeeschnüss ab. Alles voller Blut. Die ganze Fresse. Bis zum 31.12. muss er beim Zahnarzt gewesen sein, mit dem Bonusheftchen, sonst geht das nächstes Jahr verdammt ins Geld.


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