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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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Zwischenstand 1:1 - Ein schönes Ergebnis unter Männern

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Am Kaugummiautomat für 50 Cent "Magic Water" gezogen, eine FART BOMB made in Belgium. Seither juckt es mich in den Fingern, die Bombe zu werfen. Das Bömbchen. Doch wen soll es treffen? So viele Menschen hätten es verdient, bestunken zu werden. Kaum jemand nicht. Fast schmeiße ich mir die Stinkbombe selbst vor die Füße. Gerade noch mal davongekommen. Das war knapp.

Die gelbe Flüssigkeit, Schwefelwasserstoff, schwimmt in einer kleinen Glasampulle. Lange her, da steckte so ein Ding schon einmal in meiner Hosentasche, in der Sexta. Vor der Lateinstunde. Ich hatte Türdienst, was bedeutete, man musste auf den Lehrer warten und ihm die Türe des Klassenzimmers aufhalten, bis er reinkam und guten Morgen wünschte.

Wenn ich mich recht erinnere, war der Türdienst streng an den Tafeldienst gekoppelt und wurde wöchentlich gewechselt. Ich stand einmal an der Tür und wartete auf unseren Englischlehrer, als der dumpfe Mitschüler Britzefeld ziemlich aus der Puste und auf den letzten Drücker zur ersten Stunde erschien. Als er mich an der Tür erblickte, rief er fröhlich "Ich bin im Stimmbruch! Ich war gestern beim Arzt!" und rauschte durch ins Klassenzimmer, wo er das gleiche noch mal verkündete. Der blöde Angeber.

Na ja. Schon okay. Die Schwertstrasse war noch ein strenges Bubengymnasium.

In den Bänken saßen verdiente Rabauken wie Karlos, der dicke Hansen und Ringo. Alles spätere Opiumsüchtige. Und natürlich der Mitsubishi Boy, der im Freibad Schellberg unermüdlich Gucklöcher in die Mädchenkabinen bohrte, in Muschihöhe, wovon noch spätere Schülergenerationen profitierten. Erst als die Mädels an Größe zulegten und von ihnen nur noch die verdammte Kniekehle zu sehen war, regte sich Verdruss.

Niemand wusste von meinem Plan. Der Fart Bomb. Als der Lateinpauker ankam und den Fuß in den Klassenraum setzte, Herr Paus, ein Aushilfslehrer, ein schmales nervöses Hemd, schloss ich die Tür und zertrat heimlich die zuvor am Lehrerpult positionierte Glaskapsel. Dann schlenderte ich auf meinen Platz, "Seasons in the sun" auf den Lippen.

Keine halbe Minute später miefte es im Klassenraum, als hätte Kartoffelbauer Schmattke seine gesamte Wintergülle ausgefahren.

WELCHES SCHWEIN WAR DAS!?

Unser junger Lateinlehrer verlor sofort die Contenance. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Er bebte vor Zorn. Als sich niemand meldete, rannte er los und holte den Direktor. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte gedacht, jemand macht das Fenster auf und fertig. Paar betäubte Lacher vielleicht und Gestöhne, aber doch keinen Direx holen. Der war zwar "ein schidderig Kerlchen", wie der Solinger sagt, ein schmächtiges Kerlchen, aber wehe, man spielte Streiche. Das konnte er auf den Tod nicht ab. Er war ja nicht umsonst Direktor geworden. Er hatte Qualitäten. Er war bei den Nazis gewesen, erzählte man sich.

Wenn er sich ärgerte, verdickten sich die Adern auf seiner Stirn zu Telegraphenkabeln und er schnarrte mit metallischer Feldherrenstimme: WER WAS DAS? WELCHER ROWDY HAT DEN JUXARTIKEL GEZÜNDET?

Bei jedem anderen Lehrer hätte die Klasse geprustet vor Lachen, nicht bei Direktor M., es herrschte Totenstille. Definitiv. Weil niemand reagierte, gab er dem "Unhold" eine allerletzte Chance, sich zu melden, sonst, so drohte er, hätte die ganze Klasse darunter zu leiden.

Ich hob den Arm und gab mich zu erkennen.

"Mitkommen", knurrte M.

Im Nachhinein frage ich mich schon, was mich damals geritten hat. Warum ich mich outete. Aber mit elf Jahren ist man im ritterlichen Alter. Da steht man noch zu dem Mist, den man baut. Schon zwei Jahre später hätte ich alles meinem kleinen Bruder in die Schuhe geschoben. Der ging zwar noch in den Kindergarten, zwei Kilometer entfernt, aber diesen Widerspruch hätte ich schon irgendwie hingebogen. Er wäre seiner verdienten Strafe nicht entkommen.

Kaum fiel die Tür zum Direktorzimmer hinter uns ins Schloss, hatte ich eine Ohrfeige im Gesicht, ich kippte fast um. Erstens aus Überraschung. Zweitens wegen der Wucht. Ich dachte, alle Zähne sind weg, als wäre mir ein VW Bus in die Fresse gesprungen, mit Anlauf. Zusätzlich brummte mir der Direktor eine 10seitige Strafarbeit auf. Credo: warum ich so etwas nie wieder tun dürfe.

"Auf Latein, mein Freund."

O me miserum! - Oh, ich Unglücklicher!

Zu Beginn der 90er Jahre sah ich M. zufällig vorm Stadt-Theater wieder. Mein Kumpel Karlos spielte mit dem Städtischen Ensemble Profan "In der Einsamkeit der Baumwollfelder", aber dahin zog es den Ex-Direx nicht, er wollte in die Operette, die zeitgleich im Konzertsaal gegeben wurde.

Ich beobachtete den mittlerweile 80jährigen, wie er Eintrittskarten am Schalter kaufte und zurück Richtung Atrium eilte, wo seine Frau wartete. Er übersah den frisch gewienerten, geschlossenen Flügel der Eingangstür und lief frontal vor die Scheibe, mit der Nase voran, RAA-PAFFF, dass alle Anwesenden glaubten, seine Knolle müsse auf alle Zeiten bis auf die Wurzel eingedellt sein. Somit stand es 1:1. Ein schönes Ergebnis unter Männern.

So als Zwischenstand, meine ich.

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