Quantcast
Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
Viewing all articles
Browse latest Browse all 495

Immer gut rauchen und Mathematik

$
0
0
"Sag mal, wieso bist du eigentlich kein Arzt..?! Ich meine, du hast keinen Führerschein, du bist kein Arzt! Das ist ja wohl das mindeste, was man verlangen kann von seinem Partner, dass er Arzt ist und einen Führerschein hat!“

– Die Gräfin –

*

Ich stand mit Harry am Tresen. Harry schwor auf polnische Frauen.

„Die sind super durchblutet, nicht so wie die deutschen Weiber mit ihren Spatzenköpfchen und dicken Verkäuferinnenbeinen. Auch wenn die gar keine Verkäuferinnen sind, die deutschen Weiber sehen alle aus, als würden sie den ganzen Tag hinter der Theke stehen und ins Höschen pupen. Ne schöne Polackin ist da besser. Die sind auch nicht so gestresst wie die deutschen Weiber. Mit Maria war ich am Samstag schön essen, weisst du, so ein Laden, wo Schweinelendchen das Hausgedicht sind für unter zehn Euro. Und beim Essen krault die mir die Eier unterm Tisch, einfach so, weil sie gerne Eier in der Hand hat. Die war oben am kauen und unten am kraulen, ich hab gedacht, ich bin wieder sechzehn, hör mal. Wie die heisst? Maria. Sag ich doch. Ne Polackin. Da lasse ich nix drauf kommen. Ne richtige Sau, meine Maria. Aber lecker.“

*

Es ist ja gar nicht so, dass Männer sich ihrer Tränen schämen. Nein, sie lassen es erst gar nicht zu, dass ihnen die Tränen kommen, sie heulen erst gar nicht. Oder doch nur höchst ungern. Wenn die Mutter stirbt. Da weint der Mann, dann darf er weinen. Ansonsten reicht es meist, die Dinge nicht so nahe an sich heranzulassen, die Gefühle ins Aus abzudrängen wie einen lästigen Gegenspieler. Mit ein bisschen Training von Kindesbeinen an ist das für Jungs kein Problem. Wenn so ein Junge älter wird, sagen wir vierzig, Anfang fünfzig, und sonntagsfrüh um acht läuft zum wiederholten Male Shirley McLaine in JAHRE DER ZÄRTLICHKEIT, dann kann es natürlich passieren, dass man sich als Mann plötzlich auf dem Lokus wiederfindet, wo es ohne Ende aus einem herausströmt, Pisse und Tränen, wie aus einem sentimentalen alten Elefantenbullen. Das kann passieren.

Logisch.

*

Zwischendurch raus an die frische Luft ist die einzige Schnitte, drinnen wieder Spaß zu kriegen.  Ausnahme: du gehst vor die Tür und es riecht draussen wie in einer schlecht gelüfteten Wohnung. Dann bringt das nichts. Da kann man auch gleich drin bleiben.

*

Bei Vollmond geriet ihre Chemie komplett durcheinander, sogar die schweren Korkenzieherlocken hingen schnurgerade an ihr runter.

„Ich seh aus wie ein scheiß Lineal“, stöhnte sie.

Und am Abend, wenn mein Kugelschreiber in ihrer unmittelbaren Nähe einen Tick zu laut übers Papier quietschte, kriegte sie die Motten.

„Aufhören! Das ist ja nicht zum Aushalten..! Du läufst Schlittschuh auf meinen Nerven!“ Sie fasste sich an den Kopf. „Ich habe eine ganz private Eislaufhalle da oben. Die braucht ne Pause.. zur Eisaufbereitung. Ich brauch Ruhe. Zeit für mich. Hast du keine Lust, mit dem Hund rauszugehn?“

„Nicht besonders.“

„Frau Moll wimmert aber schon.“

„Frau Moll wimmert immer. Und hast du mal aus dem Fenster geguckt?“

„Es regnet, ich weiss. Trotzdem bist du an der Reihe mit Molli rauszugehen. Bitte, schone meine Nerven. Verpiss dich.“

Nachdem ihr Name einmal gefallen war, fiepte die Hütehündin wie eine Operndiva, die schwer verletzt an der Stimmgabel ihren Lebensabend verbringt. Schwer verletzt und eingesperrt. Eingekerkert. Gegen ihren Willen zum Wohnungshund degradiert. Zur Teppichmieze.

„Na, schöne Scheisse“, sagte ich und nahm das Halsband vom Haken.

*

Für einen Haushund bedeutet Rausgehen Hochspannung. Was für uns Menschen bloß Bäume sind, grünes Gestrüpp, sinnloses Dickicht, ist für einen Hund Thriller. Zunächst riegelt er den näheren Tatort ab mit einem strengen Band aus Eigenurin. Dann werden fremde Geruchsproben genommen und im Gehirn abgespeichert, Indizien abtransportiert und an anderer Stelle verbuddelt, (warum, weiß man nicht).

Und wenn ein anderer Hund die Szenerie betritt, wird der Hintern dargeboten, da, wo die Drüsen sitzen. Das verlangt die Etikette. So wird sich Guten Tag gesagt, und weil Hunde nun mal keine Hände haben zum Guten Tag-Sagen, wird gegenseitig der Hintern abgeschnüffelt. Eine ordnungspolitische Maßnahme.

*

Als wir draußen waren, hatte der Regen aufgehört, dafür schneite es jetzt korpulente Kristalle. Das Schneetreiben wurde so dicht, dass Frau Moll mit weit aufgerissener Schnauze vor mir her eilte, um die dicksten Flocken aus der Luft zu futtern. Sie sah aus, als hätte sie im Fernsehen gut zugeschaut, wie Riesenhaie das machen, wenn sie mit aufgesperrtem Maul durchs Wasser schwimmen und Plankton einheimsen. Das hatte ihr imponiert. Frau Moll hatte ständig Hunger. Zwanzig Stunden am Tag eingesperrt, und immer Hunger. Ein armes Schwein.

Plötzlich bekam sie eine Flocke in den falschen Hals, sie verschluckte sich und blieb entrüstet stehen. Sie hustete und hustete, es nahm kein Ende. Ich griff in meine leere Jackentasche, als hätte ich ein Leckerchen für sie gesucht, ein Halsbonbon, was nicht stimmte, ich hatte kein Leckerchen, ich hatte nie Leckerchen dabei, das musste der Hund wissen, eigentlich, egal, meine Geste beruhigte sie und wir konnten weiterziehen. Paar Knorpelkristalle aus der kalten Luft filtern.

*

Ob es wohl einen mathematischen Gott gibt, fragte ich mich, der all diese Trillionen und Abertrillionen Schneeflocken markiert? Der einfach mal durchzählt? Ist Gott ein Schnee-Farmer? Ich würde sagen, ja.

„Immer gut rauchen, und Mathematik“, sprach der Herr.

*

Auf der Korkenzieherbahn kam uns die seltsame Collie-Besitzerin samt Collie entgegen. Wobei, ein richtiger Collie war das nicht. Eher ein Mischling. Ein bisschen Collie, ein bisschen überlanges Münsterländer Camping Mobil. Ein kosmopolitscher Hund.

„Das ist ein Fundhund“, sagte die seltsame Dame, die ohne Seidenschal nicht aus dem Haus ging, „aus Bottrop.“

„Ach“, sagte ich.

„Ja. War ne Zeitlang bettlägerig. Herzklappenfehler und Probleme beim Autofahren. Versteht sich aber prima mit Schweinen.“

Von wem sprach sie? Vom Hund? Von sich? Oder ihrem Mann? Verstand der sich prima mit Schweinen? Man wusste nie so genau bei ihr. Eine vertrackte Erscheinung. Den Schal trug sie, um ihren Kropf zu verdecken. Ein enormer Kropf. Ein Mahnmal der Schilddrüsenüberfunktion. Ich hab das Monster mal gesehen, als der Wind zufällig den Schal ein Stück anhob und den Hals freilegte. Das sah aus, als hätte sie versucht, ein Hühnerei in einem Haps runterzuschlucken. Eine verlorene Wette vielleicht. Und plötzlich war es im Hals stecken geblieben, das große Hühnerei, und dort steckte es immer noch, wie ein Mahnmal für verloren gegangene dumme Wetten mit zu großen Hühnereiern. Was ein pralles Säckchen. Ich hab’s gesehen.

Es war nicht schön.

*

Schon als Welpe war sie vom Temperament her wie dunkler schwerer Wein, eine Traube aus dem Alten Testament. Eine späte Mädchentraube. Und so begab es sich, dass wir sie Maria tauften, Maria Moll, Frau Maria Moll. Zudem zeichnete sich im dichten schwarzen Fell am Brustkorb ein imposantes weißes Kreuz ab, das schon früh verfilzte: Jessas, unsere Maria schien gesegnet.

Und dass sie wahrhaftig erleuchtet war, stellten wir eines Abends im April 2005 fest. Sie begann zu junkern, gegen 21 Uhr. An sich nichts besonderes. Frau Moll junkerte, wenn Rinderpansen aus dem 10 Kilo-Vorratsbeutel in den Napf rauschte, sie junkerte, wenn es ENDLICH vor die Tür ging, sie junkerte, wenn sie nach dem Essen ihr Köpfchen in meinen Schoß bohrte, um sich ordentlich kraulen und durchkneten zu lassen, sie junkerte, wenn sie heiß und jückig war und die Umgebung mit flüssigen Kontaktanzeigen pflasterte: BERGISCHE KLIPPENWÖLFIN, TOP IN FORM, SUCHT KURZFRISTIG! BIG BOY.

An diesem Abend aber im April 05 war es anders. Das Junkern. Nicht so forsch. Eher kleinlaut.

Ein Wimmern fast.

"Was ist denn mit der los?" fragte ich die Gräfin, als ob die das gewusst hätte.

"Keine Ahnung."

Es ging auf 21 Uhr 30 zu, da änderte Frau Maria Moll die Taktik. Zwar junkerte sie weiterhin, nun aber in kurzen Stößen und mit einer leisen Dringlichkeit, die nichts Gutes vermuten ließ.

"Meinst du, die muß kotzen?"

"Mh. Kann sein."

Ich öffnete die Haustür und ließ sie in den Garten hinterm Haus. Doch anstatt zu kotzen, oder sich wenigstens über die Wiese zu wälzen, wie sie es sonst gerne tat, durch irgendwelches Aas, spazierte die Hündin still umher, beinahe sittsam, das Köpfchen in Würde erhoben.

"Und? Ist sie am kotzen?" rief die Gräfin, die vorm Fernseher lag, es war Sonntagabend.

"Nee. Die Hochwohlgeborene flaniert im Dunkeln."

Es war exakt 21 Uhr 37. Drei Minuten später, um 21 Uhr 40 erschien auf dem TV-Bildschirm ein Laufband mit einer brandaktuellen Sondermeldung: Papst Johannes Paul II. war soeben von uns gegangen. Wir hörten einen schweren katholischen Seufzer aus dem Hinterhof.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 495