Das Ende kennt man, das Ende ist immer nah. Doch der Beginn der Welt? Ist immer weit weg.
*
Ich mochte ihn nicht, seine penible Art, sich im Januar noch nach dem letzten Häppchen Herbstlaub zu bücken und es aufzulesen, damit der Bürgersteig vorm Haus nicht verunstaltet wurde, seine missmutigen Blicke, wenn wir uns auf der StraÃe begegneten, diese ganze zur Schau gestellte Unnachgiebigkeit gegenüber dem Leben, gegenüber allem, was ein Lächeln bringen könnte, ein wenig Auflockerung und Schönheit, doch nun, wo er tot war, wo er nicht mehr da war, von einem Tag auf den anderen, da tat es mir leid. Nicht für ihn, den Greis, aber für seine Frau. Dass er fehlte. Ihr fehlte. Dass sie nun allein war, nach all den Jahren.
Mitten in der Nacht stehe ich am Fenster und sehe die Wohnung gegenüber in grelles Licht getaucht, einen Tag nach seinem Tod. Alle Zimmer schreien, schlagen still um sich, in ihrer plötzlichen Einsamkeit. Dem gleiÃenden Alleinsein.
ÂIch war eine Klassenkameradin Ihrer Mutter, in den DreiÃigernÂ, sprach mich seine Frau vor Jahren auf der StraÃe an, mit einem unsicheren kleinen Lächeln, ob sie das auch wagen könnte, mich anzusprechen, wo wir uns doch schon so viele Dutzende Male begegnet waren, ohne ein einziges Wort. Nicht mal einem GruÃ.
"Sie waren mit meiner Mutter in einer Klasse!?" Ich war erstaunt. Dass sie überhaupt wusste, wer meine Mutter war.
"Ja. Unten in Stöcken."
Als ich meiner Mutter später davon berichtete, (ich hatte die Frau nach ihrem Namen gefragt), erinnerte sie sich an das kleine Mädchen von früher, aus dem unsere Nachbarin geworden war, eine geschrumpfte Konzertpianistin mit langen Armen, (so wirkte sie auf mich), deren hochgewachsener hagerer Mann unbeliebt war in der Siedlung, weil er die Leute beschimpfte und kleinlich war und sie nun zurücklieÃ, die kleine, zunehmend kraftlose Frau mit der überm Boden schleifender Einkaufstasche auf dem Weg zum Supermarkt.
Ein fesches blondes Ding soll sie gewesen sein, dem die Jungs nachgelaufen sind, mit Schleifchen im Haar und Krönchen, gar nicht schüchtern, bisschen schnippisch sogar, so Mutter über die kleine Miss Weltkrieg, deren Mann jeden Morgen das Doppelbett machte und die schweren Daunendecken zum Lüften aus dem Fenster schwang, fünfzehn korrekte Minuten lang, von Punkt 8 Uhr 00 bis 8 Uhr 15.
Irgendetwas rührte mich an der Frau, und das nicht erst seit dem Tod ihres Ehemannes. Sie war ein verkümmertes Vögelchen, die alte Frau mit dem sehr kleinen Mund. Ich wusste nicht, wie ich ihr nun begegnen sollte, ich spielte gar mit dem Gedanken, ihr die Hand zu drücken und zu kondolieren. Es wäre nicht mal geheuchelt gewesen. Aber vielleicht zu viel des Guten? Ein halbes Jahr später hätte ich mir diese Gedanken nicht gemacht, ich hätte gehandelt, so wie ein halbes Jahr später andere Leute handelten und mir kondolierten und die Hand drückten als meine Mutter gestorben war.
Teilnahme.
Seit seinem Tod bleiben alle Fenster geschlossen, es brennt Licht in der kleinen Genossenschaftswohnung die ganze Nacht, wie in einem Palast.
Halte durch, kleines Mädchen.
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Ich mochte ihn nicht, seine penible Art, sich im Januar noch nach dem letzten Häppchen Herbstlaub zu bücken und es aufzulesen, damit der Bürgersteig vorm Haus nicht verunstaltet wurde, seine missmutigen Blicke, wenn wir uns auf der StraÃe begegneten, diese ganze zur Schau gestellte Unnachgiebigkeit gegenüber dem Leben, gegenüber allem, was ein Lächeln bringen könnte, ein wenig Auflockerung und Schönheit, doch nun, wo er tot war, wo er nicht mehr da war, von einem Tag auf den anderen, da tat es mir leid. Nicht für ihn, den Greis, aber für seine Frau. Dass er fehlte. Ihr fehlte. Dass sie nun allein war, nach all den Jahren.
Mitten in der Nacht stehe ich am Fenster und sehe die Wohnung gegenüber in grelles Licht getaucht, einen Tag nach seinem Tod. Alle Zimmer schreien, schlagen still um sich, in ihrer plötzlichen Einsamkeit. Dem gleiÃenden Alleinsein.
ÂIch war eine Klassenkameradin Ihrer Mutter, in den DreiÃigernÂ, sprach mich seine Frau vor Jahren auf der StraÃe an, mit einem unsicheren kleinen Lächeln, ob sie das auch wagen könnte, mich anzusprechen, wo wir uns doch schon so viele Dutzende Male begegnet waren, ohne ein einziges Wort. Nicht mal einem GruÃ.
"Sie waren mit meiner Mutter in einer Klasse!?" Ich war erstaunt. Dass sie überhaupt wusste, wer meine Mutter war.
"Ja. Unten in Stöcken."
Als ich meiner Mutter später davon berichtete, (ich hatte die Frau nach ihrem Namen gefragt), erinnerte sie sich an das kleine Mädchen von früher, aus dem unsere Nachbarin geworden war, eine geschrumpfte Konzertpianistin mit langen Armen, (so wirkte sie auf mich), deren hochgewachsener hagerer Mann unbeliebt war in der Siedlung, weil er die Leute beschimpfte und kleinlich war und sie nun zurücklieÃ, die kleine, zunehmend kraftlose Frau mit der überm Boden schleifender Einkaufstasche auf dem Weg zum Supermarkt.
Ein fesches blondes Ding soll sie gewesen sein, dem die Jungs nachgelaufen sind, mit Schleifchen im Haar und Krönchen, gar nicht schüchtern, bisschen schnippisch sogar, so Mutter über die kleine Miss Weltkrieg, deren Mann jeden Morgen das Doppelbett machte und die schweren Daunendecken zum Lüften aus dem Fenster schwang, fünfzehn korrekte Minuten lang, von Punkt 8 Uhr 00 bis 8 Uhr 15.
Irgendetwas rührte mich an der Frau, und das nicht erst seit dem Tod ihres Ehemannes. Sie war ein verkümmertes Vögelchen, die alte Frau mit dem sehr kleinen Mund. Ich wusste nicht, wie ich ihr nun begegnen sollte, ich spielte gar mit dem Gedanken, ihr die Hand zu drücken und zu kondolieren. Es wäre nicht mal geheuchelt gewesen. Aber vielleicht zu viel des Guten? Ein halbes Jahr später hätte ich mir diese Gedanken nicht gemacht, ich hätte gehandelt, so wie ein halbes Jahr später andere Leute handelten und mir kondolierten und die Hand drückten als meine Mutter gestorben war.
Teilnahme.
Seit seinem Tod bleiben alle Fenster geschlossen, es brennt Licht in der kleinen Genossenschaftswohnung die ganze Nacht, wie in einem Palast.
Halte durch, kleines Mädchen.