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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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Das Weihnachtskegeln

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Die Weihnachtsfeier fiel flach dieses Jahr. Stattdessen gingen wir Freitagmittags eine Runde Kegeln, einen Tag vor Heiligabend. Wir, das waren die drei männlichen und die drei weiblichen Mitarbeiter unseres kleinen ambitionierten Design-Instituts.

Als wir die Kegelbahn im Keller des jugoslawischen Restaurants betraten, fühlte ich mich, als wäre die Zeit stehen geblieben, und zwar 1975. Da waren die gleichen schlammfarbenen Schiebetüren, da war der gleiche Nippes und Klimbim in den blinden Glasvitrinen wie auf der Kegelbahn im Vereinsheim des RSV Kohlfurth, wo ich als Bursche zehn Jahre lang gekickt hatte. Selbst der Silberpokal für Platz 4 beim Kegelturnier in Schaffhausen kam mir irgendwie bekannt vor. Ich nahm ihn in die Hand, blies den Staub fort und untersuchte ihn näher. Dann stellte ich ihn zurück.

Auch ein gerahmtes Familienfoto aus verblichenen Tagen tat es mir an. Es zeigte die Eltern des jetzigen Inhabers, die aus Dubrovnik nach Deutschland eingewandert waren und voller Hoffnung und Naivität in die Zukunft blickten. Ich sah mich um. Was ich sah, war eine Kegelbahn. Eine Staubbude. Cevapcici und saurer Biergeruch. Da hörte ich es. Die Querflöte des Kung Fu: Im Hintergrund lief Kung Fu Fighting an, Carl Douglas. Sofort pfiff jeder den Song mit. Uh. Ah. Here comes da big boss.

Wir waren also im Jahr 1974.

“Was darf ich schon mal zu trinken bringen?”

Der Wirt, gleichzeitig auch Chef-Koch der Spelunke, bisschen dick, bisschen schmuddelig, bisschen unhöflich, (“mir sind Stammgäste lieber”, sagte sein abweisender Blick), baute sich vor uns auf, den Stift in der Hand. Während die Kollegen schon bestellten, schwankte ich noch zwischen Cola und Kaffee, jedenfalls keinen Alkohol. Alkohol deprimierte mich nur noch. Ich trank keinen Alkohol mehr. Ich kam nicht mehr klar mit Alkohol. Na klar hätte ich mir gern noch mal richtig einen gezwitschert, aber was nicht ging, ging nicht – hier war die Brechstange keine Option.

„Komm, ein Bierchen trinkst du mit“, versuchte mich unser Maschinenbauer zu überreden, doch was wusste der schon. Leute mit Bierbauch wissen grundsätzlich nichts von Alkohol.

Grundsätzlich tendierte ich um diese Uhrzeit zu einer Tasse starkem Kaffee, doch ich erinnerte mich dunkel an die schlimme Brühe, die anno 1974 im Vereinslokal des RSV Kohlfurth aus Thermoskannen ausgeschenkt wurde. Sicherheitshalber erkundigte ich mich also beim Wirt, welchen Kaffee er führte. Meine Anfrage brachte ihn dermaßen aus dem Konzept, dass der Stift in seiner Hand hin und herzappelte, wie ein nervöses Kasperle.

“Ich hab äh Capuccino, ich hab.. Latte Macchiato, ich hab Cafe.. Latte, ich hab Espresso, ich.. hab..”

Ich winkte ab. Das wollte ich alles gar nicht wissen. Ich hatte nur Schiss vor deutschem Pulverkaffee, das war alles.

“Na schön. Ich hätt gern italienischen Kaffee”, sagte ich,
"aber ohne so cremigen Schaum obendrauf.”

“Ohne so cremigen.. Schaum..?”

Nicht nur der Wirt schien verblüfft, auch unser Geschäftsführer, ein sportlicher und eher verbindlicher Typ, der keinen Zwist mochte, mischte sich ein.

“Italienischer Kaffee hat doch immer Schaum obenauf..”

“Quatsch, aber nicht bei uns zu Hause“, sagte ich, und fügte für die Allgemeinheit an: „Wir trinken zuhause Espresso.”

“Espresso?” Der Wirt war wieder im Spiel. “Ich kann Ihnen einen Espresso bringen, einen zweifachen, einen dreifachen, wie Sie mögen.. Wir haben das Aufschäumsystem von de Longhi.”

De Longhi. Ich wollte kein perfektes Aufschäumsystem, ich wollte kernigen Männerkaffee, ich wollte italienisches Brusthaar, das einem oben aus dem Hemd quillt und in der Nase kitzelt mit all seinem Testosteron, verdammt.

“Schön”, sagte ich. “Dann Espresso. Aber ohne Automaten-Schaum.”

“Ohne Automaten-Schaum?”

Das Gesicht des Geschäftsführers, er saß mir schräg gegenüber, verzog sich gefährlich, und damit ich im Kollegenkreis nicht wie ein verdammter Korinthenkacker dastand, ging ich etwas ins Detail.

Super Idee.

“Zuhause machen wir unseren Espresso in Edelstahlkännchen, die man einfach auf die Herdplatte stellt und aufkochen lässt, ihr wisst schon, die Espressokocher, der Design-Klassiker.. aus Italien.”

“Natürlich”, beeilte sich der Geschäftsführer, „die.. äh Edelstahlkännchen.“

Das Wort Design-Klassiker aus meinem Mund verunsicherte ihn. Ich hatte ihn schon einmal ungewollt bloßgestellt, als ich in der erweiterten Montags-Runde den Klassiker von Afri-Cola erwähnte, die in der Mitte eingedellte kleine Pfandflasche, von der er, wie sich herausstellte, keine Ahnung hatte. Seither war er schwer auf der Hut, wenn ich bei irgendeiner Gelegenheit einen Design-Klassiker ansprach. Als hätte ich nichts besseres zu tun gehabt, als meinen Chef in die Pfanne zu hauen. War mir doch egal. Ich wusste zufällig ein paar Dinge und hatte keine Lust, damit hinterm Berg zu halten, nur um unseren ahnungslosen Geschäftsführer nicht bloßzustellen. So kollegial nach oben buckelnd war ich nicht.

“Hat der Kaffee denn bei deinen.. Design-Kännchen keinen Schaum obenauf..?” mischte sich die Hofmann ein, unsere Sekretärin.

“Nee, eben nicht“, sagte ich.“ Keine Schaumkrone. Deswegen ist er ja so lecker. Schwarz, stark, lecker. Kein Schaum.”

Der Wirt stand immer noch da, den Block in der Hand, verwirrt und zunehmend genervt, bis unser Maschinenbauer, ein hellwacher Kollege mit ordentlicher Plauze, der zum 31. 12. gekündigt hatte, die Situation erfasste und mich aus der selbstgestellten Falle befreite.

“Wissen Sie was..?! Bringen Sie dem Mann hier den Kaffee so, wie er ihn zu Hause trinkt!”

“Danke”, sagte ich erschöpft. „Und ein Bier.“

„Kölsch oder Alt?“

„Nee. War nur Spaß. Kein Bier. Nur Kaffee.“

Ich bekam einen dreistöckigen Espresso, und der schmeckte sogar richtig gut. Stark, schwarz, aromatisch. Heiss. Vierstöckig beinah.

Als der Wirt in meine Nähe trat, um die Getränke abzustellen, liess er seinen Achselgeruch zurück: ein bisschen süßlich roch es, wie verstaubte alte Bücher. Echte Schmöker. Sofort gewann er meine Sympathie. Na ja, sagen wir, meine Antipathie schwand.

Wir begannen mit dem Kegeln. Wir spielten Fuchsjagd, Tag & Nacht, In die Vollen und zwischendurch eine Runde Abräumen.

Beatrix, die diplomierte Designerin, eine große und sehr schlanke Person, die kurz zuvor ein Projekt für einen namhaften Düsseldorfer Waschmittel-Hersteller abgeschlossen und damit dem Institut ordentlich Kohle in die Kassen gespült hatte, rief jedes Mal fröhlich “KACK-STUUUHL!”, wenn jemand fünf Kegel umwarf und das Bild auf der elektronischen Anzeigetafel einem WC-Sitz ähnelte.
„KACK-STUUUHL, KACK-STUUUHL!“

„Wie im Kindergarten“, flüsterte die Hofmann, unsere Sekretärin, und ich sagte, „Ja, wieso nicht, ist doch gut, Kindergarten. Oder nicht?“

Unsere Praktikantin, eine eher unscheinbares Mädel, fiel auch beim Kegeln nicht weiter auf. Als der Wirt die Essensbestellung aufnahm, entschied sie sich für ein Schnitzel Jutta. Ihre Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau, und somit auch ihr Praktikum, endete zum 31. Dezember.

Das Schnitzel Jutta wurde mit Ananas gereicht.

Außerdem hatte sie einen Freund, der sie regelmäßig mit dem Moped vom Institut abholte und dabei frech hupte.

„Kackfrech sogar“, präzisierte Beatrix, unsere Top-Designerin.

Ich saß zwischen unserem Maschinenbauer, dem Dipl. Ing. mit Plauze, und unserer Sekretärin Frau Hofmann, die zum 2. Januar eine neue Stelle antrat. Da sie nicht nur eine große Klappe, sondern auch eine chronische Sehnenscheidentzündung hatte, kegelte sie aus beiden Händen. Sie trampelte einige Schritte geradeaus und liess die Kugel einfach auf den Boden plumpsen, in der Hoffnung, das sie schon irgendwie ins Rollen kam. Das ganze wirkte, als würde eine ungelenke Antilope im Stehen gebären. Merkwürdigerweise klappte das jedoch ganz gut, die Kugel polterte schwerfällig über die Bahn und sie räumte mehrfach alle Neune ab.

„Mann, ist die plump“, flüsterte der Maschinenbauer.

„Ja, aber gut“, sagte ich.

Unser Geschäftsführer hatte, genau wie ich, trotz ausdrücklicher Aufforderung keine Turnschuhe mitgebracht, und da das Kegeln in Straßenschuhen strengstens untersagt war, schlüpfte er jedes Mal lässig aus seinen Lederslippern, wenn er an der Reihe war, und kegelte auf Strümpfen. Er trug Sommersöckchen.

„So, jetzt ist Papa dran.“

Er nahm so schwungvoll Anlauf wie für einen Schmetterschlag beim Volleyball, stoppte aber kurz vor der Bahn ab und setzte die Kugel volles Rohr in die Gosse. Es war nicht zu fassen, aber auf diese Weise schaffte er tatsächlich acht Pudel hintereinander. Er war auf eine begnadete Weise unbelehrbar. Er lernte einfach nicht dazu, er nahm keine Korrekturen vor, weder beim schwungvollen Anlauf noch beim Aufsetzen der Kugel auf die Bahn, doch immerhin bekam er rote Bäckchen von der sauerstoffarmen Kellerluft und gewann somit wieder. Etwas Mitgefühl. Wenigstens das.

“Sieht ja kess aus!” sprang ihm die Hofmann schadenfroh zur Seite. Eine widersprüchliche Person. Stand man mit ihr fünf Minuten an der Luft, bekam ihre Haut diesen knackbraunen Mittelmeer-Teint. Doch sie vermied Sonnenlicht, wo sie nur konnte. Mit dem kuriosen Ergebnis, besonders im Hochsommer: das Gesicht Mallorca, die Beine Helsinki. Spanisch-finnische Freundschaftswochen, das war die Hofmann. Und eine verdammt große Fresse.

Links neben mir, ich erwähnte es bereits, saß unser Maschinenbauer, der Mann mit der Plauze. Er war bereits eine Stunde vor uns allen auf der Bahn eingetroffen, um sich einzuwerfen und Bier zu trinken. Trotz seines stattlichen Bauches war er gelenkig und ehrgeizig. Der typische deutsche Amateur-Meister. Er wollte gewinnen, immerzu, egal wobei, egal gegen wen. Ob bei Mensch ärgere dich nicht oder bei Poker. Aber das ging in Ordnung. Damit konnte ich umgehen.

Was mich betraf, den Bibliothekar des Instituts, das Kelllerkind, so sollte mein zweiter Jahresvertrag sechs Wochen später enden, am 31. Januar. Eine weitere Vertragsverlängerung war ausgeschlossen. Mein Projekt, die Archivierung und Katalogisierung von über zehntausend Fachbüchern und Zeitschriften, Schenkung eines emeritierten Wuppertaler Design-Professors, war abgeschlossen. Ich lungerte meist nur noch am Rechner herum und schrieb für meinen Internet-Blog 500beine.

Wir spielten Abräumen.

Abräumen war die einfachste Kegel-Variante, sie löste die beste Stimmung aus. Mit einem letzten guten Wurf hätte ich die Runde für mich entschieden. Beatrix, die hochgewachsene schlanke Diplom-Designerin, sprang von ihrem Stuhl hoch und rief: “HERR GLUMM SOLL DER LOSER SEIN!” Sie wollte mich nervös machen, damit ich einen Pudel warf.

HERR GLUMM SOLL DER LOSER SEIN! kam im Kollegenkreis so gut an, dass sich ein spontaner Betriebs-Chor bildete. “HERR GLUMM SOLL DER LOSER SEIN!” schallte es über die Holzbahn, “HERR GLUMM SOLL DER LOSER SEIN!”, so laut, dass der Wirt nachschauen kam, ob alles in Ordnung war. Ich sang bravourös eine Strophe des Refrains mit und warf eine lausige “4″, worauf ich das Abräumen auf den letzten Drücker verlor. Das kriegte aber kaum jemand mit, da in diesem Augenblick das Essen serviert wurde.

Ich war nicht besonders hungrig und begnügte mich, glücklicherweise, mit einer hausgemachten Gulaschsuppe. Glücklicherweise, weil hausgemacht vermutlich bedeutete, dass die Gulaschsuppe einem Chemie-Haushalt entstammte, das Fleisch schmeckte jedenfalls verdächtig nach Brom, und es sah auch so aus. Auch wenn niemand mit Bestimmtheit sagen konnte, wie Brom schmeckte oder aussah.

Nicht wie Brombeere vermutlich, wieherte unser Dipl. Ing. mit vollem Mund. Hier, nimm einen Schluck Bier.

Meine Portion war überschaubar. Die Kollegen hatten nicht so viel Massel. Sie waren hungrig gewesen bei der Bestellung und hatten stattliche Teller auf dem Tisch, die abgearbeitet werden wollten. Doch während des Essens war nicht ein einziges Mal ein “miam” oder “lecker” oder wenigstens ein kleines anerkennendes Grunzen zu hören, nichts, gar nichts. Nur genervtes Kauen und leises Spucken.
Selbst die Hofmann, die den Jugo an der Stadtgrenze wärmstens empfohlen hatte, (wegen der angeblich hausgemachten Kroketten, die einfach großartig sein sollten, meisterhaft geradezu), schob den dreiviertel vollen Teller schweigend von sich weg. So weit weg wie möglich. Der Tisch konnte kaum groß genug sein, um den Teller wegzuschieben. Noch ein Stückchen, und es hätte gescheppert.

Der Chef hatte Jäger-Schnitzel genommen, doch es schmeckte, Achtung Wortlaut: „als wäre der Jäger mit dem Hosenlatz am Drahtzaun hängengeblieben.“

Die Nase richtig voll von dem ganzen Fraß hatte Beatrix, die lustlos im Vegetarischen Lady-Teller mit verschiedenen Gemüsen herumstocherte. Mit der Gabel zog sie ein großes undefinierbares lappiges Etwas in die Höhe.

“Also, was das hier Schönes sein soll.. weiß ich beim besten Willen nicht. Und der Spinat.. ist aufgewärmt, viel zu bitter.” Einzig die Erbsen und Möhrchen fanden noch ihre Gnade. “Aber die sind auch aus der Dose. Da kann man ja nichts falsch machen.”

Sie war es schliesslich auch, die mir gegen Ende der dreistündigen Veranstaltung einen Bierdeckel rüberschob, damit ich den Spruch des Tages nicht vergaß und in meine nächste Story einarbeiten konnte.

Herr Glumm, stand da in Schönschrift, soll der Looser sein.

“Och, guck mal, Loser mit zwei o”, sagte ich mit einem schnellen Blick auf den Bierdeckel.

Die Hofmann sah mich an, als hätte ich sie nicht mehr alle. “Na, das schreibt man ja auch mit zwei o! Looser! Das stimmt ja auch!”

“Quatsch. Loser schreibt man mit einem o.”

Die Sekretärin war sofort auf 180. Das war so ihre Art. Immer auf Sturm, ihr Barometer. Ich mochte sie trotzdem gern. Sie machte keine Mördergrube, wie man so schön sagt, aus ihrem Herzen. Eher eine Schreibude.

“Du willst mir erzählen”, rief sie aufgebracht, “wie man Looser schreibt?!”

Sie spielte auf ihre Jugend im englischsprachigen Nigeria an, wohin es ihren Vater in den 60er Jahren berufsbedingt verschlagen hatte, mit der ganzen Familie. Seither fühlte sie sich als eine Native Speakerin, der man nichts vormachen konnte.

„Speakerin, ja, mag schon sein“, sagte ich, „doch ich weiß nun mal, wie man Loser schreibt. Kann ich auch nichts dafür. Es gibt ein to loose mit doppel o, stimmt, das bedeutet aber etwas anderes als to lose mit einem o..”

“Nämlich??”

“Weiß nicht. Komm ich jetzt nicht drauf.”

“Quatsch!” Die Sekretärin giftete, sie speite. Sie hatte ihre Betriebstemperatur erreicht. Es gärte und kloakte in ihr. Sie konnte großkotzig sein wie ein überladenes Containerschiff. “Looser schreibt man so, wie es hier auf dem Bierdeckel steht! Mit doppel o!! Und nicht anders! Blödmann!”

Beatrix dagegen, die mir den Bierdeckel rübergereicht hatte, war sich plötzlich nicht mehr sicher.

“Ich hab Looser zwar mit doppel-o geschrieben, aber irgendwie guckt es mich komisch an.. Also, ich weiß nicht genau. Vielleicht wird Loser auch mit einem o geschrieben..”

Die Praktikantin, von der plötzlichen Vehemenz der Auseinandersetzung aufgeschreckt, erhob sich, lief umher, setzte sich wieder, knabberte unsicher an den Fingernägeln. Sie war die Einzige, die Glück gehabt hatte, mit ihrem Schnitzel Jutta.

“Ich glaube, to lose schreibt man mit einem o, aber Looser mit zwei o”, wisperte sie, doch niemand hörte hin.

Der Geschäftsführer hielt sich überraschenderweise ganz raus. Auch der Maschinenbauer, links neben mir, bildete sich erstmal keine Meinung, rief aber “IST DOCH EGAL! HAUPTSACHE, HERR GLUMM SOLL DER LOSER SEIN, OB MIT EINEM ODER ZWEI O!” Das ganze verband er mit einem kollegialen Klaps auf meine Schulter.

In zwei Jahren Zusammenarbeit hatten wir gemeinsam einen Riesenhaufen Zigaretten verqualmt, im Hof vor der Bibliothek. Das verband uns. Wir waren die Köhler des Instituts. Schnalzend forderte der Maschinenbauer die Hofmann auf, die Sache mit mir im Ring zu klären, und zwar mit einer Runde Schlammcatchen.

Was wiederum die Hofmann aufmüpfig werden ließ.

“Loser mit einem o, so ein.. Blödsinn! So was Stumpfsinniges! Könnt ihr ja im Internet nachgucken. Ich bin mir hundertprozentig sicher! Mit doppelt o!”

“Man soll sich niemals zu sicher sein”, antwortete ich mit einer eiskalten Entschiedenheit, die mich allerdings für einen Moment selbst verunsicherte, wie gewisse Dinge geschrieben werden, oder eben nicht.

“Mir reicht’s!”

Beatrix, unsere Top-Designerin, schnappte sich ihr Handy und stapfte die Treppe hinauf Richtung Gastraum. Sie gab kund, irgendwo anrufen zu wollen. Die Sache zu klären. Im Internet. Und unten auf der Kegelbahn bekam sie nun mal kein Netz. Als sie kurz darauf zurückkehrte, wurde sie mit Klopfen und ansteigendem Kegelbahnblöken empfangen.

“TA! TA!” gurrte sie feierlich und bildete mit Mittelfinger und Daumen ein kleines o. “Loser schreibt man definitiv mit einem o. Herr Glumm hat recht.”

“Sag ich doch”, sagte ich doch.

“Glaub ich trotzdem nicht!”

Die Hofmann bemühte sich, weder kleinlaut noch trotzig zu klingen. Das klappte nicht. Der Trotz stand ihr so dick im Mund, als hätte sie auf eine Zyankalikapsel gebissen. Wir warteten auf ihr Hinscheiden. Das klappte auch nicht. Die Hofmann war ja an sich nicht uncool. Sie war es auch gewesen, die eines schönen Tages das gleichzeitige DU und HERR im Institut eingeführt hatte, eine doppelbödige Anrede, die nur für mich galt.

Du, Herr Glumm, sagte sie immer.

Ich mochte sie irgendwie. Sie war in Ordnung. Sie brachte mich zum lachen. Einmal meinte sie, mein Schnupfen würde genauso klingen, wie wenn der Drucker Papierstau hat. Ich hatte also nichts gegen sie. Und ich war auch nicht sonderlich rechthaberisch, was nun den Loser betraf und wie man das Wort schrieb und wie nicht. War doch nicht so wichtig.

Was die Belegschaft aber nicht wusste - weil ich vermutlich in der instituteigenen Hierarchie zu weit abgeschlagen war, um genug Interesse auf mich zu ziehen: ich war weder Loser noch Looser. Nein, ich war ein Loner. Ich war der poor lonesome cowboy and a long way from home, aus dem Lucky Luke-Heft. Ich war der Mann mit dem n in der Mitte.

Gestatten, Glumm. Loner.

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