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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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Bringen Sie uns, was Sie haben, für fünf Mann

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Im Juni lief mir am Grünewald der Mitsubishi Boy über den Weg. Er war seit einer Woche draußen. Fast zwei Jahre hatte er abgesessen, wegen dieser dummen Sache beim Grenzübertritt von Holland nach Deutschland, als ein Kilo Haschisch auf dem Beifahrersitz lag, einfach so, wie Weintrauben. Und weil der Motor seines goldenen, nah am Kolbenfresser operierenden Toyotas plötzlich so brutal laut gurgelte, winkte der Zoll ihn raus. Niemand hatte je daran gedacht, Öl nachzufüllen, nicht bei dieser alten Gangsterkutsche.

“Ja, bist du doof? Ich mein, ein Kilo.. einfach so auf dem Beifahrersitz..? Und dann noch so ne Karre unterm Arsch..”

“Na, weißt du, doof.. das ist ein hartes Wort, Bruder. Guck mal, es war ein superschöner Ostersonntag. Ich am Flöten, tausend Mark Kurierlohn in Aussicht und voll der Rückreiseverkehr, Scheiße, wer konnte ahnen, dass die Säcke ausgerechnet mich rauswinken..”

Ausgerechnet ihn, mit Blues Brothers-Sonnenbrille, Ry Cooder im Tapedeck und unrasierter Pulvervisage. Ausgerechnet ihn, mit sterbendem Motorenlärm und fettem Soundsystem. Ausgerechnet ihn, mit handgestrickter Mütze aus Nepal, mit Bommeln dran. Na, so gesehen, stimmt auch – kommt eigentlich niemand drauf. Außer zwei, drei Zöllnern vielleicht. So Säcken.

Ort der Säckeglückseligkeit war der Grenzübergang Emmerich; 33 Monate ohne Bewährung. Zwei Drittel musste der Mitsubishi Boy absitzen. Zwei Drittel, die er mit dem Studium philosophischer Texte abbummelte, von Charles Bukowski über "Die Straße der Ölsardinen" von Steinbeck bis zur hoffnungsvoll versoffenen Margarete Dumas.

„Ich hab noch nie so viel gelesen wie in der scheiß Kiste. Ein Buch nach dem anderen, bis ich alleine nicht mehr denken konnte. Alles kam nur noch in Zeilen gepresst bei mir an. Ich glaub, ich war buchstabenabhängig.“

Weil er sein Entlassungsgeld noch nicht ganz auf den Kopf gehauen hatte, ließ er eine Pulle weißen Rum springen, die wir im Stadtpark leermachten. Komischerweise war ich nicht mal halbbetrunken, auch Mitsubishi war eher ein bisschen noch cooler als sonst schon. Dass er 22 Monate Bau hinter sich hatte, merkte man ihm nicht an. 22 Monate in einem Tresor, auf einer Leerfläche, im toten Winkel. 22 Monate das Gerassel der Schließer und Erbsenpüree. Er war nicht mal besonders grau geworden im Gesicht, auch vom gefürchteten rastlosen Auf- und Ablaufen war nichts zu spüren. Nein, er saß cool auf seinem Hintern wie früher auf dem Bananensattel.

Ich seh ihn noch vor mir, als Knirps auf dem Bonanzarad, mit hochgezogenem Lenker und wuschigem Fuchsschwanz, im Stadtpark hinterm Haus der Jugend. Fahren sah man ihn eher selten, meist lungerte er an irgendwelchen Ecken herum, den Hintern lässig auf dem King Size-Bananensattel. Die coolste 13jährige Sau der ganzen Stadt. Ein Killer.

Der Killer berichtete Erstaunliches. Als Mitsubishi nach zwölf Monaten in eine andere Haftanstalt verlegt werden sollte, verbrachte er genau eine Nacht in der JVA Duisburg, als Zwischenstation. Und mit wem teilte er sich dort die Zelle? Mit Pepe. Ausgerechnet Pepe… der selbst gerade auf dem Weg in eine andere JVA war und in Duisburg für eine Nacht zwischengeparkt wurde.

"Zufälle gibt’s.. aber vielleicht haben die Schließer auch gesehen, dass wir beide aus derselben Stadt kommen und wollten uns eine Freude machen, die Wichser, hahaa!! Vor allen Dingen wollten die uns ne Freude machen. Na,auch egal. Ich hab ihn beim Freigang im Hof gesehen und dachte, das gibt's doch nicht, der Pepe, wie er leibt und lebt! Er schien irgendwas zu checken, er hatte sofort den Überblick und die Connections, obwohl er genau wie ich erst ein paar Stunden hier war. Ich mein, er kannte ja keinen, hat aber direkt was klargemacht. Wir haben die ganze Nacht geraucht, gelacht und von alten Zeiten gequatscht, bis die Sonne aufging.“

Mitsubishi nahm einen letzten Schluck weißen Rum.

„Pepe müsste auch bald draußen sein. Vielleicht zwei, drei Monate noch.“

Pepe, der alte Sonnyboy, saß wegen Heroinhandel, der übliche Kleinkram. Er hatte mir lange Briefe aus der Kiste geschrieben. Den letzten zu Weihnachten. Darin schilderte er minutiös einen Traum, in dem Karlos und ich ihn in einer halsbrecherischen Helikopter-Aktion aus dem Knast befreien. Am Ende stürzen wir alle über einem Puff in Köln ab und er wird wach.

Mitsubishi und ich verließen den Stadtpark und liefen die Einkaufszone hoch, landeten im Mumms. Nachmittags war grundsätzlich tote Hose, nur hinten beim Flipper hockten ein paar Leute, darunter Meckenstock und Harry.

„Harry“, sagte ich.

„Glummmann“, sagte Harry.

Er sagte immer Glummmann. Er hatte ein charmantes Grübchen und war sehr verlässlich, er arbeitete seit tausend Jahren in der selben Großhandelsbude auf dem Büro. In einer abschließbaren Schreibtischschublade lag stets ein gesatteltes weißes Pferdchen bereit für einen kleinen Ausritt: der Flachmann. Harry war ein Trinker. So wie Meckenstock, der sich in eine Spendierlaune reinsteigerte. Er warf eine Runde nach der anderen und strahlte. Er hatte den Mitsubishi Boy fast zwei Jahre nicht gesehen. Meck war ein bisschen in ihn verliebt. Nicht, dass er das zugegeben hätte. Es war ihm unangenehm, schwul zu sein. Er hätte alles dafür gegeben, um nicht zufällig schwul zu sein.

Eine Frau, die ich vage vom Sehen kannte, stellte sich zu uns, als sie was zu trinken bestellen wollte.

„Mann, bist du dünn geworden“, meinte sie zu mir.

„Echt?“ sagte ich. „Liegt vielleicht am Schnäuzer, der ist weg. Dann wirkt man direkt schmaler.“

„Hast du ihn dir wegrasiert?“

„Nee, weggesoffen.“

Blöde Frage. Fertige Männergesellschaft am Nachmittag, aber die beteiligten Frauen waren irgendwie auch nicht die Hellsten. Meckenstock orderte ein Taxi.

„Los, wir gehen was essen. Ich lad euch ein.“

Wir landeten in der Chinesischen Mauer am Zwillingswerk, dem größten Chinalokal in der Gegend.

„Bringen Sie uns, was Sie haben, für fünf Mann!“ (Meckenstock).

Die Kellnerin lächelte, machte aber einen leicht gekränkten Eindruck, so als fühlte sie sich veralbert. Verkackeiert. Meckenstock spürte das und versuchte seine flapsige Ansage zu präzisieren.

„Sagen wir, bisschen Rindfleisch, ein Happen Ente und Huhn, paar Schüsseln klätschigen Reis, Gemüse, Sie wissen schon.. alles für fünf Mann. Und Sekt im Kübel.“

Meck war ein undurchsichtiger Bursche. Obwohl er keiner Arbeit nachging, war er stets flüssig und spendabel. Eine Weile jobbte er in einem Autohaus als Verkäufer, Harry hatte ihm die Stelle besorgt. Innerhalb weniger Monate entwickelte sich Meck zur Verkaufsgranate Nummer 1. Dann geriet er in eine Verkehrskontrolle. Tagsüber. Fast drei Promille. Lappen weg, Job weg, Karriere ade. Nur die Kleidung blieb. Er sah immer noch aus wie ein Businessman, der Popcorn-Maschinen und bunte Las Vegas-Partyzelte verlieh und damit einen Haufen Schotter machte.

Ein hagerer Bursche, kein Gramm Fett zu viel. Vom Saufen war seine Bauchspeicheldrüse schwer angeschlagen, und weil nun jedes nächste Schnäpschen den Tod bedeuten könnte, mied er harte Sachen und soff konsequent Altbier mit einem Alibi-Schuss Malz und Sekt, dem er durch ständiges Rühren den Sprudel entzog und somit zur Plirre herunterstufte, wie er glaubte. Den speziellen Eislöffel zum Umrühren, extralang und in feines Anstecktuch gewickelt, trug er stets bei sich. Zum Plirre anrühren.

Meckenstock war voller Marotten und Tics. Ständig musste er Mauern und Wände berühren. Anfassen. Man spazierte mit ihm durch die Stadt, runter zum Chinesen am Zwillingswerk, und Meck blieb alle Nase lang stehen und spürte mit den Fingern der Hauswand entlang. Der Litfaßsäule. Ganz leicht nur, mit Fingerspitzen und einem Lächeln, so selig, als hörte er eine feine Zement-Arie.

Der chinesische Kellner tischte nacheinander sechs verschiedene Platten auf, mit Ente, Huhn, Rindfleisch und gläsernem Gemüse. Wir kifften Purpfeifen und kleine Sticks am Tisch, was bei den exotischen Gerüchen nicht weiter auffiel. Und wenn schon. Nur der Mitsubishi Boy verdrückte sich mit meiner Purpfeife, der Roten Zora, runter aufs Klo, er hatte noch acht Monate Bewährung offen. Das war ihm zu heikel. Am frühen Abend jedoch war ihm das auch wurscht.

„Drei Vater unser und die Sache ist erledigt!“ blökte er ins Blaue hinein, ohne dass irgendwer wusste, was damit gemeint war.

Ein Walkman machte die Runde, mit Soul und langen Liedern in e-Moll. Ich futterte wie ein Schwein. Ich war hackebekifft.

„Auch ein schönes Lied!“ (Harry).

„Kannste noch einen bauen, Glummmann? Oder reicht dat nich mehr?“

„Klar. Hier, roll du einen.“

Die Stimmung war ausgelassen und sprang sogar auf die Nachbartische über, Gelächter und Gejohle an Tisch 10.

„Hörst du die dahinten?“ raunte Mitsubishi mir zu, so leise, als würde er Stille Post spielen. „Die lachen, die haben Recht.“

„Genau. Die machen weiter.“

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