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Channel: Vom räudigen Leben, der Wucht & dem Nimbus
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Der Mongolenfleck

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2.9. 1985

Lena hat sich einen chromgelben Golf zugelegt, Baujahr 75, direkt aus der Schrottverwertung. 200 Mark angezahlt, angemeldet, losgebraust. Ein Riss im Auspuff lässt den Motor so laut dröhnen, als böge ein Panzer der Hurra-Klasse um die Ecke, auf dem Weg nach Stalingrad.

"Morgen schraubt mir der Mechaniker eine neue Pfanne drunter. Hat er mir versprochen."

Aber klar doch, sag ich. Sicher doch. Schrauber sind dafür bekannt, dass man sich auf ihr Wort verlassen kann. Wenn Schrauber was versprechen, also, das geht klar. Das ist Gesetz. Schraubergesetz.

"Sei nicht immer so ironisch. Der macht das schon, der kleine Alex. Auf den kann man sich verlassen"

Ach wie, der Bursche heißt Alex?”

"Ja, alle lieben Jungs heißen Alex oder Andi. Weißt du doch."

"Ich scheiß dir gleich lieb vors Auto", sag ich.

Sie hat den Führerschein seit einigen Wochen, und sie hat Probleme mit der Schaltung. Als sie unterm Fenster vorgefahren kommt, steht sie vor Freude auf der Hupe, der Wagen ruckelt und macht Männchen. "ICH HAB IHN! ICH HAB IHN!" ruft sie so begeistert, als hätte sie wochenlang von nichts anderem gesprochen, dabei höre ich zum ersten Mal davon. Aber ich bin nicht mehr Teil ihres Lebens, ich gehöre nicht mehr richtig dazu. Ich bin auf dem Weg zum Ex, den man mehr aus Gewohnheit noch über eine Neuanschaffung informiert. Vielleicht bin ich auch schon der Ex.

Ich bin erledigt.

Sie steigt aus und stürmt die kurze Haustreppe hinauf. Es ist das fröhlich-forsche Klappern ihrer Absätze, das ich noch Monate nach unserer Trennung vermisse. Einmal sitze ich auf dem Klo und glaube, sie zu hören. Ich springe auf, die Hose auf den Fußknöcheln, und stolpere zur Tür, um nachzusehen, ob sie zurück ist.

"Ich hab ihn!" ruft sie. "Hier!"

Sie wirft mir den Zündschlüssel zu. Ich hocke am Küchentisch und esse von dem aufgewärmten Scharfen Reis, den sie Tage zuvor gekocht hat, unser Leibgericht. Ich fange den Schlüssel auf, so lässig wie möglich. Ich will mir später keine Vorwürfe machen müssen, von wegen, hättest dich ruhig ein bisschen cooler anstellen können, damals, als sie die Biege machte.

"Das ist der glücklichste Tag in meinem Leben!" trillert sie völlig überdreht.

"Willst du auch was essen?" frage ich, obwohl der Topf auf dem Herd so gut wie leer ist. Doch ich kenne die Antwort bereits, da kann man das riskieren.

"Ach was, ich hab keinen Hunger. Ich bin viel zu aufgeregt. Komm, lass uns eine Tour machen.."

"Wohin?"

"Wohin?? Ist doch egal. Zuerst zur Waschanlage. Neues Schwein muss sein."

Sie fährt so unsicher und übermotiviert, ich bin heilfroh, dass Sicherheitsgurte Pflicht geworden sind. Dass man sie anlegen muss.

"Seit wann schnallst du dich an? Und dann auch noch freiwillig!" gackert sie.

Als wir auf das Gelände der Tankstelle einbiegen, beginnt der Kühler zu dampfen. Ah, ist schon okay, meint Lena. Ah gut, sag ich. Ich hab keine Ahnung von Autos. Auf dem Beifahrersitz Platz nehmen ist meine grösste fahrerische Leistung. Und wenn die Karre lichterloh brennt, denk ich immer noch, Donnerwetter, hat der Zigarettenanzünder Mumm.

Mitten auf der Waschstraße hören wir ein Scheppern. Der Betreiber der Anlage stoppt sofort den Betrieb und schreit, wir sollen im Wagen bleiben. Nicht aussteigen! Ein Nummernschild ist abgefallen. Später, als der ganze Wagen picobello glänzt, streikt der Motor und wir kommen nicht vom Fleck. Ich schiebe den Wagen über den Parkplatz. Lena ruft den Mechaniker an. Er hat sich den Finger gebrochen und kann nicht kommen. Seine Ferndiagnose: Batterie leer.

"Ihr seid doch sowieso gerade auf 'ner Tankstelle.."

Auf so Typen steh ich ja total, knurre ich.

"Ach, maul nicht immer nur rum. Hilf mir lieber."

Lena organisiert einen Schraubenzieher und zeigt mir, wie man eine eingerostete Batterie aus dem Motorraum schält, ihrer Auffassung nach. Alles ist voller Öl und Schmiere, eine zähflüssige Paste. Sei nicht so zaghaft, sagt sie, geh mal richtig ran.

He, ich mach das auf meine Art, geb ich genervt zurück und stoße mit der Schulter gegen die Stange, die die Motorhaube oben hält, und das Ding knallt mir auf den Kopf, genau auf die Fontanelle. Ausgerechnet da, wo von Geburt an diese kahle Stelle ist, die sich mehr und mehr zu einer warzigen kleinen Kraterlandschaft mausert, notdürftig überdeckt von den benachbarten Locken.

Lena kann sich das Lachen kaum verkneifen.

"Sag bloß, der Grützbeutel ist aufgeplatzt.."

Grützbeutel. Was ich für eine perfide Form von Krebs halte, ist für sie bloß eine harmlose Hautveränderung. Im Mumms sind schon Leute auf mich zugekommen und haben gefragt, ob sie das Ding mal sehen könnten. Es hat sich herumgesprochen, dass ich was am Kopp habe. Ein Karbunkel, laut Benzini. Ne fiese Fistel, diagnostiziert der dicke Hansa.

"Geh endlich zum Arzt", meint Lena. "Dann weißt du, was los ist."

Zum Arzt trauen. Die Wahrheit erfahren. Ich bin übersät mit Muttermalen, die hab ich von der Familie meiner Mutter geerbt, dem norditalienischen Anteil meines Blutes. Ist bestimmt ein Malinom.

"Karbunkel!" grölt Benzini.

Ich lege mir den Krankenschein raus und schreibe Die Wahrheit küsst man nicht in mein Notizbuch, ohne zu wissen, was ich damit meine.


Paar Tage später. Spät in der Nacht kommt sie vom Kellnern im Nordpol, der Beerenweinschänke an der Autobahnzufahrt, und bleibt bis zum Morgen. Punkt acht beginnt ein Bautrupp die Fahrbahndecke der Schillerstraße aufzureißen, der Lärm zerrt an den Nerven. Als die Pressluftbohrer eine Pause einlegen, hat Lena es plötzlich eilig und muss los, sie hat Frühdienst im Nordpol.

Ich öffne das Fenster und seh gerade noch ihren fliegenden Hemdzipfel. Sekunden später ein dumpfer Aufprall. Sie setzt den Golf vor ein parkendes Auto. Ich höre sie zornig aus dem Wagen springen, "Verdammte Karre!" Bis ich mich angezogen hab und draußen bin, ist sie schon abgedampft. Das hintere Nummernschild hat sich gelöst und kratzt über die Straße, Funken sprühend. Ich seh sie am Horizont verschwinden, wie auf dem Weg zum Polterabend.

Zehn Uhr, Termin beim Dermatologen. Die befürchtete Horrormeldung bleibt aus. Der alte polnische Hautarzt diagnostiziert irgendwas Lateinisches und fügt hinzu, dass die Stelle am Kopf eine angeborene Anomalie sein müsse. Stimmt, sag ich überrascht. Hab ich von klein auf. Woher weiß der das? Ah, ist kein Problem, Warze wird mit flüssigem Stickstoff entfernt. Dauert paar Sitzungen. Ist harmlos. Ist Mongolenfleck. Ist selten, nuschelt der alte Pole versonnen. Er wisse von einem polnischen Adelsgeschlecht, das den Mongolenfleck in den alten Zeiten als Familienstempel von Generation zu Generation weiter vererbt hätte. Und dass die Warze irgendwann einfach abfallen würde, nach der vierten oder fünften Stickstoff-Behandlung. Das ist doch mal was. Das ist ganz nach meinem Geschmack. Dinge, die sich wie von alleine regeln, die zu Boden fallen und futsch sind, weg, abgeräumt auf immer.


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